Gesundheit ist heute kein Lotteriespiel mehr. Vielen Krankheiten kann vorgebeugt werden. Wir wissen etwa, dass unsere Umwelt und unsere Lebensbedingungen Einfluss auf die Gesundheit nehmen. So schaden Rauchen, Übergewicht und Mangel an Bewegung dem Herzen. Darüber hinaus entschlüsseln Forscher zunehmend Gene, die für die herkömmlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich sind. Kann Prävention aufgezwungen werden? Was kostet sie? Kann ein Arzt einem Patienten die Behandlung verweigern, wenn dieser „riskant“ lebt?
Zu diesem Themenkreis diskutiere ich am 25. Mai im Rahmen des "EURAC science cafès" in Bozen mit Arne Pfeufer, Arbeitsgruppenleiter am EURAC-Institut für Genetische Medizin in Bozen. Moderiert wird die Veranstaltung von Jeanne Turczynski, Redakteurin in der Redaktion Wissenschaft und Bildung des Bayrischen Rundfunks. Beginn ist um 20,30 Uhr.
Montag, 23. Mai 2011
Dienstag, 17. Mai 2011
Sonntag, 15. Mai 2011
Studie: Je mehr Impfungen, desto höher die Kindersterblichkeit
In keinem Land werden die Babys häufiger geimpft als in den USA. Der erste Termin (Hepatitis B) folgt unmittelbar nach der Geburt, 25 weitere Impfdosen kommen im Lauf des ersten Lebensjahres dazu, um den Kindern den maximalen Schutz zu bieten. Zwei US-Impfexperten prüften, ob diese Rechnung auch tatsächlich auf geht und fanden einen beunruhigenden Zusammenhang: In Industrieländern wo mehr geimpft wird, ist die Kindersterblichkeit nicht geringer, sondern höher.
Die Anfang Mai im Journal "Human and Experimental Toxicology" publizierte Arbeit stammt von Neil Z. Miller und Gary S. Goldman. Beide sind selbstständig tätige Impfexperten, die sich seit Jahren - meist kritisch - mit der aktuellen Impfpraxis in den USA befassen. Goldman ist der Gründer der Plattform Medical Veritas. In mehreren Arbeiten, die zum Teil hochrangig publiziert wurden und für enorme Aufmerksamkeit sorgten, berichtete er über einen dramatischen Anstieg der Gürtelrose - in Folge der in den USA bereits seit den 90er Jahren üblichen Massenimpfung gegen Windpocken. (Näheres dazu in diesem Beitrag)
In der aktuellen Arbeit suchten die beiden nach einer Methode, die Anzahl der Impfungen mit einem objektiven Maßstab für das Überleben der Kinder in Verbindung zu setzen. Als Quellen verwendeten sie die internationalen Statistiken der CIA zur Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr, sowie eine Übersicht zu den nationalen Impfplänen.
In die Analyse aufgenommen wurden - ausgehend von den USA - alle Länder mit einer niedrigeren Kindersterblichkeit. Im World Factbook zur Kindersterblichkeit während des ersten Lebensjahres lagen die USA auf Rang 34, folglich galt es für 34 Länder die nationalen Impfpläne zu sammeln. Die europäischen Impfpläne entnahmen Miller und Goldman dem von der EU geförderten EUVAC-Netzwerk.
Bei der Auswertung ergab sich ein signifikanter linearer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Impfungen und der Kindersterblichkeit. Der Zusammenhang war allerdings nicht - wie von den Gesundheitsbehörden postuliert - indirekt proportional: Dass ein Mehr an Impfungen schützt und nützt und zur niedrigeren Sterblichkeit der Babys während des riskanten ersten Lebensjahres beiträgt. Im Gegenteil, das Ergebnis lautete: Je mehr Impfungen, desto höher die Sterblichkeit.
Miller und Goldman leiten daraus die Frage ab, ob bestimmte Todesfälle mit einem Übermaß an Impfungen zu tun haben könnten. Und sie schreiben:
Doch der Reihe nach. Sehen wir uns zunächst an, wie Miller und Goldman zu ihren Schlüssen kommen. Als Grundeinheit für die Menge an Impfungen, denen die Babys in den verschiedenen Ländern ausgesetzt werden, definierten die Autoren eine "Impfdosis" folgendermaßen:
Eine Dreifach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis/Keuchhusten (DTaP) wurde demnach als drei Impf-Dosen gezählt. Die in Deutschland oder Österreich übliche Sechsfachimpfung für Babys als sechs Impf-Dosen.
In den USA umfasst der Impfplan für die Babys im ersten Lebensjahr dreimal die DTP-Impfung, dreimal Polio, dreimal Hib, dreimal Hepatitis B, dreimal Pneumokokken, dreimal Rotavirus und zweimal Influenza-Impfung. Das sind insgesamt 26 Dosen. In Kanada ist der Impfplan nur unwesentlich dünner besiedelt: Anstelle der Rotavirus-Impfung wird die Meningokokken-Impfung verabreicht, die Influenza Impfung ist nur einmal und nicht zweimal empfohlen.
In der Kindersterblichkeit liegen die USA auf Rang 34 mit 6,22 Todesfällen pro 1000 lebendgeborenen Kindern während des ersten Lebensjahres. Nahezu ebenso schlecht – auf Rang 31 – liegt Italien mit 5,51 Todesfällen, ein Land mit reich gefülltem Impfplan, der über die herrschende Impfpflicht nach dem Vorbild der USA auch noch besonders resolut umgesetzt wird. Kanada hält bei 5,04 Todesfällen und Rang 28.
Deutschland (3,99 Todesfälle) und Österreich (4,42 Todesfälle) rangieren im Vergleich der Industrieländer im Mittelfeld.
Die Rangliste der Länder mit der niedrigsten Sterblichkeit wird von Singapur (2,31 Todesfälle), Schweden (2,75) und Japan (2,79) angeführt.
Singapur kommt laut nationalem Impfplan auf 17 Impf-Dosen, Schweden und Japan mit 12 Dosen nicht einmal auf die Hälfte der in den USA oder Kanada verabreichten Impfungen.
In der Szene der Pro-Impf Blogger hat die Arbeit von Miller und Goldstein für helle Empörung gesorgt. Catherina fühlte sich auf Just the Vax an die alte These erinnert, dass der Storch die Babys bringt und zerriss die Methodik der Arbeit in der Luft. Recht ähnlich die Kritik von David Gorski auf seinem blog Sciene Based Medicine.
Mir selbst stieß beim Lesen der Studie auch einiges auf. Ich kontaktierte Neil Miller per mail und machte ihn darauf aufmerksam, dass der deutsche Impfplan in der Studie falsch übernommen wurde, weil die Hepatitis B-Impfung (die in der Sechsfachimpfung enthalten ist) fehlt. Miller schrieb zurück, dass ihm der Fehler leid tue und er das für die Print-Ausgabe des Journals korrigieren werde. Er habe die Auswertung von seinem Statistiker noch einmal nachrechnen lassen - an der zentralen Aussage der Arbeit ergäbe sich dadurch aber keine Änderung.
Weiters missfiel mit die von den Autoren gewählte Einheit der "Impfdosis". Denn eine Sechsfachimpfung ist sicherlich schonender für die Babys als die Verabreichung derselben "Impfdosis" in Form einer Dreifach- und drei Einzelimpfungen, wie das in den USA üblich ist. Mit diesen vier Impfungen werden auch viermal die Aluminium-haltigen Wirkverstärker, Konservierungsmittel, Stabilisatoren und sonstige Zusatzstoffe verabreicht. Nirgends wird den Babys demnach so eine hohe Dosis der bekannt problematischen Aluminium-Verbindungen verabreicht wie in den USA oder Kanada. Hätten die Autoren die Einheit anders gewählt, wäre der von ihnen gefundene Zusammenhang möglicherweise noch deutlicher gewesen.
Eine weitere Schwäche der Arbeit ist die Nicht-Berücksichtigung der Impfrate. Es macht ja einen gewaltigen Unterschied, ob eine behördliche Impfempfehlung, von der Bevölkerung angenommen oder ignoriert wird.
Ein Beispiel hierfür ist die teure Pneumokokken-Impfung, die in Österreich behördlich empfohlen, von den Kassen - im Gegensatz zu Deutschland - aber nicht bezahlt wird. Zwar gibt es immer wieder verbilligte Impfaktionen, dennoch sind nicht einmal 20 Prozent der österreichischen Babys gegen Pneumokokken geimpft. Die Impfrate in Deutschland liegt hingegen über 80 Prozent.
Auf derartige Unterschiede nimmt die aktuelle Studie keine Rücksicht. Der Aufwand, in 34 Ländern diese Daten auszukundschaften, hätte ihre Möglichkeiten überstiegen, entgegnete mir Miller auf meinen diesbezüglichen Vorhalt.
Sicherlich gibt es - außer den Impfraten - noch eine Unzahl weiterer Einflüsse auf das Überleben der Babys im ersten Lebensjahr. Dazu zählen soziale Maßnahmen, etwa eine ausreichende materielle Absicherung der Mütter, ebenso wie Fragen der medizinischen Infrastruktur, die in den Ländern unterschiedlich entwickelt sind.
Dennoch halte ich es für unverschämt, wenn nun allein der Forschungs-Ansatz, den Miller und Goldman gewählt haben, bereits als eine Art Sakrileg gilt, oder als unzulässige Korrelation zweier nicht zusammenhängender Einflüsse abgewertet wird.
Impfungen und Kindersterblichkeit haben wahrlich mehr miteinander zu tun als die Anzahl der Störche mit den Geburten. Allein schon deshalb, weil ja die Impfungen in allen Ratgebern als deklarierte Maßnahme zur Senkung der Kindersterblichkeit beworben werden. Von einem offiziellen Ansiedlungsprogramm für Störche zur Förderung der Geburtenzahl in der Region habe ich hingegen noch nie etwas gehört.
Es muss erlaubt sein, auch im Bereich des Impfwesens "ungehörige" Fragen zu stellen und althergebrachte Wahrheiten auf ihre tatsächliche Relevanz zu prüfen.
Wenn sich nun in der vorliegenden Arbeit heraus stellt, dass die Häufigkeit der Impfungen nicht positiv sondern negativ mit dem Überleben der Kinder korreliert, so halte ich das noch keinesfalls für eine gültige Schlussfolgerung. Zumal die Studie so viele Schwächen und Fragezeichen beinhaltet.
Miller und Goldman können aber durchaus das Verdienst beanspruchen, dass es nun nicht mehr so einfach möglich ist, unwidersprochen und ohne jegliche Beweispflicht festzustellen, dass Impfungen selbstverständlich die Kindersterblichkeit senken. Und dass jene Länder, die ihre Kinder am meisten impfen, die Kindersterblichkeit am meisten senken.
Für diese Aussage gibt es keinen Beleg.
Insofern haben Miller und Goldman einen recht einfachen Weg gefunden, Dogmen des Impfwesens in Frage zu stellen, ohne Millionen an Forschungsgeldern auftreiben zu müssen, die für impfkritische Forschungsfragen im Normalfall ohnehin nie gewährt werden.
Wenn man dieses Konzept weiter verfolgt und zudem auch die internationalen Impfpläne ordentlich aufarbeitet, so sind durchaus noch einige weitere Fragen möglich, die über die Korrelation zwischen Impfungen und der Inzidenz bestimmter Krankheiten geprüft werden könnten. Wenn das wissenschaftlich korrekt und mit nachvollziehbarer Methodik durchgeführt wird, so fiele es auch schwer das von medizinischer Seite abzutun, zumal der Zusammenhang von Dosis und Wirkung ja eine der zentralen Lehrsätze naturwissenschaftlichen Denkens darstellt.
Insofern könnte man folgende weitere - als selbstverständlich angesehene - Wahrheiten des Impfwesens einem Elchtest unterziehen:
Ich halte die Möglichkeit, dass diese Dogmen ebenfalls kippen, für durchaus gegeben.
Die Anfang Mai im Journal "Human and Experimental Toxicology" publizierte Arbeit stammt von Neil Z. Miller und Gary S. Goldman. Beide sind selbstständig tätige Impfexperten, die sich seit Jahren - meist kritisch - mit der aktuellen Impfpraxis in den USA befassen. Goldman ist der Gründer der Plattform Medical Veritas. In mehreren Arbeiten, die zum Teil hochrangig publiziert wurden und für enorme Aufmerksamkeit sorgten, berichtete er über einen dramatischen Anstieg der Gürtelrose - in Folge der in den USA bereits seit den 90er Jahren üblichen Massenimpfung gegen Windpocken. (Näheres dazu in diesem Beitrag)
In der aktuellen Arbeit suchten die beiden nach einer Methode, die Anzahl der Impfungen mit einem objektiven Maßstab für das Überleben der Kinder in Verbindung zu setzen. Als Quellen verwendeten sie die internationalen Statistiken der CIA zur Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr, sowie eine Übersicht zu den nationalen Impfplänen.
