Eine nun veröffentlichte Studie zeigt, dass die Kombi-Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken das Risiko eines Fieberkrampfes verdoppelt. Damit ergibt sich die Chance, eine der unsinnigsten Entscheidungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) noch einmal zu überdenken.
Als eine der letzten Taten des im Jahr 2007 zur Impfindustrie übergewechselten berüchtigten Langzeit-Vorsitzenden der STIKO, HJ Schmitt, bleibt die Aufnahme der Windpocken-Impfung in den allgemeinen Impfplan in Erinnerung. Deutschland preschte mit dieser Empfehlung völlig überraschend und im Alleingang in Europa vor. Zumal die Erfahrungen, die in den USA zum Nutzen dieser Impfung vorlagen, alles andere als positiv waren.
Einer der Anlässe für die Empfehlung der STIKO war die gleichzeitige Markt-Einführung eines Vierfach-Impfstoffes gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken (Varizellen). Dieser MMRV-Impfstoff "Priorix Tetra" des Konzerns GlaxoSmithKline erlebte in Deutschland – wohl in Absprache mit den extrem Pharma-nahen Experten der STIKO – seine Europa-Premiere.
Nach wie vor wird Priorix Tetra außerhalb von Deutschland nur in wenigen Ländern Europas angeboten. Zum einen wegen Sorgen über eine geringere Wirksamkeit der Vierer-Kombo gegenüber der bisher üblichen Dreier-Kombo, Masern-Mumps-Röteln (MMR). Zum anderen wegen genereller Bedenken zur Sinnhaftigkeit einer Windpocken-Impfung.
Windpocken verlaufen meist komplikationslos und sind binnen weniger Tage ausgeheilt (Foto: B.E.)
Ich habe in meinem Buch "Lob der Krankheit - Warum es gesund ist, ab und zu krank zu sein", ausführlich über die Bedeutung von Krankheiten für die Reifung des Immunsystems geschrieben. Der Windpocken kommt hier als eine der letzten verbliebenen "Kinderkrankheiten" eine besondere Bedeutung im Sinne eines "Trainingscamps für ein starkes Immunsystem" zu. Die Komplikationsrate der Krankheit ist so gering, dass die meisten Kinderärzte dieser zusätzlichen Impfung skeptisch gegenüber stehen.
Seit diese Impfung mit der sinnvollen MMR-Impfung verknüpft wurde, ergaben sich damit zahlreiche fatale Konsequenzen, die nur noch schwer rückgängig zu machen sind:
Die Zirkulation der Viren geht zurück, ohne dass es eine reale Chance gibt, diese Viren auszurotten. Daraus folgt, dass Windpocken-Epidemien nach wie vor auftreten, allerdings nicht mehr jährlich, so wie bisher, sondern deutlich seltener. Damit infizieren sich die Kinder auch seltener und das durchschnittliche Erkrankungsalter steigt. In den USA, wo seit 1995 geimpft wird, hat sich das durchschnittliche Erkrankungsalter seither mehr als verdoppelt und liegt nun bereits bei elf Jahren.
Wenn das Alter weiter steigt, werden zunehmend Fälle von Windpocken bei schwangeren Frauen auftreten, was für die ungeborenen Babys ähnlich katastrophale Folgen haben kann wie bei Röteln. Wenn Jugendliche oder Erwachsene an Windpocken erkranken, so ist generell die Komplikationsrate wesentlich höher als bei Kindern, die im üblichen Alter (zwischen zwei und sechs Jahren) die Krankheit durchmachen und meist binnen weniger Tage wieder vollständig gesund sind.
Eine weiteres Folgeproblem der Impfung ist, dass geimpfte Mütter ihren Babys weniger schützende Antikörper weiter geben und diese daraufhin ein höheres Risiko haben, in den ersten Lebensmonaten zu erkranken. Bisher kamen solche frühen Erkrankungsfälle nur sehr selten vor. Man weiß jedoch vom selben Effket bei Masern, dass hier ein deutlich höheres Komplikationsrisiko besteht.
Bei Windpocken ist eine Ausrottung der Viren unmöglich, weil die Viren hier - im Gegensatz zu Masern - ein ganzes Leben lang im Körper bleiben: Sowohl nach einer Windpocken-Erkrankung als auch nach einer Windpocken-Impfung, bei der Lebenviren verwendet werden, verschanzen sich diese Viren an den Enden von Nervenfasern und "schlafen" dort. Diese Viren können im späteren Leben – etwa in Zeiten von erhöhtem Stress oder Abwehrschwäche – noch einmal "aufwachen". Dann verursachen sie jedoch nicht mehr die Symptome der Windpocken, sondern manifestieren sich als so genannte Gürtelrose (Herpes zoster).
