Samstag, 8. Dezember 2012

Heavy Metal Aluminium


Immer mehr Indizien stützen den Verdacht, dass mit der Freisetzung von Aluminium aus der Erdkruste eine Büchse der Pandora geöffnet wurde. Ist Aluminium der lange gesuchte Umweltfaktor, der den starken Anstieg bei manchen Zivilisationskrankheiten erklärt?

„Mein Name ist Sonja, ich bin 2010 gerade 36 Jahre alt und mein Leben ist perfekt“, beginnt der Blog mit der Adresse dreamsandme.com. Er stammt von der Altlengbacherin Sonja T. Sie ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und beschreibt mit diesen Worten ihre Ausgangssituation, bevor sie im oberen Bereich ihrer rechten Brust einen Knoten tastete. Die Befürchtung bestätigte sich, es handelte sich um ein invasives Mammakarzinom und Sonja schreibt: „Mein Leben stellt sich auf den Kopf“.
Sonja T. wurde brusterhaltend operiert, erhielt 33 Bestrahlungen und unter anderem eine bis heute anhaltende Antihormontherapie, welche sie stark belastet. „Die Medikamente fördern Depressionen, Gewichtszunahme, ich leide unter trockenen Schleimhäuten, kann nicht einschlafen und durchschlafen schon gar nicht.“ Bis 2015 dauert die Therapie noch an. „Wenn ein Rezitativ auftaucht, geht es natürlich weiter.“ In zwei Wochen ist der Termin zur Verlaufskontrolle. Da wird das CT zeigen, ob sich irgendwo Metastasen gebildet haben. „Vielleicht“, sagt Sonja T., „werde ich mit zur Sicherheit die Eierstöcke entfernen lassen.“

DNA-Schäden durch Aluminium

Mehr als 5.000 Frauen pro Jahr teilen in Österreich das Schicksal einer Neuerkrankung an Brustkrebs. Das sind um 2.000 mehr als zu Beginn der Achtziger Jahre. „Dieser enorme Anstieg binnen so kurzer Zeit kann nicht genetisch bedingt sein“, sagt die britische Onkologin Philippa Darbre, die mit ihrem Team seit 20 Jahren an der Universität Reading, nördlich von London die Ursachen von Brustkrebs erforscht.
Besonders auffällig ist, dass 60 Prozent der Krebsfälle im oberen äußeren Quadranten der Brust auftreten, dort wo auch bei Sonja T. der Tumor gewachsen ist. Diese Häufung wurde bisher damit erklärt, dass der Bereich neben den Achseln aus besonders dichtem Gewebe mit zahlreichen milchbildenden Zellen besteht. Diese Zellen sind – in Folge von Schäden an der Erbsubstanz DNA – auch besonders gefährdet für unkontrolliertes Wachstum und Krebs. Doch was verursacht diese DNA-Schäden?
Brustkrebs-Forscherin Philippa Darbre
Univ. Reading (Foto: Ehgartner)
Philippa Darbre fand einige detaillierte Studien mit der Auswertung hunderter Krebsfälle aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und staunte nicht schlecht. Denn damals wurden nur 30 Prozent der Tumoren im Quadranten neben den Achseln diagnostiziert. „Damit war klar, dass es sich um einen Umwelteinfluss handeln muss“, sagt Darbre. „Etwas, das sich in den letzten Jahrzehnten rapid verbreitet hat.“ Sie untersuchte Kosmetikprodukte und hier vor allem Deodorants. Dabei identifizierte sie als möglichen Verdächtigen Aluminiumverbindungen, welche bis zu 20 Prozent des Inhalts in Deos ausmachen. Deren Wirkprinzip klingt an sich schon reichlich ungesund: Die reaktionsfreudigen Alu-Ionen verschmelzen mit den Zellen der Haut und verkleben dabei die Schweißdrüsen, so dass man kaum noch schwitzt.