In die Analyse aufgenommen wurden - ausgehend von den USA - alle Länder mit einer niedrigeren Kindersterblichkeit. Im World Factbook zur Kindersterblichkeit während des ersten Lebensjahres lagen die USA auf Rang 34, folglich galt es für 34 Länder die nationalen Impfpläne zu sammeln. Die europäischen Impfpläne entnahmen Miller und Goldman dem von der EU geförderten EUVAC-Netzwerk.
Bei der Auswertung ergab sich ein signifikanter linearer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Impfungen und der Kindersterblichkeit. Der Zusammenhang war allerdings nicht - wie von den Gesundheitsbehörden postuliert - indirekt proportional: Dass ein Mehr an Impfungen schützt und nützt und zur niedrigeren Sterblichkeit der Babys während des riskanten ersten Lebensjahres beiträgt. Im Gegenteil, das Ergebnis lautete: Je mehr Impfungen, desto höher die Sterblichkeit.
Miller und Goldman leiten daraus die Frage ab, ob bestimmte Todesfälle mit einem Übermaß an Impfungen zu tun haben könnten. Und sie schreiben:
A closer inspection of correlations between vaccine doses, biochemical or synergistic toxicity, and Infant-Mortality-Rates, is essential. All nations—rich and poor, advanced and developing—have an obligation to determine whether their immunization schedules are achieving their desired goals.
Doch der Reihe nach. Sehen wir uns zunächst an, wie Miller und Goldman zu ihren Schlüssen kommen. Als Grundeinheit für die Menge an Impfungen, denen die Babys in den verschiedenen Ländern ausgesetzt werden, definierten die Autoren eine "Impfdosis" folgendermaßen:
A vaccine dose is an exact amount of medicine or drug to be administered. The number of doses a child receives should not be confused with the number of ‘vaccines’ or ‘injections’ given. For example, DTaP is given as a single injection but contains three separate vaccines (for diphtheria, tetanus, and pertussis) totaling three vaccine doses.
Eine Dreifach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis/Keuchhusten (DTaP) wurde demnach als drei Impf-Dosen gezählt. Die in Deutschland oder Österreich übliche Sechsfachimpfung für Babys als sechs Impf-Dosen.
In den USA umfasst der Impfplan für die Babys im ersten Lebensjahr dreimal die DTP-Impfung, dreimal Polio, dreimal Hib, dreimal Hepatitis B, dreimal Pneumokokken, dreimal Rotavirus und zweimal Influenza-Impfung. Das sind insgesamt 26 Dosen. In Kanada ist der Impfplan nur unwesentlich dünner besiedelt: Anstelle der Rotavirus-Impfung wird die Meningokokken-Impfung verabreicht, die Influenza Impfung ist nur einmal und nicht zweimal empfohlen.
In der Kindersterblichkeit liegen die USA auf Rang 34 mit 6,22 Todesfällen pro 1000 lebendgeborenen Kindern während des ersten Lebensjahres. Nahezu ebenso schlecht – auf Rang 31 – liegt Italien mit 5,51 Todesfällen, ein Land mit reich gefülltem Impfplan, der über die herrschende Impfpflicht nach dem Vorbild der USA auch noch besonders resolut umgesetzt wird. Kanada hält bei 5,04 Todesfällen und Rang 28.
Deutschland (3,99 Todesfälle) und Österreich (4,42 Todesfälle) rangieren im Vergleich der Industrieländer im Mittelfeld.
Die Rangliste der Länder mit der niedrigsten Sterblichkeit wird von Singapur (2,31 Todesfälle), Schweden (2,75) und Japan (2,79) angeführt.
Singapur kommt laut nationalem Impfplan auf 17 Impf-Dosen, Schweden und Japan mit 12 Dosen nicht einmal auf die Hälfte der in den USA oder Kanada verabreichten Impfungen.
In der Szene der Pro-Impf Blogger hat die Arbeit von Miller und Goldstein für helle Empörung gesorgt. Catherina fühlte sich auf Just the Vax an die alte These erinnert, dass der Storch die Babys bringt und zerriss die Methodik der Arbeit in der Luft. Recht ähnlich die Kritik von David Gorski auf seinem blog Sciene Based Medicine.
Mir selbst stieß beim Lesen der Studie auch einiges auf. Ich kontaktierte Neil Miller per mail und machte ihn darauf aufmerksam, dass der deutsche Impfplan in der Studie falsch übernommen wurde, weil die Hepatitis B-Impfung (die in der Sechsfachimpfung enthalten ist) fehlt. Miller schrieb zurück, dass ihm der Fehler leid tue und er das für die Print-Ausgabe des Journals korrigieren werde. Er habe die Auswertung von seinem Statistiker noch einmal nachrechnen lassen - an der zentralen Aussage der Arbeit ergäbe sich dadurch aber keine Änderung.
Weiters missfiel mit die von den Autoren gewählte Einheit der "Impfdosis". Denn eine Sechsfachimpfung ist sicherlich schonender für die Babys als die Verabreichung derselben "Impfdosis" in Form einer Dreifach- und drei Einzelimpfungen, wie das in den USA üblich ist. Mit diesen vier Impfungen werden auch viermal die Aluminium-haltigen Wirkverstärker, Konservierungsmittel, Stabilisatoren und sonstige Zusatzstoffe verabreicht. Nirgends wird den Babys demnach so eine hohe Dosis der bekannt problematischen Aluminium-Verbindungen verabreicht wie in den USA oder Kanada. Hätten die Autoren die Einheit anders gewählt, wäre der von ihnen gefundene Zusammenhang möglicherweise noch deutlicher gewesen.
Eine weitere Schwäche der Arbeit ist die Nicht-Berücksichtigung der Impfrate. Es macht ja einen gewaltigen Unterschied, ob eine behördliche Impfempfehlung, von der Bevölkerung angenommen oder ignoriert wird.
Ein Beispiel hierfür ist die teure Pneumokokken-Impfung, die in Österreich behördlich empfohlen, von den Kassen - im Gegensatz zu Deutschland - aber nicht bezahlt wird. Zwar gibt es immer wieder verbilligte Impfaktionen, dennoch sind nicht einmal 20 Prozent der österreichischen Babys gegen Pneumokokken geimpft. Die Impfrate in Deutschland liegt hingegen über 80 Prozent.
Auf derartige Unterschiede nimmt die aktuelle Studie keine Rücksicht. Der Aufwand, in 34 Ländern diese Daten auszukundschaften, hätte ihre Möglichkeiten überstiegen, entgegnete mir Miller auf meinen diesbezüglichen Vorhalt.
Sicherlich gibt es - außer den Impfraten - noch eine Unzahl weiterer Einflüsse auf das Überleben der Babys im ersten Lebensjahr. Dazu zählen soziale Maßnahmen, etwa eine ausreichende materielle Absicherung der Mütter, ebenso wie Fragen der medizinischen Infrastruktur, die in den Ländern unterschiedlich entwickelt sind.
Dennoch halte ich es für unverschämt, wenn nun allein der Forschungs-Ansatz, den Miller und Goldman gewählt haben, bereits als eine Art Sakrileg gilt, oder als unzulässige Korrelation zweier nicht zusammenhängender Einflüsse abgewertet wird.
Impfungen und Kindersterblichkeit haben wahrlich mehr miteinander zu tun als die Anzahl der Störche mit den Geburten. Allein schon deshalb, weil ja die Impfungen in allen Ratgebern als deklarierte Maßnahme zur Senkung der Kindersterblichkeit beworben werden. Von einem offiziellen Ansiedlungsprogramm für Störche zur Förderung der Geburtenzahl in der Region habe ich hingegen noch nie etwas gehört.
Es muss erlaubt sein, auch im Bereich des Impfwesens "ungehörige" Fragen zu stellen und althergebrachte Wahrheiten auf ihre tatsächliche Relevanz zu prüfen.
Wenn sich nun in der vorliegenden Arbeit heraus stellt, dass die Häufigkeit der Impfungen nicht positiv sondern negativ mit dem Überleben der Kinder korreliert, so halte ich das noch keinesfalls für eine gültige Schlussfolgerung. Zumal die Studie so viele Schwächen und Fragezeichen beinhaltet.
Miller und Goldman können aber durchaus das Verdienst beanspruchen, dass es nun nicht mehr so einfach möglich ist, unwidersprochen und ohne jegliche Beweispflicht festzustellen, dass Impfungen selbstverständlich die Kindersterblichkeit senken. Und dass jene Länder, die ihre Kinder am meisten impfen, die Kindersterblichkeit am meisten senken.
Für diese Aussage gibt es keinen Beleg.
Insofern haben Miller und Goldman einen recht einfachen Weg gefunden, Dogmen des Impfwesens in Frage zu stellen, ohne Millionen an Forschungsgeldern auftreiben zu müssen, die für impfkritische Forschungsfragen im Normalfall ohnehin nie gewährt werden.
Wenn man dieses Konzept weiter verfolgt und zudem auch die internationalen Impfpläne ordentlich aufarbeitet, so sind durchaus noch einige weitere Fragen möglich, die über die Korrelation zwischen Impfungen und der Inzidenz bestimmter Krankheiten geprüft werden könnten. Wenn das wissenschaftlich korrekt und mit nachvollziehbarer Methodik durchgeführt wird, so fiele es auch schwer das von medizinischer Seite abzutun, zumal der Zusammenhang von Dosis und Wirkung ja eine der zentralen Lehrsätze naturwissenschaftlichen Denkens darstellt.
Insofern könnte man folgende weitere - als selbstverständlich angesehene - Wahrheiten des Impfwesens einem Elchtest unterziehen:
- Die Anzahl der Impfungen hat nichts mit der Häufigkeit von ADHS zu tun.
- Je mehr Impfungen desto weniger Allergien
- Je mehr Impfungen desto niedriger ist das Asthma-Risiko
- Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autoimmun-Krankheiten
- Die in den Impfungen enthaltene Menge an Aluminium hat überhaupt nichts mit der länderspezifischen Inzidenz von Autismus zu tun.
Ich halte die Möglichkeit, dass diese Dogmen ebenfalls kippen, für durchaus gegeben.
Mittwoch, 4. Mai 2011
Der Ursprung der Schönheit
Der Münchner Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf über den evolutionären Zweck der Schönheit und Darwins größtes Dilemma.
Ehgartner: Nach Charles Darwin ist die natürliche Selektion eines der wichtigsten Kriterien der Evolution. Die am besten an ihre Umgebung angepassten Individuen überleben. Sind da nicht manche auffällig gefärbte Tiere viel zu schön um zu überleben?
Reichholf: Diese Frage war Darwins Dilemma und hat ihn sehr beschäftigt. Wir wissen heute, dass Anpassung eine Möglichkeit ist, aber nicht unbedingt eine Notwendigkeit. Schönheit kann evolutionäre Vorteile bieten, die jene der simplen Tarnung weit übersteigen.
Ehgartner: Warum erscheinen uns die Schmetterlinge so schön?
Reichholf: Das hat mehrere Gründe. Wenn das Tagpfauenauge seine Flügel präsentiert, so wirkt es auf Feinde wie das plötzliche Auftauchen eines Augenpaares. Es entsteht eine Abschreckwirkung. Ich habe beobachtet, wie eine Katze vor Schreck fast abgestürzt ist, als das Tagpfauenauge, das mit zusammen geklappten Flügeln da saß plötzlich diese aufmachte – und plötzlich das große Augenpaar vor der Katze war. Und ähnlich ergeht es den Vögeln. Man kann das Präsentieren auch mit leichtem Anstoßen regelrecht auslösen. Wer das nicht weiß, da erschrickt auch der Mensch für eine Sekunde. Das führt weiter zu den Warnfarben vor Giftigkeit. Und die müssen in klaren Mustern erscheinen, damit sich das den Fressfeinden einprägt. Deshalb sind das auch keine unregelmäßige Flecken. Denken Sie an das Wespenmuster: gelb-schwarz.