Nun weiß man, dass das Risiko einer Gürtelrose steigt, wenn Erwachsene wenig Kontakt mit Windpocken-kranken Kindern haben. Die Wildviren halten scheinbar die schlafenden Viren im Körper der Erwachsenen unter Kontrolle. Wenn nun keine Kinder mehr mit Windpocken erkranken, folgen vermehrte Ausbrüche von Gürtelrose bei den Erwachsenen mit dramatischen Folgen: Gürtelrose kann - je nach Nervenbeteiligung gefürchtete Schmerzen verursachen, die auch nach dem Abheilen der Krankheit bestehen bleiben und die Betroffenen quälen. Es gibt keine wirksame Therapie. Die Folgekosten wären enorm. In den USA haben sich die Fälle von Gürtelrose seit der Einführung der Windpocken-Impfung mehr als verdoppelt.
Die Impfstoff-Hersteller reagierten darauf mit der Einführung einer Gürtelrose-Impfung, bei der es sich im Prinzip um eine etwas höher dosierte Kinderimpfung handelt. Die Impfung versucht also den Kontakt mit Windpocken-kranken Kindern zu imitieren und hat - zumindest für die Hersteller - den Vorteil, dass damit mit der Krankheit doppelt verdient werden kann: bei den Kindern und bei den Älteren.
Insgesamt bringt die Einführung einer Windpocken-Impfung für die Gesamtbevölkerung zahlreiche Nachteile und ein enormes Gesundheits-Risiko mit sich. Und es bedarf einer wirklich genauen Befassung mit dieser Thematik, weil damit Fakten gesetzt werden, die nicht mehr - oder nur unter enormen Opfern - rückgängig gemacht werden können. Deswegen wäre es hoch an der Zeit, die Entscheidung der STIKO noch einmal zu überprüfen, oder die mittlerweile etwas weniger Pharma-lastige Experten-Kommission selbst mit der Evaluierung ihrer damaligen Entscheidung zu beauftragen.
Früher oder später könnte sich nämlich der Zwang ergeben, die Vierer-Kombo zu verwenden, wenn die Hersteller damit aufhören, die Einzelkomponenten anzubieten. So wie es ja auch bei den anderen Kinder-Impfstoffen extrem schwierig ist, die Tetanus-, Diphtherie- oder Keuchhusten Impfung einzeln in den Apotheken zu bekommen. Hier ist es die Sechsfach-Impfung Infanrix-Hexa, die eine Monopolstellung genießt und alle anderen Baby-Impfungen weitgehend verdrängt hat.
Wenn nun bei den Lebendimpfungen gegen die vier Kinderkrankheiten - früher oder später - nur noch eine Vierfach-Impfung am Markt erhältlich ist, so haben die Eltern ebenfalls nicht mehr die Möglichkeit zu wählen. Um ihren Kindern einen Schutz vor Masern, Mumps oder Röteln zu sichern, wären sie gezwungen, auch die Windpocken-Impfung mit zu nehmen.
Nun ist im Fachjournal Pediatrics eine Studie erschienen, die ein weiteres Argument dafür liefert, die Vierer-Kombi-Impfung nicht zu verwenden: Bereits im Jahr 2008 hatte eine Studie gezeigt, dass die MMRV-Impfung das Risiko auf nachfolgende schwere Fieberkrämpfe bei den Kindern verdoppelt. Nun hat sich dieser Verdacht in einer neuerlichen Untersuchung im Rahmen der groß angelegten "Vaccine Safety Datalink"-Studie bestätigt. Beim Vergleich von 83.107 Impflingen, die eine Vierer MMRV-Impfung erhielten, mit 376.354 Impflingen, welche die herkömmliche MMR-Impfung plus eine Einzelimpfung gegen Windpocken (Varizellen) erhielten, ergab sich neuerlich ein doppelt so hohes Krampfrisiko. Die MMRV-Impfung verursacht demnach einen zusätzlichen Fieberkrampf pro 2.300 Impfungen.
Fieberkrämpfe sind für alle Eltern, die so etwas mitmachen mussten, ein schockierendes Erlebnis. Ich habe selbst bei meinem Sohn so etwas mit gemacht und ich wünsche das niemandem. Auch wenn die objektive Gefahr, dass die Kinder sterben oder dauerhaften Schaden erleiden, gering ist, so ist allein der Anblick der bewusstlosen von Krämpfen geschüttelten Lieblinge, die zu ersticken scheinen, schrecklich.
Wenn nun das Fieberkrampf Risiko, ein Grund ist, die gesamte Politik bezüglich der Massen-Impfung gegen Windpocken noch einmal zu überdenken, so hat das zumindest etwas Gutes.
Mittwoch, 30. Juni 2010
Montag, 28. Juni 2010
Skandal um Rosi
Funktioniert das System der Arzneimittel-Überwachung, oder sind die zuständigen Behörden massiv von Pharma-Lobbyisten unterwandert? Dieser Verdacht drängt sich bei einer aktuellen Affäre auf, in der eine kritische Studie zu einem Milliardenseller am Diabetesmarkt in Verruf gebracht werden sollte. Das kuriose dabei: Sowohl die Autoren der Studie als auch deren potenziellen Saboteure stammen aus dem Umfeld der US-Zulassungsbehörde FDA.