Haut ist keine Barriere 

Von Seiten der Kosmetikindustrie wurde stets Entwarnung gegeben: Die Haut sei für Aluminium eine unüberwindliche Barriere, Deo-Rückstände würden beim Duschen gleich wieder abgewaschen und falls doch kleine Mengen in den Organismus geraten, so würden sie umgehend ausgeschieden.
„Dabei wird völlig übersehen, dass sich speziell Frauen meist die Achselhaare rasieren“, sagt der französische Toxikologe Olivier Guillard von der Universität Poitiers. Er zeigte mit einem wissenschaftlichen Hautmodell, dass der Anteil des Aluminiums, der ins Gewebe eindringt, um das Sechsfache ansteigt, wenn die Hautzellen beschädigt sind.
Darbres Forschungsergebnisse der letzten Jahre ziehen die Darstellung der Industrie ebenfalls massiv in Zweifel. Bereits wenige Stunden nach der Anwendung seien die Inhaltsstoffe im Blut nachweisbar, fand sie. Je weiter man von den Achseln weggeht, desto geringer wird die Aluminium-Konzentration im Brustgewebe. Und wenn man die Flüssigkeit aus der Brust krebskranker Frauen mit jener von Gesunden vergleicht, so findet man dort eine doppelt so hohe Konzentration an Aluminium. Besonders beunruhigend sind aktuelle Resultate, in denen Darbre Kulturen lebender Brustzellen im Labor mit geringsten Konzentrationen des Alu-Chlor Gemisches versetzte, wie es auch in Deos verwendet wird. Bereits nach einigen Monaten begann ein schockierender Prozess: Unter dem Mikroskop war deutlich sichtbar, wie sich kleine schwarze Zellhaufen bildeten, während in der Alu-freien Kontrollgruppe die Zellen völlig unverändert blieben. „Es scheint, dass Aluminium fähig ist, eine normale Zelle in eine Krebszelle zu verwandeln“, lautet Darbres Verdacht. Wissenschaftler der Universität Genf legten zu Beginn des heurigen Jahres ähnliche Resultate vor.

Die Alu-Lobby wird aktiv

Während der wissenschaftliche Mainstream gerade erst beginnt, Darbres Resultate zu diskutieren und der Einfluss von Aluminium zunehmend Thema größerer Konferenzen wird, gilt bei einer anderen Seuche unserer Zeit die Diskussion über eine mögliche Beteiligung von Aluminium als abgeschlossen: „Aluminium ist kein Auslöser von Alzheimer“, heißt es auf der Webseite der Internationalen Alzheimer Gesellschaft. „Das ist ein bloßer Mythos“, fügt der britische Toxikologe Nicholas Priest hinzu, der im Auftrag der Aluminium-Industrie mehrfach Übersichtsarbeiten zu gesundheitlichen Aspekten von Aluminium publiziert hat. „Das Prinzip der Vorsicht ist ja schön und gut“, sagt Priest. Aber bei Aluminium sei es mittlerweile sonnenklar, dass davon kein Risiko ausgeht. „Das Thema ist tot.“
Ähnlich hatte auch der führende US-Alzheimer Experte Henry Wisniewski argumentiert: „Jeder Forschungsdollar, der in diese Richtung investiert wird, ist ein verlorener Dollar“, sagte er bis zu seinem Tod im Jahr 1999 jedem Reporter auf diese Frage ins Mikrophon. Und heute wird auf den internationalen Alzheimer Konferenzen jährlich der „Henry Wisniewski Preis“ für das Lebenswerk im Bereich der Alzheimer Forschung vergeben. Von Aluminium ist dort längst keine Rede mehr.

Henry Wisniewski
Das war bis in die frühen Neunziger Jahre hinein noch ganz anders. Zahlreiche Arbeiten fanden Indizien für eine Beteiligung von Aluminium. Sie wurden in hochrangigen Journalen wie „Science“ publiziert. Darunter etwa jene von Daniel Perl, Professor für Neuropathologie  an der Mount Sinai School of Medicine in New York. Perl entwickelte eigene bildgebende Verfahren, um das Aluminium in den Alzheimer-Plaques sichtbar zu machen. Er verglich die Gehirne von Menschen, die an Alzheimer gestorben waren, und der Zusammenhang war frappierend. „Aluminium hatte sich zwar ungleichmäßig im Gehirn verteilt“, sagt Perl, „aber genau dort, wo wir die höchste Konzentration fanden, waren auch die Zerstörungen am massivsten.“ In den beschädigten Regionen lag der Aluminiumanteil beim zwei- bis dreifachen Gehalt den man bei Menschen findet, die an anderen Ursachen gestorben sind.