Dann kommen Muster der dritten Kategorie, die herausgelöst aus der natürlichen Umgebung ungewöhnlich wirken. Wenn man die Tiere aber in ihrem Umfeld beobachtet, so merkt man, dass auch grelle Farben tarnend sein können. Etwa bei den großen Morphofaltern Südamerikas (Foto) mit ihrem fantastischen Blau, wo man denkt, das muss doch auffallen und Feinde anziehen. Aber das tut es nicht. Diese Tiere fliegen im Tropenwald, der sehr schattig ist. Dann kommen aber Lichtzonen, der Schmetterling blitzt auf und ist im nächsten Moment verschwunden, weil er wieder in den Schatten kommt. Die Vögel treibt das zur Verzweiflung, weil dieser große Schmetterling da und dort aufblitzt und dann sofort wieder verschwindet.
Ehgartner: Mit der Partnerwahl hat diese auffallende Färbung also gar nichts zu tun?
Reichholf: Nein, und darum habe ich das in meinem Buch auch gar nicht behandelt, weil die sexuelle Selektion hier kaum eine Rolle spielt. Eine Ausnahme ist der Zitronenfalter. Da sind die Weibchen, so wie Kohlweißlinge ganz hell und die Männchen zitronengelb. Sie wirken damit auf die Weibchen sehr wohl anlockend, die Weibchen tarnen sich aber – und sehen täuschend den schlecht schmeckenden Kohlweißlingen ähnlich. Die Vögel wissen, diese Schmetterlinge schmecken scheußlich. Das ist für die Weibchen ganz wichtig, weil sie den Hinterleib voller Eier haben und deshalb langsamer sind.
Die Männchen brauchen das nicht. Deshalb können sie auffälliger sein und überleben trotzdem besser. Wo immer sie nachsehen, sie werden sicher mehr Männchen vom Zitronenfalter finden als Weibchen.
Ehgartner: Gilt das auch für die Stockenten, wo ja die Männchen prächtig bunt sind – die Weibchen hingegen tarnfarben braun?
Reichholf: Ja, die Weibchen sitzen dann auf den Gelegen und müssen sich vor den Feinden tarnen. Trotzdem sind sie seltener als die Männchen, weil diese auf sich schauen können und nicht an einen Platz gebunden sind. Der Erpel haut halt ab, wenn der Habicht kommt oder der Fuchs. Die Ente muss zum Gelege zurück, sonst ist ihre ganze Investition beim Teufel.
Ehgartner: Das heißt es geht in der Natur sehr viel um Energie, die möglichst rationell investiert wird. Worauf achtet denn ein Weibchen, wenn sie sich den passenden Erpel aussucht?
Reichholf: Die Erpel unterscheiden sich wenig. Ein Männchen muss einfach dem Schema dieser charakteristischen Färbung entsprechen. Er sollte keine Mängel in der Gefieder-Zeichnung haben. Diese Männchen werden nur dann akzeptiert, wenn – etwa in der Haustierhaltung - keine Normalfarbenen vorhanden sind. Aber ob der Kopf jetzt etwas mehr oder weniger grün schillert, das macht keinen Unterschied. Die Weibchen wählen, während die Männchen eine Balzgruppe bilden, jene Erpel, die am ausdauernsten balzen. Das sind die körperlich fitten. Es geht um den Aspekt, was die Kerle leisten können, weniger, wie sie aussehen.
Ehgartner: Manche Tiere scheinen wie geschaffen für Fressfeinde. Wie ist es erklärbar, dass ein Pfau in der Wildnis überleben konnte. Diese extravagante Schönheit behindert ihn doch stark im Fluchtverhalten.
Reichholf: Das scheint nur so. Zum einen wirkt der Pfau mit seinem eindrucksvollen Rad und den vielen Augen abschreckend auf Angreifer, zum zweiten kann er die Federn im Notfall über den Mechanismus einer Schreckmauser spontan abwerfen. Die Energie, die Weibchen in die Aufzucht der Jungen investieren, geht bei den Männchen in die Schönheit.
Ehgartner: Was zeichnet denn Tierarten aus, wo Männchen und Weibchen optisch kaum zu unterscheiden sind?
Reichholf: Während etwa die Erpel der Stockenten spätestens dann, wenn die Weibchen auf dem Gelege sitzen, wieder ihrer Wege gehen, sind bei diesen Arten die Männchen voll in die Aufzucht der Jungen involviert. Dazu zählen viele Singvogelarten, bei denen die Investition in den Nachwuchs zwischen den Geschlechtern nahezu gleich ist. In der Zeit der Balz gleichen die Männchen diesen Mangel an Schönheit dadurch aus, dass sie sehr gut und variantenreich singen. Die Nachtigall ist ja das Musterbeispiel mit einer Farbe die so unscheinbar ist, dass man sie kaum beschreiben kann, aber ein fantastischer Gesang der Männchen, wo sich auch jedes individuell vom anderen unterscheidet, so dass die Nachbarn immer genau wissen, wer da jetzt singt und ob es sich lohnt, hier eine Rauferei anzufangen, oder ob die Verhältnisse eh schon klar sind.
Ehgartner: Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass die Stockenten-Erpel nicht mit ihrer Balz aufhören, wenn die Weibchen längst brüten, sondern sich mit den anderen Männchen weiter in ihrer Balzgruppe treffen. Was bezwecken sie damit?
Reichholf: Das ist eine Neuinterpretation von mir, die ich hier vorlege. Ich habe überall in der Literatur nachgeforscht, warum das so ist und keine Erklärung gefunden. Ich habe nun eine wie ich denke plausible Interpretation. Die Weibchen verlieren ja zu einem hohen Prozentsatz ihre Gelege, wenn die von Feinden entdeckt werden. Wenn die Enten noch gut in Form sind, können sie ein Nachgelege fabrizieren. Aber es muss ja jedes Ei zur rechten Zeit, bevor die Kalkschale abgelagert wird, befruchtet werden. Also brauchen diese Enten sofort wieder einen Erpel, der das Sperma liefert. Da aber bei den Vögeln die Aktivitätszeit der Gonaden sehr klar mit der Fortpflanzung verbunden sind und dann rasch wieder abnimmt, so dass die Männchen einen Großteil des Jahres Neutren sind, würde das bedeuten, dass die Enten, wenn sie ihr Gelege verlieren und ihr Erpel sie verlassen hat und die anderen Erpel auch nicht mehr in Balzstimmung sind und kein Sperma produzieren, dass sie niemand finden. Wenn sich aber die Erpel gegenseitig in dieser Männergruppe permanent stimulieren, so bleiben die Hoden aktiv. Und wenn ein Weibchen kommt, können sie die Eier wieder befruchten.
Ehgartner: Wobei das für die Weibchen auch ein hohes Risiko bedeutet.
Reichholf: Ja, das ist die andere Seite. Es kommt zu Vergewaltigungen, weil die Erpel noch voll aktiv sind – und die Weibchen immer rarer werden, weil sich die meisten mit dem Gelege zurück gezogen haben. Dadurch besteht eine große Gefahr für die verbleibenden Enten, vergewaltigt zu werden. Unter Umständen bis zum Tod.
Ehgartner: Bei anderen Tierarten, wie etwa den Schimpansen, erkennen die Männchen an typischen Genitalschwellungen, wenn die Weibchen befruchtungsfähig sind. Warum ist das bei den Menschen so anders als bei den Primaten?
Reichholf: Diese Frage habe ich befürchtet, weil sich die meisten Biologen darum herumdrücken. Wir haben zwei klare Befunde. Der eine ist anatomischer Natur. Wir sind ja aufgerichtet, und wenn es zu so einer Schwellung käme wie bei den Menschenaffen, so könnte die Menschenfrau nicht mehr gehen. Das darf nicht sein. Die Frage ist, warum es nicht zu einer Art Ersatzsystem kommt. Etwa über den Geruch. Bei der Menschenfrau ist der Eisprung aber gänzlich verborgen. Die verborgene Ovulation ist das größere Rätsel. Nicht einmal der eigene Mann, der in intimster Nähe mit der Frau lebt, kann erkennen, ob sie jetzt fruchtbar ist, oder nicht. Die Frau kann es spüren, auch nicht hundertprozentig, aber doch. So dass bei beabsichtigten Seitensprüngen so genannte Kuckuckskinder zustande kommen, weil die Frauen ihre fruchtbaren Tage dafür eingesetzt haben. Man sagt ja, dass bei Frauen bis zu 20 Prozent der geborenen Babys nicht vom offiziellen Vater stammen. Es ist aber kein verlässliches Zeichen, dass jetzt die Zeit für eine Fortpflanzung günstig wäre. Und deshalb muss es hier eine andere Erklärung geben. Das ist die Notwendigkeit der Bindung von Mann und Frau im Hinblick auf den so klein und hilflos geborenen Nachwuchs. Das Menschenbaby kommt ja wie eine Frühgeburt zur Welt und sollte eigentlich noch fast ein Jahr länger im Mutterleib sein, um den Zustand zu erreichen, in dem zum Beispiel ein Schimpansenbaby geboren wird. Die nachgeburtliche Entwicklung verläuft ebenso langsam, so dass wir erst im Alter von zwölf bis 15 Jahren – anfangen, funktionsfähige Geschlechtsorgane zu bekommen. Da haben die allermeisten Säugetiere längst mehrere erfolgreiche Paarungen und Schwangerschaften vollzogen. Diese lange Phase ist der Grund dafür, dass der Partner verlässlich genug bei ihr bleiben soll, um das Kind und die Mutter über diese Phase der Unselbständigkeit hinaus zu bringen. Die Partnerbindung spielt beim Menschen demnach eine ganz ganz große Rolle. Am besten ausgedrückt wird das über die Eifersucht. Ein Schimpanse wird auch eifersüchtig, wenn er sieht, dass sich ein Weibchen mit einem Nebenbuhler paart. Aber das wirkt nicht nach, das vergeht wie ein kurzes Aufwallen von Zorn. Beim Menschen hingegen kann die Eifersucht anhalten und immens zerstörerisch werden. Diese Bindung – muss in früherer Zeit so notwendig gewesen sein für das Überleben der Menschen, dass dieses zusätzliche Sicherungssystem entstand.
Ehgartner: Liegt hier auch der Grund, warum bei den Menschen – im Gegensatz zu den allermeisten Tieren – die Frau als das schöne Geschlecht gilt. Macht sich die Frau schön, um diese Bindung zu unterstützen?
Reichholf: Ja. Das ist einer der beiden Hauptgründe. Der zweite ist, dass Frauen nur eine vergleichsweise kurze Fortpflanzungsphase haben. Meist stehen mehr Männer zur Verfügung, die Nachwuchs liefern könnten als fortpflanzungsfähige Frauen. Es rücken aber permanent auch jüngere Frauen nach. Die Gegenreaktion ist, sich entsprechend attraktiv zu machen. Das beginnt bei den jungen Mädchen und läuft weiter bis über die fortpflanzungsfähige Phase hinaus, wo sich die Frauen so zurecht machen, dass sie von den äußeren Signalen her den Eindruck erwecken könnten, wenn man es rein biologisch betrachtet – mit intensiv roten Lippen, hochgezogenem Busen – dass sie noch in der Lage sind, Kinder zu bekommen. Auf dieses uralte Signalsystem sprechen die Männer an – und, was ganz besonders wichtig ist: auch die anderen Frauen. Denn die Konkurrenz der Frauen untereinander ist immens große. So dass wir eben das Phänomen haben, dass Frauen immer möglichst anders aussehen wollen als andere Frauen, in der Kleidung, in der Frisur, im Äußeren. Das Individuelle ist viel ausgeprägter als bei den Männern. Die lassen sich fast widerstandslos uniformieren.
Ehgartner: Aber als selteneres Geschlecht haben Frauen doch eine breitere Wahlmöglichkeit. Da müsste der Konkurrenzdruck doch geringer sein?
Reichholf: Das scheint nur so. Bei den Männern sind ja höchst unterschiedliche Verhältnisse. Früher bezog sich das auf die Fähigkeit zu jagen oder die Menge der Rinder, die einer besaß, heute gilt dasselbe für die finanziellen Verhältnisse. Es gibt viele Männer, die wenig zu bieten haben und demnach wenig attraktiv sind. Die können sexuell sehr gut sein, aber sie haben keine Ressourcen, um den Kindern Sicherheit zu geben, oder den Frauen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sich diese in der Konkurrenz der Frauen untereinander entsprechend gut darstellen können. Das ist ja der Hintergrund auch der Harembildung. Männer, die derartig wohlhabend sind, sind ganz besonders attraktiv und deshalb konkurrieren die Frauen um diese wirtschaftlich potenten Männer. Denn sexuell potente Männer können sie sich bei Bedarf ja auch angeln. Aber von dem wollen sie nicht abhängig sein.