Heute ist auf der Webseite des Journals der Amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA) eine neue Studie zum umstrittenen Diabetes-Medikament Rosiglitazon erschienen, das unter dem Handelsnamen "Avandia" verkauft wird und dem Konzern GlaxoSmithKline jedes Jahr zu Umsätzen in Milliardenhöhe verhilft. Die Studie vergleicht in einer Kohorte von mehr als 200.000 Versicherten der US-Krankenversicherung medicare jene Patienten, die auf Rosiglitazon eingestellt wurden mit jenen die Pioglitazon (Handelsname "Actos"), ein anderes Medikament dieser Klasse bekamen. Studien-Endpunkte waren: Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen und Tod. Das kombinierte Risiko auf einen dieser Endpunkte lag in der Rosiglitazon-Gruppe um 68% höher als in der Kontrollgruppe. Daraus folgt, dass unter 60 Personen, die ein Jahr lang Avandia nehmen, eine Person von einem der unangenehmen Ereignisse betroffen ist.
Avandia war bis 2007 das meistverkaufte Diabetes-Medikament weltweit. Aufgrund beständig schlechter Nachrichten hat sich das etwas abgeschwächt, der Umsatz ist von mehr als drei Milliarden US-Dollar auf rund eine Milliarde gefallen. Das bedeutet aber dennoch noch immer, dass viele Millionen von Avandia-Rezepten ausgestellt werden und nach den Resultaten der Studie Abertausende von Patienten geschädigt werden könnten oder sogar daran sterben.
Die aktuelle JAMA-Studie bringt ähnlich katastrophale Zahlen wie eine Meta-Analyse, die 2007 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde: Damals errechneten Steven Nissen und Kathy Wolski, Herzspezialisten der Cleveland Clinic ein um 43 Prozent höheres Risiko auf Herzinfarkte, verglichen mit herkömmlichen Diabetes-Medikamenten.
Schon damals waren Mitarbeiter von GlaxoSmithKline massiv gegen die Veröffentlichung vorgegangen. Sie hatten Steven Nissen sogar in seinem Büro besucht und mit einer Mischung aus Drohungen und Falschinformationen unter Druck gesetzt. Damit waren sie allerdings an den Falschen geraten, denn Nissen nahm die Gespräche heimlich auf und brachte den Mitschnitt via New York Times an die Öffentlichkeit.
Misteriös ist nun der aktuelle Fall. Bereits Ende Mai war nämlich ein Manuskript der neuen Studie dem Blog Pharmalot des Journalists Ed Silverman zugespielt worden, der dieses auch veröffentlichte. Die mögliche Absicht dahinter: Nach den Bestimmungen der Branche hat eine Studie, die vor der offiziellen Publikation in der Öffentlichkeit erscheint, keine Chance mehr, in einem der angesehenen Journale publiziert zu werden. Der Hauptautor der betroffenen Studie, David Graham, sagte in einem Interview mit dem Online-Portal heartwire: "Ich bin mir – so wie auch die Verantwortlichen des JAMA – sicher, dass diese Aktion ein Versuch von Leuten innerhalb der FDA war, die Publikation meiner Daten zu blockieren. Die Idee dahinter war, dass damit das JAMA die Arbeit nicht veröffentlichen würde und sie ihre Glaubwürdigkeit verliert."
Als Graham bemerkt hat, dass es ein Leck gibt, habe er deshalb sofort einen JAMA-Redakteur angerufen und erklärt, dass es einen "Akt von Sabotage" gegeben hat. Die Verantwortlichen des Journals glaubten seiner Darstellung und reagierten mit der online Vorab-Veröffentlichung der Studie auf der offiziellen Website.
Mal sehen, ob die Behörden den vielfachen Forderungen nach einem Verbot von Rosiglitazon weiter widerstehen, wenn Mitte Juli dazu ein FDA-Meeting stattfindet, bei dem unter anderem auch Nissen und Graham geladen sind.
Nissen und Wolski haben – aus Anlass dieses als entscheidend für die Zukunft des Medikaments angesehenen Meetings – ihre Meta-Analyse noch einmal aktualisiert. Die Ergebnisse sind unter dem Titel Rosiglitazone Revisited ebenfalls heute auf der Website der Archives of Internal Medicine erschienen und poolen die Daten aus 56 Studien mit insgesamt 35.532 Teilnehmern, von denen 19.509 Avandia bekommen haben. Das Medikament erhöhte laut den Ergebnissen das Risiko für Herzinfarkte von 28 auf 39 Prozent. Wenn 45 Personen über fünf Jahre Avandia nehmen, erleidet im Schnitt eine davon einen Herzinfarkt, der laut Kalkulation der Wissenschaftler auf das Medikament zurückzuführen ist.
GlaxoSmithKline begegnete diesen Vorwürfen bisher mit dem Argument, dass es eine ganze Reihe von Studien gebe, die kein höheres kardiovaskuläres Risiko zeigen und die Interpretation der Avandia-Kritiker auch ein Irrtum sein könne.