Perl beschreibt, wie eine kleine Gruppe recht bekannter und im Wissenschafts-Betrieb sehr angesehener Kollegen rund um Henry Wisniewski auf Kongressen und in den Medien ständig lautstark gegen diese These auftrat. „Sie vertraten vehement den Standpunkt, es handle sich bei dem Aluminium, das wir fanden, wohl um Labor-Verunreinigungen oder sonstige schlampige Arbeit.“ – Nach und nach wirkte diese Art der Darstellung, zumal die Gruppe auch stets ausreichend finanzielle Mittel für Übersichts-Artikel zur Sicherheit von Aluminium hatte. „Wir vermuteten schon damals, dass sie von der Aluminium-Industrie finanziert wurden“, sagt Perl. „Später tauchten nach und nach die Beweise auf, dass hier massive Geldmittel geflossen sind und bis heute weiter fließen.“
Allzu offensiv wird dieser Interessenskonflikt jedoch nicht nach außen getragen, wie die Verabredung mit dem Alu-Experten Nicholas Priest belegt. Der Toxikologe stellt sich – über Vermittlung des „International Aluminium Insitute“ in London – in den Büroräumen der Alu-Lobbyisten zum Interview. Thematisiert möchte er diesen Zusammenhang jedoch nicht haben. „Das könnte meiner Glaubwürdigkeit schaden.“ Dass bioaktive Aluminium-Verbindungen neurotoxisch sind, bestreiten jedoch nicht einmal die „Aluminium-Botschafter. Es komme aber immer auf die Dosis an und die sei in den meisten Anwendungen extrem gering.

Jeder Mensch reagiert anders

Grenzwerte anzugeben ist in der Tat schwierig, weil die Menschen - je nach ihrem individuellen genetischen Hintergrund - extrem unterschiedlich reagieren. Bei einer Studie in welcher der Weg von radioaktiv markierten Aluminiumpartikeln im Körper nachverfolgt wurde, fand sich unter den fünf Freiwilligen, die hier teilnahmen, ein Unterschied in der Aluminium-Aufnahme von 300 Prozent. Das heißt, dass manche Personen das Aluminium schwer ausscheiden und die Dreifache Menge im Organismus behalten. Was diese Alien-Partikel dort anstellen ist vollkommen unklar. Die reaktionsfreudigen Metall-Ionen gehen ihre Bindungen nach dem Zufallsprinzip ein und verdrängen andere chemische Elemente. Bislang sind mehr als 200 biochemische Abläufe bekannt, welche durch Aluminium beschleunigt, verzögert oder gar unterbunden werden.
Der Pariser Neuropathologe Romain Gherardi schätzt den Anteil der Aluminium-Akkumulierer in der Bevölkerung auf etwa ein Prozent. "Wenn es uns gelingen würde, diesen Personenkreis über einen geeigneten Test zu identifizieren, so könnten wir hier gezielt Vorsichtsmaßnahmen setzen." Dafür wäre es allerdings dringend notwendig, so Gherardi, dass in allen Bereichen, wo Aluminium sinnvoll eingesetzt wird, auch Alu-freie Alternativen angeboten werden. "Dies gilt vor allem für Impfungen, wo Aluminiumhaltige Hilfsstoffe als Wirkverstärker verwendet werden."

Was Aluminium anrichten kann, erlebte Herwig Holzer der an der medizinischen Universität Graz viele Jahre lang die Abteilung für Nierenkrankheiten geleitet hat. In den 1970er Jahren wurde weltweit ein beunruhigendes Phänomen in Dialyse-Stationen beobachtet: „Wir haben damals ungewöhnlich viele neurologische Fälle mit schweren Ausfallserscheinungen  beobachtet“, sagt Holzer. „Besonders bei jungen Menschen sind Schlaganfall-ähnliche, Alzheimer-ähnliche Bilder entstanden.“ Das Phänomen ging als „Dialyse-Demenz“ in die Medizingeschichte ein. Als Auslöser wurden neuartige Medikamente identifiziert, welche Aluminiumhydroxid als Wirkstoff enthielten.  „Als wir das Problem erkannt haben, haben wir das Aluminiumhydroxid sofort abgesetzt“, sagt Holzer. Es war dann auch gleich eine Absenkung der Blutspiegel festzustellen. Entgegen der Hoffnung Holzers gab es bei den neurologischen Defiziten der Patienten jedoch keine Besserung mehr. „Es ist eben das Problem gewesen, dass das Aluminium schon im Gehirn war und dort seine toxische Wirkung verbreitet hat so dass Heilungen nicht mehr beobachtet wurden.“

Ähnliche Medikamente sind heute noch immer im Umlauf, werden aber nicht mehr an Dialyse-Stationen – sondern in den Apotheken als Mittel gegen Sodbrennen oder zum „Magenschutz“ abgegeben. Manche davon sogar rezeptfrei. Im Kleingedruckten der Patienteninformation wird vor Langzeit-Einnahme gewarnt. Dies könnte zu Demenz führen. Bei längerer Anwendung sollten jedenfalls die Aluminiumspiegel im Blut kontrolliert werden.