Ehgartner: Stärke, Größe und Schönheit, die bei den Tieren wichtig ist, wird bei den Menschen-Männern also durch Ressourcen ersetzt.
Reichholf: Ja, genau. Deshalb ist in Gesellschaften, wo die Großfamilien noch funktionieren das Konkurrenzverhalten der darin etablierten Frauen viel geringer. Weil die Frauen hier die Sicherheit haben, dass die Kinder vom Familienverbund notfalls unterstützt wird. In einer Kernfamilie sind die Frauen aber viel mehr von den wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängig. Und das ist wahrscheinlich auch der Hintergrund, warum Frauen im modernen Arbeitsleben, weil sie selbst die Ressourcen beschaffen müssen, die Kinderzahl so drastisch reduziert haben.
Ehgartner: Wer wählt denn nun den Partner aus? Die Männer oder die Frauen?
Reichholf: Das machen ganz eindeutig die Frauen. Man sieht es ja bei den jungen Männern, wie sich die präsentieren, welche Rolle etwa das Auto spielt. Man kann dann zeigen, dass man zumindestens potente Eltern hat. Oder die sportlichen Betätigungen, welche die Fitness beweisen sollen. Das ist bei den jungen Männern viel stärker ausgeprägt.
Ehgartner: Das Alter von 18 bis 22 Jahre gilt hier ja auch als höchst lebensgefährliche Phase. Ist das eine Erblast aus dem Tierreich?
Reichholf: Vielleicht. Dem muss man aber entgegen stellen, dass bis vor etwa 100 Jahren die Frauen durch die Geburten sehr gefährdet gewesen. Viele sind gestorben. Das steht der Tendenz der jungen Männer gegenüber, sich aggressiv auseinander zu setzen. Man hat das ausgenützt, um die jungen Männer, die entbehrlich schienen, in den Krieg zu schicken. Wenn es diese Tendenz nicht gäbe, hätten – so wie bei den Tieren – die Männer eigentlich die besseren Überlebens-Chancen, weil ja die Gefährdung durch die Geburten wegfiel.
Ehgartner: Warum gelten denn lange Beine als schön?
Reichholf: Das stammt aus der Zeit als der Mensch zum Menschen wurde. Wir sind ja Läufer und Nomaden – also zählte von der Körperform das, was für das Nomadenleben ideal war, eben die langen Beine mit einem wohlproportionierten Körper. So ausdauernd zu laufen wie Menschen, das kann kein anderes Säugetier.
Ehgartner: Wieso wird dann eine Venus von Willendorf mit ihren üppigen Formen als Schönheits-Symbol der Steinzeit angesehen?
Reichholf: Ich glaube, dass diese Figur schon von der ursprünglichen Form des Steines weitgehend vorgegeben war. Das hat viel mehr mit Fruchtbarkeit zu tun, denn mit Schönheit. Das ist was anderes. Eine Frau mit einem großen Busen hat eher die Attribute einer Amme. Ammen waren sehr wichtig, weil eben viele Frauen im Kindbett gestorben sind. So füllig dicke wie die Venus-Figur sind in keiner einzigen Kultur weltweit ein Schönheitsideal. Die Proportionaliät ist das entscheidende.
Ehgartner: Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Schönheit in den Kulturen immer um einen Durschnitt definiert.
Reichholf: Ja, aber diese absoluten Durchschnitts-Gesichter sind eine eher kalte Schönheit. Erst die Abweichung macht das Individuum aus.
Ehgartner: Meinen Sie ein Muttermal oder eine leichte Asymmetrie?
Reichholf: Ja. In Kulturen wie Indien ist das weit verbreitet, wo dann die Gesichter sehr symmetrisch sind, wird ein Schönheitspunkt gemacht. Das soll als kleine Abweichung von der Norm das Individuelle betonen.
Ehgartner: Was macht denn das Individuelle so attraktiv?
Reichholf: Weil daraus erst die Möglichkeit einer Bindung zustande kommt. Nur wenn ich meinen Partner als Individuum erkennen kann, ist es möglich sich auch persönlich zu binden. Wenn wir alle Normmenschen wären, die alle gleich sind, dann wäre es völlig egal, mit wem man zusammen ist.
Ehgartner: Die Eigenart befördert also die Dauerbindung?
Reichholf: Deswegen sagt man ja auch zurecht, dass die Persönlichkeit sich entfalten muss. Den Müttern passt das nicht, aber Babys schauen noch weitgehend gleich aus. Die individuelle Variation ist noch zu gering, um aus dem Babygesicht heraus das spätere Erwachsenengesicht erkennen zu können. Wenn ein Baby wirklich schon so stark abweicht, dann erschrickt man fast, weil es nicht dem Kindchenschema entspricht. Mit der geistigen Entwicklung wird man schließlich zur Person, zur unwiederholbaren Individualität.
Ehgartner: Was vermittelt denn Schönheit bei der Partnersuche?
Reichholf: Vor allem Gesundheit. Da hat man seit langem Befunde, die zeigen, dass für die gesunde Entwicklung des Körpers – speziell eines so komplizierten wie des Menschen – ungestörte Abläufe notwendig sind. Das äußert sich darin, dass die verschiedenen Körperteile symmetrisch sind und proportional zueinander passen. Wir können uns nicht leisten, dass ein Bein auch nur einen Zentimeter kürzer ist, als das andere. Dann hinkt man und neigt zum Stolpern. Wir können uns aber sehr wohl unterschiedliche Nasenformen leisten, weil die Fähigkeit zu riechen damit wenig zu tun hat. Die Variation beim Menschen bezieht sich auf nicht lebensnotwendige Äußerlichkeiten. Für alles wichtige haben wir eine tief verinnerlichte Norm. Es fällt uns sofort auf, wenn ein Kopf zu klein ist, oder die Augen nicht parallel zueinander stehen.
Ehgartner: Wird die Menschheit eigentlich immer schöner, wo doch alle in der Partnerwahl so auf Schönheit achten?
Reichholf: Nein, es würde nur bedeuten, dass die Variation kleiner wird. Abweichungen bringen ja oft das Problem einer emotionalen Ausgrenzung mit sich. Früher drohte man den Kindern noch offen mit dem Schwarzen Mann. Das ist Gott sei Dank verpönt, aber die spontane Furchtreaktion ist bei den Kindern noch da, wenn die zum ersten Mal einen Schwarzen sehen. Das ist außerhalb der ihnen vertrauten Variationsbreite. Ebenso geht es den schwarzen Kindern mit einem Weißen. Gleichzeitig garantiert aber dieses zentripedale immer wieder die Durchmischung des Erbgutes. Das Ideal der Schönheit wird ja ohnehin nur ganz selten erreicht. Und die haben in der Regel auch ganz wenig Nachwuchs.
Ehgartner: Warum?
Reichholf: Eine Erklärung ist, dass diese Menschen so sehr mit ihrer eigenen Schönheit beschäftigt sind, dass sie die minder Schönen ihrer Umgebung zwar anziehen, sich mit diesen aber nicht fortpflanzen möchten. Sie haben eine psychologische Hemmung.
Die biologische Erklärung, für die ich als Biologe etwas mehr Sympathie habe, bezieht sich darauf, dass bei einem Menschen wo von Vater und Mutterseite alles stimmt, auch die Gefahr besteht, dass verborgene Fehler im Erbgut zusammen stimmen. Wenn die Eltern unterschiedlicher sind, ist diese Gefahr geringer.
Ehgartner: Wie beurteilen Sie den Trend zur Haarlosigkeit? Sogar bei den Männern wird es modern, sich am ganzen Körper zu rasieren.
Reichholf: Haarlosigkeit ist ein Jugendlichkeits-Merkmal und Ausdruck dafür, dass man jünger erscheinen möchte als man tatsächlich ist. Ich halte diesen Trend hauptsächlich begründbar aus diesem fast suchtartigen Streben jünger zu wirken. Gerade durch die Entfernung der Haare wird die kindliche Haut nachgeahmt. Die Schamhaare auszuzupfen, das wurde aber auch in anderen Kulturen traditionell gemacht. Etwa bei den Amazonischen Indianern, die ja in ihrem Klima eigentlich nackt gehen sollten. Was ihnen die Missionare in dieser feuchten Wärme verordnet haben, war schädlich. Es macht Hautpilze und ist eine große Gefahr. Nur wenn die nackte Haut dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, kann man die Verpilzung in Schach halten.
Josef H. Reichholf, 66, ist Evolutionsbiologe und war bis zu seiner Emeritierung Professor für Ökologie und Naturschutz an der TU-München sowie Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung. Aktuelle Veröffentlichung: „Der Ursprung der Schönheit“ C.H. Beck, München 2011
Dieses Gespräch ist die Langfassung eines Interviews, das im Rahmen der Titelgeschichte "Damenwahl" in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil erschienen ist.
Ehgartner: Nach Charles Darwin ist die natürliche Selektion eines der wichtigsten Kriterien der Evolution. Die am besten an ihre Umgebung angepassten Individuen überleben. Sind da nicht manche auffällig gefärbte Tiere viel zu schön um zu überleben?
Reichholf: Diese Frage war Darwins Dilemma und hat ihn sehr beschäftigt. Wir wissen heute, dass Anpassung eine Möglichkeit ist, aber nicht unbedingt eine Notwendigkeit. Schönheit kann evolutionäre Vorteile bieten, die jene der simplen Tarnung weit übersteigen.
Ehgartner: Warum erscheinen uns die Schmetterlinge so schön?
Reichholf: Das hat mehrere Gründe. Wenn das Tagpfauenauge seine Flügel präsentiert, so wirkt es auf Feinde wie das plötzliche Auftauchen eines Augenpaares. Es entsteht eine Abschreckwirkung. Ich habe beobachtet, wie eine Katze vor Schreck fast abgestürzt ist, als das Tagpfauenauge, das mit zusammen geklappten Flügeln da saß plötzlich diese aufmachte – und plötzlich das große Augenpaar vor der Katze war. Und ähnlich ergeht es den Vögeln. Man kann das Präsentieren auch mit leichtem Anstoßen regelrecht auslösen. Wer das nicht weiß, da erschrickt auch der Mensch für eine Sekunde. Das führt weiter zu den Warnfarben vor Giftigkeit. Und die müssen in klaren Mustern erscheinen, damit sich das den Fressfeinden einprägt. Deshalb sind das auch keine unregelmäßige Flecken. Denken Sie an das Wespenmuster: gelb-schwarz.
Dann kommen Muster der dritten Kategorie, die herausgelöst aus der natürlichen Umgebung ungewöhnlich wirken. Wenn man die Tiere aber in ihrem Umfeld beobachtet, so merkt man, dass auch grelle Farben tarnend sein können. Etwa bei den großen Morphofaltern Südamerikas (Foto) mit ihrem fantastischen Blau, wo man denkt, das muss doch auffallen und Feinde anziehen. Aber das tut es nicht. Diese Tiere fliegen im Tropenwald, der sehr schattig ist. Dann kommen aber Lichtzonen, der Schmetterling blitzt auf und ist im nächsten Moment verschwunden, weil er wieder in den Schatten kommt. Die Vögel treibt das zur Verzweiflung, weil dieser große Schmetterling da und dort aufblitzt und dann sofort wieder verschwindet.
Ehgartner: Mit der Partnerwahl hat diese auffallende Färbung also gar nichts zu tun?
Reichholf: Nein, und darum habe ich das in meinem Buch auch gar nicht behandelt, weil die sexuelle Selektion hier kaum eine Rolle spielt. Eine Ausnahme ist der Zitronenfalter. Da sind die Weibchen, so wie Kohlweißlinge ganz hell und die Männchen zitronengelb. Sie wirken damit auf die Weibchen sehr wohl anlockend, die Weibchen tarnen sich aber – und sehen täuschend den schlecht schmeckenden Kohlweißlingen ähnlich. Die Vögel wissen, diese Schmetterlinge schmecken scheußlich. Das ist für die Weibchen ganz wichtig, weil sie den Hinterleib voller Eier haben und deshalb langsamer sind.
Die Männchen brauchen das nicht. Deshalb können sie auffälliger sein und überleben trotzdem besser. Wo immer sie nachsehen, sie werden sicher mehr Männchen vom Zitronenfalter finden als Weibchen.
Ehgartner: Gilt das auch für die Stockenten, wo ja die Männchen prächtig bunt sind – die Weibchen hingegen tarnfarben braun?