Die Europäischen Arzneimittel-Behörden hatten sich bislang - ebenso wie ihre Kollegen aus den USA - dieser Sichtweise angeschlossen und keine Veranlassung gesehen, der Sicherheit der Patienten gegenüber den Intentionen der Herstellerfirma den Vorrang zu geben.
Wie oberflächlich die Vertreter der Deutschen Behörden hier agieren, demonstrierte Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einem sehenswerten Beitrag des ARD-Magazins Kontraste.
Steven Nissen, Autor der erwähnten Meta-Analyse, erklärt zuvor:
Die Deutsche Behörde stützt sich - anstatt auf Nissens unabhängige Arbeit lieber auf eine Studie, die vom Avandia-Hersteller bezahlt wurde. Darauf angesprochen entwickelt sich folgender Dialog:
Kontraste:
Ulrich Hagemann:
Kontraste:
Ulrich Hagemann:
Für den unabhängigen Arzneimittelexperten Wolfgang Becker Brüser ist Avandia ein typischer Beleg, dass das System der Arzneimittelüberwachung nicht funktioniert:
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber "arznei-telegramm":
Während etwa die eher Pharma-kritische Europäische Diabetes-Gesellschaft (EASD) seit langem das Verbot von Rosigliatzon fordert, treten eine Reihe anderer Diabetes-Gesellschaften für weitere Studien ein, die Jahre dauern, bis Ergebnisse vorliegen und - nach Ansicht von Kritikern vor allem den Zweck verfolgen, GlaxoSmithKline noch gute Jahre des Verdienens zu ermöglichen, bis die Patente ablaufen.
Und die Experten helfen gerne dabei mit.
Beispielsweise jene, die im Jahr 2008 in der österreichischen Schrift "Rosiglitazon - Evaluation des kardiovaskulären Sicherheitsprofils" dazu befragt wurden. Das Papier wurde als "Orientierungshilfe für Ärzte in der täglichen Praxis" von der zum Konglomerat des Wiener Pharma-Lobbyisten Robert Riedl gehörenden Firma "Update Europe" herausgegeben, deren Geschäftsbereich die Pharma-nahe Fortbildung von Medizinern ist.
Wenig überraschend heißt es denn auch in der kurzen Zusammenfassung der Studienlage, dass "das Nutzen-Risikoprofil insgesamt als positiv beurteilt wird". Zur Vorsicht mit der Anwendung von Avandia wird nur bei Patienten geraten, die bereits an einer manifesten Herzkrankheit leiden.
Und dann treten in der Fortbildungsbroschüre eine Reihe von Experten auf, die jeweils in einem kurzen Statement ihre Sicht der Dinge bezüglich Rosiglitazon auf den Punkt bringen. Hier einige Ausschnitte, um zu zeigen, wie der Hase läuft:
Dr. Helmut Brath, Wien:
Prim. Univ.Prof. Dr. Georg Biesenbach, Linz:
Prim. Univ.Doz. Dr. Peter Fasching, Wien:
Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Wien:
Univ. Prof. Dr. Thomas Pieber, Graz:
Uups, Verzeihung, das letzte Zitat stammt natürlich nicht aus dem Pharma-Papier, sondern aus einem Interview, das ich vergangenes Jahr mit dem bekannt kritischen Grazer Diabetologen geführt habe.
Über Glitazone habe ich erstmals ausführlicher für mein 2002 bei Piper erschienenes Buch "Das Medizinkartell" (Co-Autor Kurt Langbein) geschrieben. Und bereits damals fiel das Resümee nicht gut für diese Medikamentenklasse aus.
Glitazone sind so genannte Insulin-Sensitizer: sie machen die Zellen aus unbekannten Gründen empfänglicher für die Wirkung von Insulin und verstärken damit die Aufnahme von Blutzucker im Organismus. Eine der bekannten Nebenwirkungen der Glitazone ist die daraus folgende Gewichtszunahme. Für die Glitazone spricht eigentlich nur ein Laborwert, nämlich die über die Zucker-Einlagerung in den Zellen erkaufte Absenkung des Zuckerspiegels im Blut.
Troglitazon, der erste Wirkstoff dieser Gruppe wurde 1997 zugelassen. Über aggressives Marketing wurde das Mittel rasch zu einem Milliardenseller, bis sich dann Fälle von Leberversagen häuften und es vom Markt genommen werden musste.
Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der Jahrtausendwende hatte Rosiglitazon aber bereits seinen monetären Siegeszug angetreten. Und es gab auch damals schon heftige Kritiker, etwa den britischen Stoffwechselexperten Edwin Gale, der im Journal Lancet forderte, die unabhängige Forschung aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Dies könnte über bessere und zugleich billigere Produkte die Gesundheitsbudgets entlasten und gleichzeitig aus den "verkauften Handlangern" wieder seriöse Forscher machen. Seinen Kommentar schließt Gale mit folgendem Appell an die Diabetes-Experten:
Nachtrag:
Mitte Juni hat der "Gemeinsame Bundesausschuss" (GBA) auf Antrag der Krankenkassen und auf Basis von Studien-Auswertungen des Kölner "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" (IQWiG) entschieden, dass Glitazone nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden dürfen. Diesem Beschluss muss Gesundheitsminister Philipp Rösler noch zustimmen. Es sind mehrmonatige Übergangsfristen vorgesehen, um den Ärzten die Möglichkeit zu geben, ihre Patienten auf andere Präparate umzustellen.