Allergien auf Bestellung

Erika Jensen-Jarolim und ihre Forschergruppe an der Universität Wien verwenden diese Mittel, um im Tiermodell Allergien – von Asthma bis zu Nahrungsmittel-Allergien – auszulösen. „Egal ob die Mittel injiziert oder verfüttert werden“, erklärt Jensen-Jarolim „mit Hilfe von Aluminium gelingt es, das Immunsystem der Tiere gezielt gegen eine gleichzeitig verabreichte Substanz scharf zu machen.“
Nun zeigen aktuelle Studien, dass sich dieses Risiko nicht auf Tiere beschränkt. In der Schwangerschaft leiden wegen des Zwerchfell-Hochstandes etwa die Hälfte der Frauen unter Sodbrennen. „Wenn diese Frauen Aluminium-haltige Medikamente nehmen“, erklärt Jensen-Jarolim, „so haben ihre Kinder ein doppelt so hohes Risiko einer Allergie.“

Krebs, Allergien, Alzheimer – die Liste der möglichen Aluminium-assoziierten Risiken ist lang. Der britische Umwelt-Toxikologe Christopher Exley hat dazu eine aufwändige Literatur-Recherche unternommen und Hinweise aus der Fachliteratur nach einer möglichen Beteiligung von Aluminium gewertet. Die Liste der Verdächtigen ist lange und prominent besetzt.

Christopher Exley, Aluminium-Experte der englischen Keele University
(Foto: Bert Ehgartner)

Auf internationale Konferenzen hört man nach wie vor wenig von derartigen Zusammenhängen. Exley hat bereits in den 90er Jahren die Konsequenz gezogen und veranstaltet selbst – alle zwei Jahre – Fachkonferenzen zur Aluminium-Forschung. Er vernetzt dabei etwa 600 Arbeitsgruppen weltweit, die – auch unter widrigsten Förderungs-Bedingungen – wissenschaftliche Forschung betreiben.
Im Februar findet nun das „10. Keele Meeting on Aluminium“ im englischen Winchester statt. Die Liste der eingereichten Forschungsarbeiten ist schon jetzt beeindruckend lang. Mit Massenbesuch wie bei den Alzheimer-Konferenzen ist jedoch nicht zu rechnen. „Wir bekommen keinerlei Förderung“, sagt Exley. „Jeder Teilnehmer muss alle Kosten selbst tragen.“

Die Brustkrebs-Patientin Sonja T. hat mittlerweile jedenfalls die Konsequenzen gezogen und ihre Alu-Deos entsorgt. „Ich glaube jedoch nicht, dass das der Auslöser für meine Krebserkrankung war“, sagt sie. Und fügt hinzu, dass das ein reichlich unerträglicher Gedanke wäre.

Das ist die Langversion eines Artikels, der am 21. November 2012 im österreichischen  Nachrichtenmagazin profil erschienen ist. 

Liste der mit Aluminium assoziierten Krankheiten

Die Tabelle ist gekürzt und stammt aus der Arbeit „Aluminium and Medicine“ von Christopher Exley. Der britische Aluminium-Experte führt darin jene Krankheiten an, die in der wissenschaftlichen Literatur mit dem Einfluss von Aluminium in Verbindung gebracht wurden. Im Ranking von 1 bis 10 wertet Exley die Wahrscheinlichkeit, dass sich die (Mit-)Beteiligung von Aluminium an der Entstehung der Krankheit in Zukunft erweisen wird. Eine Bewertung mit 1 bedeutet demnach, dass eine Beteiligung unwahrscheinlich – eine Bewertung mit 10 dass diese bereits erwiesen ist.


(die Tabelle stammt aus dem Buch "Molecular and Supramolecular Bioinorganic Chemistry", Herausgeber: ALR Merce et al., Nova Science Publishers, 2008)