Reichholf: Ja, die Weibchen sitzen dann auf den Gelegen und müssen sich vor den Feinden tarnen. Trotzdem sind sie seltener als die Männchen, weil diese auf sich schauen können und nicht an einen Platz gebunden sind. Der Erpel haut halt ab, wenn der Habicht kommt oder der Fuchs. Die Ente muss zum Gelege zurück, sonst ist ihre ganze Investition beim Teufel.
Stockenten-Paar (Foto: Richard Bartz) |
Ehgartner: Das heißt es geht in der Natur sehr viel um Energie, die möglichst rationell investiert wird. Worauf achtet denn ein Weibchen, wenn sie sich den passenden Erpel aussucht?
Reichholf: Die Erpel unterscheiden sich wenig. Ein Männchen muss einfach dem Schema dieser charakteristischen Färbung entsprechen. Er sollte keine Mängel in der Gefieder-Zeichnung haben. Diese Männchen werden nur dann akzeptiert, wenn – etwa in der Haustierhaltung - keine Normalfarbenen vorhanden sind. Aber ob der Kopf jetzt etwas mehr oder weniger grün schillert, das macht keinen Unterschied. Die Weibchen wählen, während die Männchen eine Balzgruppe bilden, jene Erpel, die am ausdauernsten balzen. Das sind die körperlich fitten. Es geht um den Aspekt, was die Kerle leisten können, weniger, wie sie aussehen.
Ehgartner: Manche Tiere scheinen wie geschaffen für Fressfeinde. Wie ist es erklärbar, dass ein Pfau in der Wildnis überleben konnte. Diese extravagante Schönheit behindert ihn doch stark im Fluchtverhalten.
Reichholf: Das scheint nur so. Zum einen wirkt der Pfau mit seinem eindrucksvollen Rad und den vielen Augen abschreckend auf Angreifer, zum zweiten kann er die Federn im Notfall über den Mechanismus einer Schreckmauser spontan abwerfen. Die Energie, die Weibchen in die Aufzucht der Jungen investieren, geht bei den Männchen in die Schönheit.
Ehgartner: Was zeichnet denn Tierarten aus, wo Männchen und Weibchen optisch kaum zu unterscheiden sind?
Reichholf: Während etwa die Erpel der Stockenten spätestens dann, wenn die Weibchen auf dem Gelege sitzen, wieder ihrer Wege gehen, sind bei diesen Arten die Männchen voll in die Aufzucht der Jungen involviert. Dazu zählen viele Singvogelarten, bei denen die Investition in den Nachwuchs zwischen den Geschlechtern nahezu gleich ist. In der Zeit der Balz gleichen die Männchen diesen Mangel an Schönheit dadurch aus, dass sie sehr gut und variantenreich singen. Die Nachtigall ist ja das Musterbeispiel mit einer Farbe die so unscheinbar ist, dass man sie kaum beschreiben kann, aber ein fantastischer Gesang der Männchen, wo sich auch jedes individuell vom anderen unterscheidet, so dass die Nachbarn immer genau wissen, wer da jetzt singt und ob es sich lohnt, hier eine Rauferei anzufangen, oder ob die Verhältnisse eh schon klar sind.
Ehgartner: Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass die Stockenten-Erpel nicht mit ihrer Balz aufhören, wenn die Weibchen längst brüten, sondern sich mit den anderen Männchen weiter in ihrer Balzgruppe treffen. Was bezwecken sie damit?
Reichholf: Das ist eine Neuinterpretation von mir, die ich hier vorlege. Ich habe überall in der Literatur nachgeforscht, warum das so ist und keine Erklärung gefunden. Ich habe nun eine wie ich denke plausible Interpretation. Die Weibchen verlieren ja zu einem hohen Prozentsatz ihre Gelege, wenn die von Feinden entdeckt werden. Wenn die Enten noch gut in Form sind, können sie ein Nachgelege fabrizieren. Aber es muss ja jedes Ei zur rechten Zeit, bevor die Kalkschale abgelagert wird, befruchtet werden. Also brauchen diese Enten sofort wieder einen Erpel, der das Sperma liefert. Da aber bei den Vögeln die Aktivitätszeit der Gonaden sehr klar mit der Fortpflanzung verbunden sind und dann rasch wieder abnimmt, so dass die Männchen einen Großteil des Jahres Neutren sind, würde das bedeuten, dass die Enten, wenn sie ihr Gelege verlieren und ihr Erpel sie verlassen hat und die anderen Erpel auch nicht mehr in Balzstimmung sind und kein Sperma produzieren, dass sie niemand finden. Wenn sich aber die Erpel gegenseitig in dieser Männergruppe permanent stimulieren, so bleiben die Hoden aktiv. Und wenn ein Weibchen kommt, können sie die Eier wieder befruchten.
Ehgartner: Wobei das für die Weibchen auch ein hohes Risiko bedeutet.
Reichholf: Ja, das ist die andere Seite. Es kommt zu Vergewaltigungen, weil die Erpel noch voll aktiv sind – und die Weibchen immer rarer werden, weil sich die meisten mit dem Gelege zurück gezogen haben. Dadurch besteht eine große Gefahr für die verbleibenden Enten, vergewaltigt zu werden. Unter Umständen bis zum Tod.
Ehgartner: Bei anderen Tierarten, wie etwa den Schimpansen, erkennen die Männchen an typischen Genitalschwellungen, wenn die Weibchen befruchtungsfähig sind. Warum ist das bei den Menschen so anders als bei den Primaten?
Reichholf: Diese Frage habe ich befürchtet, weil sich die meisten Biologen darum herumdrücken. Wir haben zwei klare Befunde. Der eine ist anatomischer Natur. Wir sind ja aufgerichtet, und wenn es zu so einer Schwellung käme wie bei den Menschenaffen, so könnte die Menschenfrau nicht mehr gehen. Das darf nicht sein. Die Frage ist, warum es nicht zu einer Art Ersatzsystem kommt. Etwa über den Geruch. Bei der Menschenfrau ist der Eisprung aber gänzlich verborgen. Die verborgene Ovulation ist das größere Rätsel. Nicht einmal der eigene Mann, der in intimster Nähe mit der Frau lebt, kann erkennen, ob sie jetzt fruchtbar ist, oder nicht. Die Frau kann es spüren, auch nicht hundertprozentig, aber doch. So dass bei beabsichtigten Seitensprüngen so genannte Kuckuckskinder zustande kommen, weil die Frauen ihre fruchtbaren Tage dafür eingesetzt haben. Man sagt ja, dass bei Frauen bis zu 20 Prozent der geborenen Babys nicht vom offiziellen Vater stammen. Es ist aber kein verlässliches Zeichen, dass jetzt die Zeit für eine Fortpflanzung günstig wäre. Und deshalb muss es hier eine andere Erklärung geben. Das ist die Notwendigkeit der Bindung von Mann und Frau im Hinblick auf den so klein und hilflos geborenen Nachwuchs. Das Menschenbaby kommt ja wie eine Frühgeburt zur Welt und sollte eigentlich noch fast ein Jahr länger im Mutterleib sein, um den Zustand zu erreichen, in dem zum Beispiel ein Schimpansenbaby geboren wird. Die nachgeburtliche Entwicklung verläuft ebenso langsam, so dass wir erst im Alter von zwölf bis 15 Jahren – anfangen, funktionsfähige Geschlechtsorgane zu bekommen. Da haben die allermeisten Säugetiere längst mehrere erfolgreiche Paarungen und Schwangerschaften vollzogen. Diese lange Phase ist der Grund dafür, dass der Partner verlässlich genug bei ihr bleiben soll, um das Kind und die Mutter über diese Phase der Unselbständigkeit hinaus zu bringen. Die Partnerbindung spielt beim Menschen demnach eine ganz ganz große Rolle. Am besten ausgedrückt wird das über die Eifersucht. Ein Schimpanse wird auch eifersüchtig, wenn er sieht, dass sich ein Weibchen mit einem Nebenbuhler paart. Aber das wirkt nicht nach, das vergeht wie ein kurzes Aufwallen von Zorn. Beim Menschen hingegen kann die Eifersucht anhalten und immens zerstörerisch werden. Diese Bindung – muss in früherer Zeit so notwendig gewesen sein für das Überleben der Menschen, dass dieses zusätzliche Sicherungssystem entstand.
Ehgartner: Liegt hier auch der Grund, warum bei den Menschen – im Gegensatz zu den allermeisten Tieren – die Frau als das schöne Geschlecht gilt. Macht sich die Frau schön, um diese Bindung zu unterstützen?
Reichholf: Ja. Das ist einer der beiden Hauptgründe. Der zweite ist, dass Frauen nur eine vergleichsweise kurze Fortpflanzungsphase haben. Meist stehen mehr Männer zur Verfügung, die Nachwuchs liefern könnten als fortpflanzungsfähige Frauen. Es rücken aber permanent auch jüngere Frauen nach. Die Gegenreaktion ist, sich entsprechend attraktiv zu machen. Das beginnt bei den jungen Mädchen und läuft weiter bis über die fortpflanzungsfähige Phase hinaus, wo sich die Frauen so zurecht machen, dass sie von den äußeren Signalen her den Eindruck erwecken könnten, wenn man es rein biologisch betrachtet – mit intensiv roten Lippen, hochgezogenem Busen – dass sie noch in der Lage sind, Kinder zu bekommen. Auf dieses uralte Signalsystem sprechen die Männer an – und, was ganz besonders wichtig ist: auch die anderen Frauen. Denn die Konkurrenz der Frauen untereinander ist immens große. So dass wir eben das Phänomen haben, dass Frauen immer möglichst anders aussehen wollen als andere Frauen, in der Kleidung, in der Frisur, im Äußeren. Das Individuelle ist viel ausgeprägter als bei den Männern. Die lassen sich fast widerstandslos uniformieren.
Ehgartner: Aber als selteneres Geschlecht haben Frauen doch eine breitere Wahlmöglichkeit. Da müsste der Konkurrenzdruck doch geringer sein?
Reichholf: Das scheint nur so. Bei den Männern sind ja höchst unterschiedliche Verhältnisse. Früher bezog sich das auf die Fähigkeit zu jagen oder die Menge der Rinder, die einer besaß, heute gilt dasselbe für die finanziellen Verhältnisse. Es gibt viele Männer, die wenig zu bieten haben und demnach wenig attraktiv sind. Die können sexuell sehr gut sein, aber sie haben keine Ressourcen, um den Kindern Sicherheit zu geben, oder den Frauen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sich diese in der Konkurrenz der Frauen untereinander entsprechend gut darstellen können. Das ist ja der Hintergrund auch der Harembildung. Männer, die derartig wohlhabend sind, sind ganz besonders attraktiv und deshalb konkurrieren die Frauen um diese wirtschaftlich potenten Männer. Denn sexuell potente Männer können sie sich bei Bedarf ja auch angeln. Aber von dem wollen sie nicht abhängig sein.
Ehgartner: Stärke, Größe und Schönheit, die bei den Tieren wichtig ist, wird bei den Menschen-Männern also durch Ressourcen ersetzt.
Reichholf: Ja, genau. Deshalb ist in Gesellschaften, wo die Großfamilien noch funktionieren das Konkurrenzverhalten der darin etablierten Frauen viel geringer. Weil die Frauen hier die Sicherheit haben, dass die Kinder vom Familienverbund notfalls unterstützt wird. In einer Kernfamilie sind die Frauen aber viel mehr von den wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängig. Und das ist wahrscheinlich auch der Hintergrund, warum Frauen im modernen Arbeitsleben, weil sie selbst die Ressourcen beschaffen müssen, die Kinderzahl so drastisch reduziert haben.
Ehgartner: Wer wählt denn nun den Partner aus? Die Männer oder die Frauen?
Reichholf: Das machen ganz eindeutig die Frauen. Man sieht es ja bei den jungen Männern, wie sich die präsentieren, welche Rolle etwa das Auto spielt. Man kann dann zeigen, dass man zumindestens potente Eltern hat. Oder die sportlichen Betätigungen, welche die Fitness beweisen sollen. Das ist bei den jungen Männern viel stärker ausgeprägt.
Ehgartner: Das Alter von 18 bis 22 Jahre gilt hier ja auch als höchst lebensgefährliche Phase. Ist das eine Erblast aus dem Tierreich?
Reichholf: Vielleicht. Dem muss man aber entgegen stellen, dass bis vor etwa 100 Jahren die Frauen durch die Geburten sehr gefährdet gewesen. Viele sind gestorben. Das steht der Tendenz der jungen Männer gegenüber, sich aggressiv auseinander zu setzen. Man hat das ausgenützt, um die jungen Männer, die entbehrlich schienen, in den Krieg zu schicken. Wenn es diese Tendenz nicht gäbe, hätten – so wie bei den Tieren – die Männer eigentlich die besseren Überlebens-Chancen, weil ja die Gefährdung durch die Geburten wegfiel.