Die betroffenen Konzerne laufen gegen diese Entscheidung Sturm und sehen einen Widerspruch zum bisherigen Urteil der Zulassungsbehörden. Damit überschreite der GBA eindeutig seine Kompetenzen, heißt es.
"Wahrscheinlich läuft der GBA auch in einen Konflikt mit dem Gesetzgeber", heißt es in einer Analyse der Deutschen Ärztezeitung. "Mit seinem Urteil über die Arzneimittelsicherheit schafft der GBA quasi eine Sonder-Sicherheitszone für Kassenpatienten, die für andere Patienten nicht gilt."
Eine kuriose Argumentation, die für eine weitere heiße Diskussion sorgen wird. Interessant jedenfalls, dass es zumindest eine Institution zu geben scheint, die - im Gegensatz zu den Arzneimittelbehörden - ihren Auftrag zur Sicherung der Gesundheit der Bürger ernst nimmt.
Heute ist auf der Webseite des Journals der Amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA) eine neue Studie zum umstrittenen Diabetes-Medikament Rosiglitazon erschienen, das unter dem Handelsnamen "Avandia" verkauft wird und dem Konzern GlaxoSmithKline jedes Jahr zu Umsätzen in Milliardenhöhe verhilft. Die Studie vergleicht in einer Kohorte von mehr als 200.000 Versicherten der US-Krankenversicherung medicare jene Patienten, die auf Rosiglitazon eingestellt wurden mit jenen die Pioglitazon (Handelsname "Actos"), ein anderes Medikament dieser Klasse bekamen. Studien-Endpunkte waren: Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen und Tod. Das kombinierte Risiko auf einen dieser Endpunkte lag in der Rosiglitazon-Gruppe um 68% höher als in der Kontrollgruppe. Daraus folgt, dass unter 60 Personen, die ein Jahr lang Avandia nehmen, eine Person von einem der unangenehmen Ereignisse betroffen ist.
Avandia war bis 2007 das meistverkaufte Diabetes-Medikament weltweit. Aufgrund beständig schlechter Nachrichten hat sich das etwas abgeschwächt, der Umsatz ist von mehr als drei Milliarden US-Dollar auf rund eine Milliarde gefallen. Das bedeutet aber dennoch noch immer, dass viele Millionen von Avandia-Rezepten ausgestellt werden und nach den Resultaten der Studie Abertausende von Patienten geschädigt werden könnten oder sogar daran sterben.
Die aktuelle JAMA-Studie bringt ähnlich katastrophale Zahlen wie eine Meta-Analyse, die 2007 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde: Damals errechneten Steven Nissen und Kathy Wolski, Herzspezialisten der Cleveland Clinic ein um 43 Prozent höheres Risiko auf Herzinfarkte, verglichen mit herkömmlichen Diabetes-Medikamenten.
Schon damals waren Mitarbeiter von GlaxoSmithKline massiv gegen die Veröffentlichung vorgegangen. Sie hatten Steven Nissen sogar in seinem Büro besucht und mit einer Mischung aus Drohungen und Falschinformationen unter Druck gesetzt. Damit waren sie allerdings an den Falschen geraten, denn Nissen nahm die Gespräche heimlich auf und brachte den Mitschnitt via New York Times an die Öffentlichkeit.
Misteriös ist nun der aktuelle Fall. Bereits Ende Mai war nämlich ein Manuskript der neuen Studie dem Blog Pharmalot des Journalists Ed Silverman zugespielt worden, der dieses auch veröffentlichte. Die mögliche Absicht dahinter: Nach den Bestimmungen der Branche hat eine Studie, die vor der offiziellen Publikation in der Öffentlichkeit erscheint, keine Chance mehr, in einem der angesehenen Journale publiziert zu werden. Der Hauptautor der betroffenen Studie, David Graham, sagte in einem Interview mit dem Online-Portal heartwire: "Ich bin mir – so wie auch die Verantwortlichen des JAMA – sicher, dass diese Aktion ein Versuch von Leuten innerhalb der FDA war, die Publikation meiner Daten zu blockieren. Die Idee dahinter war, dass damit das JAMA die Arbeit nicht veröffentlichen würde und sie ihre Glaubwürdigkeit verliert."
Als Graham bemerkt hat, dass es ein Leck gibt, habe er deshalb sofort einen JAMA-Redakteur angerufen und erklärt, dass es einen "Akt von Sabotage" gegeben hat. Die Verantwortlichen des Journals glaubten seiner Darstellung und reagierten mit der online Vorab-Veröffentlichung der Studie auf der offiziellen Website.
Mal sehen, ob die Behörden den vielfachen Forderungen nach einem Verbot von Rosiglitazon weiter widerstehen, wenn Mitte Juli dazu ein FDA-Meeting stattfindet, bei dem unter anderem auch Nissen und Graham geladen sind.
Nissen und Wolski haben – aus Anlass dieses als entscheidend für die Zukunft des Medikaments angesehenen Meetings – ihre Meta-Analyse noch einmal aktualisiert. Die Ergebnisse sind unter dem Titel Rosiglitazone Revisited ebenfalls heute auf der Website der Archives of Internal Medicine erschienen und poolen die Daten aus 56 Studien mit insgesamt 35.532 Teilnehmern, von denen 19.509 Avandia bekommen haben. Das Medikament erhöhte laut den Ergebnissen das Risiko für Herzinfarkte von 28 auf 39 Prozent. Wenn 45 Personen über fünf Jahre Avandia nehmen, erleidet im Schnitt eine davon einen Herzinfarkt, der laut Kalkulation der Wissenschaftler auf das Medikament zurückzuführen ist.
GlaxoSmithKline begegnete diesen Vorwürfen bisher mit dem Argument, dass es eine ganze Reihe von Studien gebe, die kein höheres kardiovaskuläres Risiko zeigen und die Interpretation der Avandia-Kritiker auch ein Irrtum sein könne.
Die Europäischen Arzneimittel-Behörden hatten sich bislang - ebenso wie ihre Kollegen aus den USA - dieser Sichtweise angeschlossen und keine Veranlassung gesehen, der Sicherheit der Patienten gegenüber den Intentionen der Herstellerfirma den Vorrang zu geben.
Wie oberflächlich die Vertreter der Deutschen Behörden hier agieren, demonstrierte Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einem sehenswerten Beitrag des ARD-Magazins Kontraste.
Steven Nissen, Autor der erwähnten Meta-Analyse, erklärt zuvor:
Es gibt keinen Langzeitnutzen von Avandia, es gibt keinen Nutzen in Vergleich zu anderen Diabetesmedikamenten. Es ist Zeit, das Mittel vom Markt zu nehmen. Ehrlich gesagt, hätte das schon 2007 passieren müssen.
Die Deutsche Behörde stützt sich - anstatt auf Nissens unabhängige Arbeit lieber auf eine Studie, die vom Avandia-Hersteller bezahlt wurde. Darauf angesprochen entwickelt sich folgender Dialog:
Kontraste:
Hat Sie der Bericht nicht interessiert, um zu sehen, welche Methoden angewandt wurden, was bekannt war und was nicht?
Ulrich Hagemann:
Er hat mich schon interessiert, aber…
Kontraste:
Aber gelesen haben Sie ihn noch nicht?
Ulrich Hagemann:
Nein, ich habe ihn nicht gelesen.
Für den unabhängigen Arzneimittelexperten Wolfgang Becker Brüser ist Avandia ein typischer Beleg, dass das System der Arzneimittelüberwachung nicht funktioniert:
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber "arznei-telegramm":
Dringend notwendig ist eine öffentliche Diskussion zu den Zulassungspraktiken der Zulassungsbehörden, es ist eine Diskussion über die zugrunde liegende Gesetzgebung nötig, die vielfach nicht ausreicht. Es ist eine Diskussion darüber notwendig, wie damit umgegangen wird, wenn Firmen betrügen. Manager müssen für Betrügereien, die Firmen machen, haften, und wirklich haften, auch in den Knast gehen. Dann ist auch eine Chance, dass hier eine Besserung stattfindet.
Während etwa die eher Pharma-kritische Europäische Diabetes-Gesellschaft (EASD) seit langem das Verbot von Rosigliatzon fordert, treten eine Reihe anderer Diabetes-Gesellschaften für weitere Studien ein, die Jahre dauern, bis Ergebnisse vorliegen und - nach Ansicht von Kritikern vor allem den Zweck verfolgen, GlaxoSmithKline noch gute Jahre des Verdienens zu ermöglichen, bis die Patente ablaufen.
Und die Experten helfen gerne dabei mit.
Beispielsweise jene, die im Jahr 2008 in der österreichischen Schrift "Rosiglitazon - Evaluation des kardiovaskulären Sicherheitsprofils" dazu befragt wurden. Das Papier wurde als "Orientierungshilfe für Ärzte in der täglichen Praxis" von der zum Konglomerat des Wiener Pharma-Lobbyisten Robert Riedl gehörenden Firma "Update Europe" herausgegeben, deren Geschäftsbereich die Pharma-nahe Fortbildung von Medizinern ist.
Wenig überraschend heißt es denn auch in der kurzen Zusammenfassung der Studienlage, dass "das Nutzen-Risikoprofil insgesamt als positiv beurteilt wird". Zur Vorsicht mit der Anwendung von Avandia wird nur bei Patienten geraten, die bereits an einer manifesten Herzkrankheit leiden.