Ehgartner: Warum gelten denn lange Beine als schön?
Reichholf: Das stammt aus der Zeit als der Mensch zum Menschen wurde. Wir sind ja Läufer und Nomaden – also zählte von der Körperform das, was für das Nomadenleben ideal war, eben die langen Beine mit einem wohlproportionierten Körper. So ausdauernd zu laufen wie Menschen, das kann kein anderes Säugetier.
Venus von Willendorf (Foto: Matthias Kabel) |
Reichholf: Ich glaube, dass diese Figur schon von der ursprünglichen Form des Steines weitgehend vorgegeben war. Das hat viel mehr mit Fruchtbarkeit zu tun, denn mit Schönheit. Das ist was anderes. Eine Frau mit einem großen Busen hat eher die Attribute einer Amme. Ammen waren sehr wichtig, weil eben viele Frauen im Kindbett gestorben sind. So füllig dicke wie die Venus-Figur sind in keiner einzigen Kultur weltweit ein Schönheitsideal. Die Proportionaliät ist das entscheidende.
Ehgartner: Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Schönheit in den Kulturen immer um einen Durschnitt definiert.
Reichholf: Ja, aber diese absoluten Durchschnitts-Gesichter sind eine eher kalte Schönheit. Erst die Abweichung macht das Individuum aus.
Ehgartner: Meinen Sie ein Muttermal oder eine leichte Asymmetrie?
Reichholf: Ja. In Kulturen wie Indien ist das weit verbreitet, wo dann die Gesichter sehr symmetrisch sind, wird ein Schönheitspunkt gemacht. Das soll als kleine Abweichung von der Norm das Individuelle betonen.
Ehgartner: Was macht denn das Individuelle so attraktiv?
Reichholf: Weil daraus erst die Möglichkeit einer Bindung zustande kommt. Nur wenn ich meinen Partner als Individuum erkennen kann, ist es möglich sich auch persönlich zu binden. Wenn wir alle Normmenschen wären, die alle gleich sind, dann wäre es völlig egal, mit wem man zusammen ist.
Ehgartner: Die Eigenart befördert also die Dauerbindung?
Reichholf: Deswegen sagt man ja auch zurecht, dass die Persönlichkeit sich entfalten muss. Den Müttern passt das nicht, aber Babys schauen noch weitgehend gleich aus. Die individuelle Variation ist noch zu gering, um aus dem Babygesicht heraus das spätere Erwachsenengesicht erkennen zu können. Wenn ein Baby wirklich schon so stark abweicht, dann erschrickt man fast, weil es nicht dem Kindchenschema entspricht. Mit der geistigen Entwicklung wird man schließlich zur Person, zur unwiederholbaren Individualität.
Ehgartner: Was vermittelt denn Schönheit bei der Partnersuche?
Reichholf: Vor allem Gesundheit. Da hat man seit langem Befunde, die zeigen, dass für die gesunde Entwicklung des Körpers – speziell eines so komplizierten wie des Menschen – ungestörte Abläufe notwendig sind. Das äußert sich darin, dass die verschiedenen Körperteile symmetrisch sind und proportional zueinander passen. Wir können uns nicht leisten, dass ein Bein auch nur einen Zentimeter kürzer ist, als das andere. Dann hinkt man und neigt zum Stolpern. Wir können uns aber sehr wohl unterschiedliche Nasenformen leisten, weil die Fähigkeit zu riechen damit wenig zu tun hat. Die Variation beim Menschen bezieht sich auf nicht lebensnotwendige Äußerlichkeiten. Für alles wichtige haben wir eine tief verinnerlichte Norm. Es fällt uns sofort auf, wenn ein Kopf zu klein ist, oder die Augen nicht parallel zueinander stehen.
Ehgartner: Wird die Menschheit eigentlich immer schöner, wo doch alle in der Partnerwahl so auf Schönheit achten?
Reichholf: Nein, es würde nur bedeuten, dass die Variation kleiner wird. Abweichungen bringen ja oft das Problem einer emotionalen Ausgrenzung mit sich. Früher drohte man den Kindern noch offen mit dem Schwarzen Mann. Das ist Gott sei Dank verpönt, aber die spontane Furchtreaktion ist bei den Kindern noch da, wenn die zum ersten Mal einen Schwarzen sehen. Das ist außerhalb der ihnen vertrauten Variationsbreite. Ebenso geht es den schwarzen Kindern mit einem Weißen. Gleichzeitig garantiert aber dieses zentripedale immer wieder die Durchmischung des Erbgutes. Das Ideal der Schönheit wird ja ohnehin nur ganz selten erreicht. Und die haben in der Regel auch ganz wenig Nachwuchs.
Ehgartner: Warum?
Reichholf: Eine Erklärung ist, dass diese Menschen so sehr mit ihrer eigenen Schönheit beschäftigt sind, dass sie die minder Schönen ihrer Umgebung zwar anziehen, sich mit diesen aber nicht fortpflanzen möchten. Sie haben eine psychologische Hemmung.
Die biologische Erklärung, für die ich als Biologe etwas mehr Sympathie habe, bezieht sich darauf, dass bei einem Menschen wo von Vater und Mutterseite alles stimmt, auch die Gefahr besteht, dass verborgene Fehler im Erbgut zusammen stimmen. Wenn die Eltern unterschiedlicher sind, ist diese Gefahr geringer.
Ehgartner: Wie beurteilen Sie den Trend zur Haarlosigkeit? Sogar bei den Männern wird es modern, sich am ganzen Körper zu rasieren.
Reichholf: Haarlosigkeit ist ein Jugendlichkeits-Merkmal und Ausdruck dafür, dass man jünger erscheinen möchte als man tatsächlich ist. Ich halte diesen Trend hauptsächlich begründbar aus diesem fast suchtartigen Streben jünger zu wirken. Gerade durch die Entfernung der Haare wird die kindliche Haut nachgeahmt. Die Schamhaare auszuzupfen, das wurde aber auch in anderen Kulturen traditionell gemacht. Etwa bei den Amazonischen Indianern, die ja in ihrem Klima eigentlich nackt gehen sollten. Was ihnen die Missionare in dieser feuchten Wärme verordnet haben, war schädlich. Es macht Hautpilze und ist eine große Gefahr. Nur wenn die nackte Haut dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, kann man die Verpilzung in Schach halten.
Josef H. Reichholf, 66, ist Evolutionsbiologe und war bis zu seiner Emeritierung Professor für Ökologie und Naturschutz an der TU-München sowie Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung. Aktuelle Veröffentlichung: „Der Ursprung der Schönheit“ C.H. Beck, München 2011
Dieses Gespräch ist die Langfassung eines Interviews, das im Rahmen der Titelgeschichte "Damenwahl" in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil erschienen ist.
Dienstag, 3. Mai 2011
"Ein schöner Körper ist Luxus"
Die Wiener Motivforscherin Helene Karmasin über die gesellschaftlichen Vorgaben, was schön und was hässlich ist.
Ehgartner: Wie lässt sich Schönheit definieren?
Karmasin: Vor allem als eine Frage der Zeit mit ihren wechselnden Vorgaben. Wenn wir heute Bilder des Fernsehballetts aus den Sechziger Jahren sehen, haben wir den Eindruck, dass die Tänzerinnen alle ein bisschen pummelig sind und dass sie dringend eine Kur gegen Cellulitis notwendig hätten. Zu ihrer Zeit waren sie aber perfekte Schönheiten. Oder nehmen wir den üppigen Busen von Jayne Mansfield auf dem Titelblatt meines Buches. Für eine Dame des Mittelalters wäre das ein Desaster gewesen und sie hätte alles getan um ihn zu verstecken um nicht wie eine sozial tiefrangige Amme zu erscheinen.
Ehgartner: Warum hat sich das Ideal in unserer Zeit so sehr in Richtung eines schlanken Körpers mit makelloser Haut verändert?
Karmasin: Was schön ist, hängt von den Leitwerten ab, die eine Gesellschaft vermitteln möchte. Die Gesellschaft schreibt ihre Leitwerte in das Ideal eines schönen Körpers ein. Es gibt kein besseres Objekt, an dem eine Gesellschaft den einzelnen Mitgliedern demonstrieren kann: Das ist uns wichtig und das verlangen wir von dir. Die Werte, die heute geübt werden sollen sind Disziplinierung, Selbstverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft.
Ehgartner: Daher auch der Kampf gegen das Fett?
Karmasin: Das gleicht einem Kreuzzug. Jedes Gramm Fett muss geächtet werden. Das hat etwas mit Puritanismus zu tun: Wer die Gelüste des Körpers besiegt, demonstriert quasi die Gnade Gottes und ist ein moralisch hochwertiges Mitglied der Gesellschaft. Deshalb werden die fetten Körper auch verfolgt, sie spielen die Rolle von Sündern und machen die Norm deutlich. Der Staat greift ein, indem es etwa heißt: das ist ja auch ungesund. Niemand freut sich, wenn er fett ist und schickt ein SMS: „Hurra, schon wieder ein Kilo zugenommen.“ Die Leute schämen sich stattdessen, weil sie dem Ideal der Gesellschaft nicht genügen.
Ehgartner: Und es gibt riesige Märkte, die diesen Körper formen helfen.
Karmasin: Wir leben eben in einer Marktgesellschaft und ein schöner, perfekter Körper ist ein ideales Objekt. Denn etwas an einem Körper ist immer zu verbessern. Und was bereits schön ist, lässt sich noch optimieren. Sie können für alles Vorsorge treffen. Sie können alles korrigieren, man braucht nur die Maßstäbe immer höher schrauben. Dann gibt es natürlich Leute, die versündigen sich. Dann kriegen sie Diäten und Cellulite-Roller. Das ist ein perfektes Geschäftsmodell.
Ehgartner: Wer übt denn konkret Druck aus?
Karmasin: Das beginnt schon in der Schule: Fette Kinder werden gemobbt. Dicke bekommen schlechter eine Wohnung, schlechtere Jobs bei gleicher Ausbildung. Ich finde das ungeheuer faszinierend, wie Gesellschaften es schaffen, subtilen Druck in die Richtung aufzubauen, was gerade gebraucht wird. Und wir brauchen eben eigenverantwortliche Menschen mit Disziplin und Leistungsbereitschaft. Sehen Sie sich dazu die Produkte an, die zur Selbstmedikation angeboten werden. In Wahrheit geht es dabei gar nicht um Gesundheit, sondern darum jederzeit körperlich und geistig fit und abrufbereit zu sein.
Ehgartner: Wie entstehen denn solche Moden wie das Ideal vom unbehaarten perfekt glatten Körpers?
Karmasin: Es wird als degoutant empfunden, dass es überhaupt noch Reste von tierischer Herkunft gibt. Begonnen hat das schon in der Renaissance, als der moderne Körper erfunden wurde. Der Schwert tragende, schmerzunempfindliche Mann galt nun als primitiv. Das Konzept des geschlossenen Körpers wurde formuliert und die perfekte Enthaarung im Schambereich treibt das auf die Spitze. Das zieht bei den Frauen gleich noch Genitaloperationen nach sich, weil ja alles sichtbar ist und auch die Schamlippen schön und perfekt geformt sein müssen.
Ehgartner: Und man riecht auch nicht mehr – außer nach Parfum.
Karmasin: Jede Form tierischer Herkunft wird getilgt. Keine dieser tabuisierten Körperausscheidungen darf nach außen dringen. Der Körper muss eine glatte, geschlossene Oberfläche zeigen. Das gehört bei uns auch zur Definition des autonomen Menschen. Wer das nicht erfüllt, dem sprechen wir ja fast das Menschsein ab. Denken Sie an die ganz alten Leute, die werden hinter die Kulissen verlagert, das wollen wir nicht riechen, nicht sehen und nicht spüren.
Ehgartner: Gibt es nicht auch eine Gegenbewegung gegen diesen Schönheitswahn?
Karmasin: Selbstverständlich, gegen alle Strömungen gibt es Gegenströmungen und Personen, die das aufs höchste anprangern. Diese extremen alternativen Abweichler, die Deos für Teufelszeug halten, sind allerdings Minoritäten. Die nehmen auch in kauf, dass sie stinken und die würden sich natürlich niemals Körperbehaarung rasieren.
Ehgartner: Wie wird denn ein Schönheitsideal zum Mainstream. Wird das verkündet, oder sickert das ein?