Und dann treten in der Fortbildungsbroschüre eine Reihe von Experten auf, die jeweils in einem kurzen Statement ihre Sicht der Dinge bezüglich Rosiglitazon auf den Punkt bringen. Hier einige Ausschnitte, um zu zeigen, wie der Hase läuft:
Dr. Helmut Brath, Wien:
Auch wenn für Rosiglitazon und weitere antidiabetische Medikamente nun unerwartete neue Aspekte auftauchen, so ist ein einfaches Absetzen der Therapie keine Option.
Prim. Univ.Prof. Dr. Georg Biesenbach, Linz:
Vorteil des Rosiglitazons ist sicherlich auch die jahrelange Therapieerfahrung bei einer sehr großen Patientenzahl.
Prim. Univ.Doz. Dr. Peter Fasching, Wien:
Bei Patienten unter bereits laufender Therapie mit Rosiglitazon, die keine Kontraindikationen und eine gute glykämische Kontrolle aufweisen, würde ich das Therapieregime nicht ändern.
Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Wien:
Die beste Evidenz für Glitazone gibt es bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung (für Rosiglitazon bereits im prädiabetischen Stadium), welche aus kardiovaskulärer Sicht meist noch relativ unproblematisch sind. Dabei liegen für Rosiglitazon im Vergleich zu Pioglitazon wesentlich mehr Studiendaten vor. Beide Substanzen sind für die frühen Therapiephasen gut geeignet, wobei es meiner Ansicht nach keine Anhaltspunkte gibt, einen Wirkstoff gegenüber dem anderen zu bevorzugen.
Univ. Prof. Dr. Thomas Pieber, Graz:
Die Ärzte haben als Advokaten ihrer Patienten versagt. Sie hätten warnen und hinterfragen müssen – und nicht alles willfährig übernehmen, was ihnen von der Industrie vorgelegt wird. Es ist schon unsere Verantwortung als Ärzte, dass wir nicht Medikamente- verschreiben, die unsere Patienten schädigen oder sogar umbringen könnten.
Uups, Verzeihung, das letzte Zitat stammt natürlich nicht aus dem Pharma-Papier, sondern aus einem Interview, das ich vergangenes Jahr mit dem bekannt kritischen Grazer Diabetologen geführt habe.
Über Glitazone habe ich erstmals ausführlicher für mein 2002 bei Piper erschienenes Buch "Das Medizinkartell" (Co-Autor Kurt Langbein) geschrieben. Und bereits damals fiel das Resümee nicht gut für diese Medikamentenklasse aus.
Glitazone sind so genannte Insulin-Sensitizer: sie machen die Zellen aus unbekannten Gründen empfänglicher für die Wirkung von Insulin und verstärken damit die Aufnahme von Blutzucker im Organismus. Eine der bekannten Nebenwirkungen der Glitazone ist die daraus folgende Gewichtszunahme. Für die Glitazone spricht eigentlich nur ein Laborwert, nämlich die über die Zucker-Einlagerung in den Zellen erkaufte Absenkung des Zuckerspiegels im Blut.
Troglitazon, der erste Wirkstoff dieser Gruppe wurde 1997 zugelassen. Über aggressives Marketing wurde das Mittel rasch zu einem Milliardenseller, bis sich dann Fälle von Leberversagen häuften und es vom Markt genommen werden musste.
Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der Jahrtausendwende hatte Rosiglitazon aber bereits seinen monetären Siegeszug angetreten. Und es gab auch damals schon heftige Kritiker, etwa den britischen Stoffwechselexperten Edwin Gale, der im Journal Lancet forderte, die unabhängige Forschung aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Dies könnte über bessere und zugleich billigere Produkte die Gesundheitsbudgets entlasten und gleichzeitig aus den "verkauften Handlangern" wieder seriöse Forscher machen. Seinen Kommentar schließt Gale mit folgendem Appell an die Diabetes-Experten:
Wenn alles andere schief geht, könnten wir es ja wieder mal mit Wissenschaft versuchen.
Nachtrag:
Mitte Juni hat der "Gemeinsame Bundesausschuss" (GBA) auf Antrag der Krankenkassen und auf Basis von Studien-Auswertungen des Kölner "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" (IQWiG) entschieden, dass Glitazone nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden dürfen. Diesem Beschluss muss Gesundheitsminister Philipp Rösler noch zustimmen. Es sind mehrmonatige Übergangsfristen vorgesehen, um den Ärzten die Möglichkeit zu geben, ihre Patienten auf andere Präparate umzustellen.
Die betroffenen Konzerne laufen gegen diese Entscheidung Sturm und sehen einen Widerspruch zum bisherigen Urteil der Zulassungsbehörden. Damit überschreite der GBA eindeutig seine Kompetenzen, heißt es.
"Wahrscheinlich läuft der GBA auch in einen Konflikt mit dem Gesetzgeber", heißt es in einer Analyse der Deutschen Ärztezeitung. "Mit seinem Urteil über die Arzneimittelsicherheit schafft der GBA quasi eine Sonder-Sicherheitszone für Kassenpatienten, die für andere Patienten nicht gilt."