Karmasin: Denken Sie an Werbung der Siebziger Jahre. Da wurden Leute gezeigt, die in der Straßenbahn ihre nasse Achsel hoben und rundherum sind die anderen reihenweise umgefallen und haben haben sich geekelt. Damit begann der Siegeszug der Deos. Die Werbung schafft dabei allerdings nicht den ideologischen Überbau. Sie kann nur verstärken, was schon da ist, und es in sehr prägnante Zeichen fassen.
Ehgartner: Und sie stellt uns Prachtkörper vor die uns vor Neid erblassen lassen?
Karmasin: Damit wird die Schraube der Disziplinierung immer mal wieder ein bisschen mehr angezogen. Zudem ist es interessant, wie hier die Körpervorstellungen von Männern und Frauen abweichen. Aber es gibt ja schon wieder die nächste Stufe: Der Avatar, mit seinem computergenerierten Körper, der nur noch aus unglaublich grazilen sehnigen Gliedmaßen besteht. Das würden wir als nächstes wollen, wenn wir das irgendwie erreichen könnten.
Ehgartner: Sie bringen hier in Ihrem Buch zur Illustration die boomenden Samenbanken in den USA, wo man ein richtiges Wikinger-Kind von großen blonden skandinavischen Spendern bestellen kann.
Karmasin: Nach dem Stand der Dinge ist das immer noch ein Ideal. Wir denken, wir sind bei unseren Vorstellungen vom idealen männlichen und weiblichen Körper vollständig emanzipiert. Wenn sie dann aber sehen, was im Mainstream wirklich geschieht, so haben sie dramatische Unterschiede.
Ehgartner: Wie zeigt sich das?
Karmasin: Wir gehen davon aus, dass Frauen keine Kontrolle über ihren Körper haben, dieser führt ein Eigenleben, er ist ein unfolgsamer Agent. Der Bauch bläht sich oder auf einmal sinkt eine Partie ein und eine andere tritt hervor. Der weibliche Körper ist in der Kosmetik-Werbung prinzipiell defizitär. Der männliche Körper kann auch optimiert werden, aber im Kern ist er okay. Bei Frauen ist hingegen immer etwas zu tun. Da gibt es eine Creme gegen sichtbare Falten, eine gegen solche, die noch nicht sichtbar sind und eine gegen Falten, die erst entstehen könnten. Frauen sind prinzipiell weich und schwabbelig, so wie die Nachspeisen, und sehr leicht dringen Gefühle und Körperflüssigkeiten nach außen. Und das muss vermieden werden. Da sind Körpervorstellungen von Jahrhunderten verarbeitet in diesen Bildern.
Ehgartner: Was verbindet man denn mit übergewichtigen Politikern wie Josef Pröll einer war?
Karmasin: Man beginnt sich zu fragen, warum der wohl so mollig ist und vermutet: Der bewegt sich nicht richtig, der passt beim Essen nicht so auf und trinkt zuviel. Der ist nicht ganz so diszipliniert wie wir das so gern hätten. Also ist es besser, man ist so wie der Obama, oder die ganzen Kollegen, die sich dauernd als sportlich tätig zeigen. Wir stellen nicht unbedingt die Forderung, dass ein Politiker schön sein muss, aber er muss über einen Körper verfügen, an dem wir ablesen, dass er ein selbstverantwortlicher disziplinierter Mensch ist.
Ehgartner: Aber ein Nachteil ist es auch nicht, wenn man so aussieht wie Sebastian Kurz?
Karmasin: Bei Männern ist Schönheit ambivalent. Zum einen ist physische Attraktivität immer ein Bonus. Männliche Politiker müssen dann aber auch ganz schnell zeigen, dass sie sehr gescheit, clever und durchsetzungsfähig sind.
Denn die Frage, ob dieser Schönling wohl auch klug ist,kommt sehr schnell. Es gibt das Erhabene, das Würdige – das ist mit Männern korreliert, und dann das Liebliche, das Schöne. Und das ist auch bei dem Kurz so. Der muss sehr aufpassen, dass er nicht in die Schiene rutscht: Meingott, was für ein fescher junger Mann. Da schwingt dann immer der Zweifel mit, ob der auch gescheit und durchsetzungsfähig oder nur niedlich ist.
Ehgartner: Wir unterscheiden sich davon schöne Männer vom Typ eines Haider oder Strache?
Karmasin: Sie repräsentieren einen anderen Typ von Schönheit, den sportlich fitten Typ . Das passt immer, denn es geht in richtung Körperarbeit. Das wollen wir, weil wir sehen, hier war Disziplinierung am Werk. Beim Kurz kann man das nicht sagen. Der hat ein schönes Gesicht und lange Haare.
Ehgartner: Bei Frauen schlägt das dann um, wenn sie sich sportlich präsentieren – oder wenn man gar, wie bei Eva Glawischnig einen Bauchnabel sieht?
Karmasin: Das darf man nicht. Wie Politikerinnen ihren Körper präsentieren müssen, ist extrem rigide. Die Präsidenten Putin oder Sarkozy zeigen sich bei jeder Gelegenheit als sportliche Typen mit nacktem Oberkörper. Sowas wäre bei Politikerinnen ein absolutes Tabu. Die haben ihren weiblichen Körper in der Politik nicht zu präsentieren.
Ehgartner: Beim Dresscode wirkte Kanzlerin Merkel geschickter als Ex-Justizministerin Bandion Ortner?
Karmasin: Mit Sicherheit. Der Dresscode bei Politikerinnen darf nicht sagen: Ich bin ein kleinbürgerliches Weibchen. Der muss zeigen: Ich bin neutral, ich übernehme den dominanten Code. Und das ist der männliche. Frauen können Hosen tragen, aber Männer keine Röckchen. Je näher sie mit ihrer Kleidung an den Business-Macht-Code gehen, desto besser. Anders ist das bei Laura Rudas. Die ist ein ganz anderer Typ. Das ist die Junge. Es muss ja jede Zielgruppe angesprochen werden.
Ehgartner: Gibt es eigentlich noch eine Steigerungsstufe bezüglich der Schönheits-Ideale oder ist hier das Maximum bereits ausgereizt?
Karmasin: Ich denke, dass die Verbindung von Schönheit und Gesundheit noch verschärft werden wird. Der Gesundheitsmarkt ist ja ähnlich riesig wie jener der Schönheit. Und der lebt im Kern auch vom Traum des perfekten Körpers. Es gibt ja auch immer mehr Kliniken im Zwischenbereich, wo enttoxiert und aktiviert ,gesund und schön gemacht wird.
Ehgartner: Unterscheidet sich hier die „sanfte“ Alternativmedizin von den Reparaturansätzen einer plastischen Chirurgie?
Karmasin: Es geht eindeutig in beide Richtungen. Sie entsprechen den beiden Systemen, die bei uns bestimmend sind: das technisch Naturwissenschaftliche Weltbild, das von den staatlichen Stellen gefördert wird und die alternativen Ansätze. Dies ist ein boomender Markt, der einer Sehnsucht der Menschen entgegen kommt. Das eine System beruht auf dem Konzept des dualistischen, zerstückelten,isolierten Körpers, das andere auf dem des ganzheitlichen,fühlenden Körpers, der im Einklang mit der Natur ist.
Ehgartner: Dahinter steht immer auch der Gedanke, dass die Schönheit ein Statussymbol ist. Was unterscheidet denn dieses Symbol von – sagen wir – einem tollen Auto?
Karmasin: Man kann es nicht so einfach kaufen. Ein schöner Mensch signalisiert enorm viel: Finanzielles , soziales und kulturelles Kapital. Ein schöner Körper ist ein Zeichen, das nicht zu überbieten ist. Für einen schönen Körper brauchen Sie mehr als nur Geld, Sie brauchen auch moralischen Qualitäten.Er zeigt, dass Sie wirklich diszipliniert und selbstverantwortlich waren. Sie müssen auch die richtigen Experten kennen und die richtigen Netzwerke. Und das signalisieren Sie alles mit einem schönen Körper. Besonders dann, wenn sie älter sind. Das Leben verschärft diesen Kampf ja Jahr um Jahr. Wer es aber schafft, vom Ideal der Schönheit etwas zu behalten, hat etwas, das kaum durch irgend ein anderes Luxusgut zu überbieten ist.
Ehgartner: Was macht denn jemand, der zum Dicksein neigt?
Karmasin: Der muss sich halt stärker anstrengen. Zum Dicksein neigen, das ist so eine Sache. Wer neigt denn zum Dicksein: Wer abends drei Cremeschnitten isst und sich aufs Sofa legt. Die Leute sagen ja immer, ich esse wie ein Vögelchen und es sind die Gene. Aber es gibt selbstverständlich Abstufungen. Schönheit ist ein Merkmal, das wie alle anderen Merkmale verteilt ist. Manche haben es in hohem Ausmaß. Andere haben es gar nicht, sondern dünne Haare und gelbe Zähne und eine krumme Nase. Die haben dann die Möglichkeit, was zu unternehmen.
Ehgartner: Wie geht es denn Ihnen selbst, wenn Sie hässliche Menschen sehen?
Karmasin: Die erste Anmutung eines schönen Menschen ist sicher positiver als die eines hässlicheren. Da ist kaum jemand gefeit dagegen. Aber selbstverständlich kommt es dann schon drauf an, wie der Mensch spricht und wie er vom Wesen ist. Man kann den Startnachteil schon auch aufholen.
Dr. Helene Karmasin studierte Psychologie und Semiotik und ist die Gründerin der Karmasin Motivforschung GmbH.
Ihr aktuelles Buch „Wahre Schönheit kommt von Aussen“ (Verlag Ecowin, Salzburg) kommt diese Woche in den Buchhandel.
Dies ist die Langfassung eines Interviews, das im Rahmen der Titelgeschichte "Damenwahl" in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil erschienen ist. Foto: © Henisch
Ehgartner: Wie lässt sich Schönheit definieren?
Karmasin: Vor allem als eine Frage der Zeit mit ihren wechselnden Vorgaben. Wenn wir heute Bilder des Fernsehballetts aus den Sechziger Jahren sehen, haben wir den Eindruck, dass die Tänzerinnen alle ein bisschen pummelig sind und dass sie dringend eine Kur gegen Cellulitis notwendig hätten. Zu ihrer Zeit waren sie aber perfekte Schönheiten. Oder nehmen wir den üppigen Busen von Jayne Mansfield auf dem Titelblatt meines Buches. Für eine Dame des Mittelalters wäre das ein Desaster gewesen und sie hätte alles getan um ihn zu verstecken um nicht wie eine sozial tiefrangige Amme zu erscheinen.
Ehgartner: Warum hat sich das Ideal in unserer Zeit so sehr in Richtung eines schlanken Körpers mit makelloser Haut verändert?
Karmasin: Was schön ist, hängt von den Leitwerten ab, die eine Gesellschaft vermitteln möchte. Die Gesellschaft schreibt ihre Leitwerte in das Ideal eines schönen Körpers ein. Es gibt kein besseres Objekt, an dem eine Gesellschaft den einzelnen Mitgliedern demonstrieren kann: Das ist uns wichtig und das verlangen wir von dir. Die Werte, die heute geübt werden sollen sind Disziplinierung, Selbstverantwortlichkeit und Leistungsbereitschaft.
Ehgartner: Daher auch der Kampf gegen das Fett?
Karmasin: Das gleicht einem Kreuzzug. Jedes Gramm Fett muss geächtet werden. Das hat etwas mit Puritanismus zu tun: Wer die Gelüste des Körpers besiegt, demonstriert quasi die Gnade Gottes und ist ein moralisch hochwertiges Mitglied der Gesellschaft. Deshalb werden die fetten Körper auch verfolgt, sie spielen die Rolle von Sündern und machen die Norm deutlich. Der Staat greift ein, indem es etwa heißt: das ist ja auch ungesund. Niemand freut sich, wenn er fett ist und schickt ein SMS: „Hurra, schon wieder ein Kilo zugenommen.“ Die Leute schämen sich stattdessen, weil sie dem Ideal der Gesellschaft nicht genügen.
Ehgartner: Und es gibt riesige Märkte, die diesen Körper formen helfen.
Karmasin: Wir leben eben in einer Marktgesellschaft und ein schöner, perfekter Körper ist ein ideales Objekt. Denn etwas an einem Körper ist immer zu verbessern. Und was bereits schön ist, lässt sich noch optimieren. Sie können für alles Vorsorge treffen. Sie können alles korrigieren, man braucht nur die Maßstäbe immer höher schrauben. Dann gibt es natürlich Leute, die versündigen sich. Dann kriegen sie Diäten und Cellulite-Roller. Das ist ein perfektes Geschäftsmodell.
Ehgartner: Wer übt denn konkret Druck aus?
Karmasin: Das beginnt schon in der Schule: Fette Kinder werden gemobbt. Dicke bekommen schlechter eine Wohnung, schlechtere Jobs bei gleicher Ausbildung. Ich finde das ungeheuer faszinierend, wie Gesellschaften es schaffen, subtilen Druck in die Richtung aufzubauen, was gerade gebraucht wird. Und wir brauchen eben eigenverantwortliche Menschen mit Disziplin und Leistungsbereitschaft. Sehen Sie sich dazu die Produkte an, die zur Selbstmedikation angeboten werden. In Wahrheit geht es dabei gar nicht um Gesundheit, sondern darum jederzeit körperlich und geistig fit und abrufbereit zu sein.
Ehgartner: Wie entstehen denn solche Moden wie das Ideal vom unbehaarten perfekt glatten Körpers?
Karmasin: Es wird als degoutant empfunden, dass es überhaupt noch Reste von tierischer Herkunft gibt. Begonnen hat das schon in der Renaissance, als der moderne Körper erfunden wurde. Der Schwert tragende, schmerzunempfindliche Mann galt nun als primitiv. Das Konzept des geschlossenen Körpers wurde formuliert und die perfekte Enthaarung im Schambereich treibt das auf die Spitze. Das zieht bei den Frauen gleich noch Genitaloperationen nach sich, weil ja alles sichtbar ist und auch die Schamlippen schön und perfekt geformt sein müssen.
Ehgartner: Und man riecht auch nicht mehr – außer nach Parfum.
Karmasin: Jede Form tierischer Herkunft wird getilgt. Keine dieser tabuisierten Körperausscheidungen darf nach außen dringen. Der Körper muss eine glatte, geschlossene Oberfläche zeigen. Das gehört bei uns auch zur Definition des autonomen Menschen. Wer das nicht erfüllt, dem sprechen wir ja fast das Menschsein ab. Denken Sie an die ganz alten Leute, die werden hinter die Kulissen verlagert, das wollen wir nicht riechen, nicht sehen und nicht spüren.
Ehgartner: Gibt es nicht auch eine Gegenbewegung gegen diesen Schönheitswahn?
Karmasin: Selbstverständlich, gegen alle Strömungen gibt es Gegenströmungen und Personen, die das aufs höchste anprangern. Diese extremen alternativen Abweichler, die Deos für Teufelszeug halten, sind allerdings Minoritäten. Die nehmen auch in kauf, dass sie stinken und die würden sich natürlich niemals Körperbehaarung rasieren.
Ehgartner: Wie wird denn ein Schönheitsideal zum Mainstream. Wird das verkündet, oder sickert das ein?
Karmasin: Denken Sie an Werbung der Siebziger Jahre. Da wurden Leute gezeigt, die in der Straßenbahn ihre nasse Achsel hoben und rundherum sind die anderen reihenweise umgefallen und haben haben sich geekelt. Damit begann der Siegeszug der Deos. Die Werbung schafft dabei allerdings nicht den ideologischen Überbau. Sie kann nur verstärken, was schon da ist, und es in sehr prägnante Zeichen fassen.
Ehgartner: Und sie stellt uns Prachtkörper vor die uns vor Neid erblassen lassen?
Karmasin: Damit wird die Schraube der Disziplinierung immer mal wieder ein bisschen mehr angezogen. Zudem ist es interessant, wie hier die Körpervorstellungen von Männern und Frauen abweichen. Aber es gibt ja schon wieder die nächste Stufe: Der Avatar, mit seinem computergenerierten Körper, der nur noch aus unglaublich grazilen sehnigen Gliedmaßen besteht. Das würden wir als nächstes wollen, wenn wir das irgendwie erreichen könnten.
Ehgartner: Sie bringen hier in Ihrem Buch zur Illustration die boomenden Samenbanken in den USA, wo man ein richtiges Wikinger-Kind von großen blonden skandinavischen Spendern bestellen kann.
Karmasin: Nach dem Stand der Dinge ist das immer noch ein Ideal. Wir denken, wir sind bei unseren Vorstellungen vom idealen männlichen und weiblichen Körper vollständig emanzipiert. Wenn sie dann aber sehen, was im Mainstream wirklich geschieht, so haben sie dramatische Unterschiede.
Ehgartner: Wie zeigt sich das?
Karmasin: Wir gehen davon aus, dass Frauen keine Kontrolle über ihren Körper haben, dieser führt ein Eigenleben, er ist ein unfolgsamer Agent. Der Bauch bläht sich oder auf einmal sinkt eine Partie ein und eine andere tritt hervor. Der weibliche Körper ist in der Kosmetik-Werbung prinzipiell defizitär. Der männliche Körper kann auch optimiert werden, aber im Kern ist er okay. Bei Frauen ist hingegen immer etwas zu tun. Da gibt es eine Creme gegen sichtbare Falten, eine gegen solche, die noch nicht sichtbar sind und eine gegen Falten, die erst entstehen könnten. Frauen sind prinzipiell weich und schwabbelig, so wie die Nachspeisen, und sehr leicht dringen Gefühle und Körperflüssigkeiten nach außen. Und das muss vermieden werden. Da sind Körpervorstellungen von Jahrhunderten verarbeitet in diesen Bildern.
Ehgartner: Was verbindet man denn mit übergewichtigen Politikern wie Josef Pröll einer war?
Karmasin: Man beginnt sich zu fragen, warum der wohl so mollig ist und vermutet: Der bewegt sich nicht richtig, der passt beim Essen nicht so auf und trinkt zuviel. Der ist nicht ganz so diszipliniert wie wir das so gern hätten. Also ist es besser, man ist so wie der Obama, oder die ganzen Kollegen, die sich dauernd als sportlich tätig zeigen. Wir stellen nicht unbedingt die Forderung, dass ein Politiker schön sein muss, aber er muss über einen Körper verfügen, an dem wir ablesen, dass er ein selbstverantwortlicher disziplinierter Mensch ist.
Ehgartner: Aber ein Nachteil ist es auch nicht, wenn man so aussieht wie Sebastian Kurz?
Karmasin: Bei Männern ist Schönheit ambivalent. Zum einen ist physische Attraktivität immer ein Bonus. Männliche Politiker müssen dann aber auch ganz schnell zeigen, dass sie sehr gescheit, clever und durchsetzungsfähig sind.
Denn die Frage, ob dieser Schönling wohl auch klug ist,kommt sehr schnell. Es gibt das Erhabene, das Würdige – das ist mit Männern korreliert, und dann das Liebliche, das Schöne. Und das ist auch bei dem Kurz so. Der muss sehr aufpassen, dass er nicht in die Schiene rutscht: Meingott, was für ein fescher junger Mann. Da schwingt dann immer der Zweifel mit, ob der auch gescheit und durchsetzungsfähig oder nur niedlich ist.
Ehgartner: Wir unterscheiden sich davon schöne Männer vom Typ eines Haider oder Strache?
Karmasin: Sie repräsentieren einen anderen Typ von Schönheit, den sportlich fitten Typ . Das passt immer, denn es geht in richtung Körperarbeit. Das wollen wir, weil wir sehen, hier war Disziplinierung am Werk. Beim Kurz kann man das nicht sagen. Der hat ein schönes Gesicht und lange Haare.
Ehgartner: Bei Frauen schlägt das dann um, wenn sie sich sportlich präsentieren – oder wenn man gar, wie bei Eva Glawischnig einen Bauchnabel sieht?
Karmasin: Das darf man nicht. Wie Politikerinnen ihren Körper präsentieren müssen, ist extrem rigide. Die Präsidenten Putin oder Sarkozy zeigen sich bei jeder Gelegenheit als sportliche Typen mit nacktem Oberkörper. Sowas wäre bei Politikerinnen ein absolutes Tabu. Die haben ihren weiblichen Körper in der Politik nicht zu präsentieren.
Ehgartner: Beim Dresscode wirkte Kanzlerin Merkel geschickter als Ex-Justizministerin Bandion Ortner?
Karmasin: Mit Sicherheit. Der Dresscode bei Politikerinnen darf nicht sagen: Ich bin ein kleinbürgerliches Weibchen. Der muss zeigen: Ich bin neutral, ich übernehme den dominanten Code. Und das ist der männliche. Frauen können Hosen tragen, aber Männer keine Röckchen. Je näher sie mit ihrer Kleidung an den Business-Macht-Code gehen, desto besser. Anders ist das bei Laura Rudas. Die ist ein ganz anderer Typ. Das ist die Junge. Es muss ja jede Zielgruppe angesprochen werden.
Ehgartner: Gibt es eigentlich noch eine Steigerungsstufe bezüglich der Schönheits-Ideale oder ist hier das Maximum bereits ausgereizt?
Karmasin: Ich denke, dass die Verbindung von Schönheit und Gesundheit noch verschärft werden wird. Der Gesundheitsmarkt ist ja ähnlich riesig wie jener der Schönheit. Und der lebt im Kern auch vom Traum des perfekten Körpers. Es gibt ja auch immer mehr Kliniken im Zwischenbereich, wo enttoxiert und aktiviert ,gesund und schön gemacht wird.
Ehgartner: Unterscheidet sich hier die „sanfte“ Alternativmedizin von den Reparaturansätzen einer plastischen Chirurgie?
Karmasin: Es geht eindeutig in beide Richtungen. Sie entsprechen den beiden Systemen, die bei uns bestimmend sind: das technisch Naturwissenschaftliche Weltbild, das von den staatlichen Stellen gefördert wird und die alternativen Ansätze. Dies ist ein boomender Markt, der einer Sehnsucht der Menschen entgegen kommt. Das eine System beruht auf dem Konzept des dualistischen, zerstückelten,isolierten Körpers, das andere auf dem des ganzheitlichen,fühlenden Körpers, der im Einklang mit der Natur ist.
Ehgartner: Dahinter steht immer auch der Gedanke, dass die Schönheit ein Statussymbol ist. Was unterscheidet denn dieses Symbol von – sagen wir – einem tollen Auto?
Karmasin: Man kann es nicht so einfach kaufen. Ein schöner Mensch signalisiert enorm viel: Finanzielles , soziales und kulturelles Kapital. Ein schöner Körper ist ein Zeichen, das nicht zu überbieten ist. Für einen schönen Körper brauchen Sie mehr als nur Geld, Sie brauchen auch moralischen Qualitäten.Er zeigt, dass Sie wirklich diszipliniert und selbstverantwortlich waren. Sie müssen auch die richtigen Experten kennen und die richtigen Netzwerke. Und das signalisieren Sie alles mit einem schönen Körper. Besonders dann, wenn sie älter sind. Das Leben verschärft diesen Kampf ja Jahr um Jahr. Wer es aber schafft, vom Ideal der Schönheit etwas zu behalten, hat etwas, das kaum durch irgend ein anderes Luxusgut zu überbieten ist.
Ehgartner: Was macht denn jemand, der zum Dicksein neigt?
Karmasin: Der muss sich halt stärker anstrengen. Zum Dicksein neigen, das ist so eine Sache. Wer neigt denn zum Dicksein: Wer abends drei Cremeschnitten isst und sich aufs Sofa legt. Die Leute sagen ja immer, ich esse wie ein Vögelchen und es sind die Gene. Aber es gibt selbstverständlich Abstufungen. Schönheit ist ein Merkmal, das wie alle anderen Merkmale verteilt ist. Manche haben es in hohem Ausmaß. Andere haben es gar nicht, sondern dünne Haare und gelbe Zähne und eine krumme Nase. Die haben dann die Möglichkeit, was zu unternehmen.
Ehgartner: Wie geht es denn Ihnen selbst, wenn Sie hässliche Menschen sehen?
Karmasin: Die erste Anmutung eines schönen Menschen ist sicher positiver als die eines hässlicheren. Da ist kaum jemand gefeit dagegen. Aber selbstverständlich kommt es dann schon drauf an, wie der Mensch spricht und wie er vom Wesen ist. Man kann den Startnachteil schon auch aufholen.
Dr. Helene Karmasin studierte Psychologie und Semiotik und ist die Gründerin der Karmasin Motivforschung GmbH.
Ihr aktuelles Buch „Wahre Schönheit kommt von Aussen“ (Verlag Ecowin, Salzburg) kommt diese Woche in den Buchhandel.
Dies ist die Langfassung eines Interviews, das im Rahmen der Titelgeschichte "Damenwahl" in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil erschienen ist. Foto: © Henisch
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