Eine kuriose Argumentation, die für eine weitere heiße Diskussion sorgen wird. Interessant jedenfalls, dass es zumindest eine Institution zu geben scheint, die - im Gegensatz zu den Arzneimittelbehörden - ihren Auftrag zur Sicherung der Gesundheit der Bürger ernst nimmt.
Montag, 21. Juni 2010
Milliardengrab Schweinegrippe
Ein sehr interessanter Beitrag zum Thema Schweinegrippe lief letzten Donnerstag im Magazin Monitor der ARD. "Wer steuerte die WHO?", fragten die Redakteure und besuchen unter anderem das niederländische Influenza-Mastermind Albert Osterhaus, einen der Chef-Berater der WHO. Osterhaus ist neben vielen Industrie-nahen Jobs auch Vorsitzenden von ESWI, einer "unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlern", die wie Osterhaus behauptet alle unentgeltlich arbeiten und rein zufällig Lobbyarbeit für die Hersteller der Influenza-Impfstoffe machen. Finanziert wird die ESWI von mehr als zehn dieser Pharmakonzerne. Dennoch hat Osterhaus die Chuzpe gegenüber Monitor zu behaupten: "ESWI ist in der Verwendung seines Geldes komplett unabhängig. Wenn die Industrie zu uns kommt und fragt, könntet Ihr das Geld für dieses oder jenes verwenden, so diskutieren wir das nicht einmal." - "Und Sie persönlich halten sich bei ESWI für einen unabhängigen Wissenschftler", fragt der Monitor-Reporter nach. "Hundert Prozent unabhängig!" lautet Osterhaus' Antwort. Wenn das so ist, können wir ja unbesorgt sein und auf Osterhausens Ratschlag noch ein paar Milliarden in seine nächste unabhängige Expertise investieren.
Das Geheimnis der Finnen
In Finnland gehen Frauen später und seltener zu den Gynäkologen, um einen Krebsabstrich machen zu lassen. Dennoch liegt die Sterberate beim Gebärmutterhalskrebs deutlich niedriger. Bert Ehgartner bat die Pathologin Helene Wiener und den Gynäkologen Herbert Kiss zur Diskussion um dieses Rätsel.
Die Früherkennung des Zervix-Karzinoms (Gebärmutterhalskrebs) gilt als Erfolgs-Geschichte der Krebs-Vorsorge, die Sterberate hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert. Ein Gutteil dieses Erfolges wird dem „Pap-Abstrich “ zugeschrieben, benannt nach dessen Erfinder George Papanicolaou. Dabei werden Zellen vom Gebärmutterhals abgestrichen und dann im Labor auf Veränderungen untersucht.
Die Krebsabstriche erfolgen in Österreich nicht in Form eines organisierten Screening-Programmes, sondern opportunistisch: Untersucht werden jene Frauen, die zum Arzt gehen und das Angebot eines „Krebsabstriches“ annehmen.
Daraus folgt, dass jüngere Frauen recht häufig untersucht werden und oft falscher Krebsalarm ausgelöst wird. Eine Folge davon sind jährlich rund 5.000 „Konisationen“, Operationen, bei denen verdächtiges Gewebe an der Gebärmutter entfert wird. Hier steigt das Risiko auf Fehl- und Frühgeburten stark an. Frauen ab vierzig – speziell jene aus niedrigerem Sozialmilieu, werden im Rahmen eines oportunistischen Screenings hingegen selten bis gar nicht untersucht, obwohl hier das Erkrankungsrisiko am höchsten ist.
Länder wie Finnland oder die Niederlande betreiben ein organisierten Screening, wo alle Frauen im Alter zwischen 30 und 60 im Abstand von drei bis fünf Jahren persönliche Einladungen zum Pap-Abstrich erhalten. Am Programm können nur Gynäkologen und Labors teilnehmen, welche strenge Qualitätskriterien erfüllen, das Programm wird laufend wissenschaftlich evaluiert. Finnland hat heute in den meisten Jahren keine Todesfälle mehr bei Frauen unter 50 Jahren, insgesamt liegt die Sterberate bei einem Drittel der österreichischen.
Ehgartner: Wie ist denn ihrer Meinung nach die Situation beim Pap-Abstrich in Österreich?
Kiss: Es gibt zweifellos Verbesserungsbedarf. Dass ein organisiertes Screening das beste wäre, das wissen wir. Das ist hinlänglich bekannt. Es gab auch schon zahlreiche Sitzungen, die vom Ministerium ausgegangen sind. Dann ist man drauf gekommen, dass das relativ teuer ist, wenn man das wirklich gut organisiert. Und da war dann plötzlich keine Rede mehr davon.
Wiener: Organisiertes Screening ist eine Vorsorgeart, die von der Bevölkerung angenommen werden muss. Die Finnen, die hier so gut sind, haben als Bevölkerung soweit mir bekannt kein Problem, dass es ein zentrales Dateiregister gibt. Das ist in Österreich sicher anders.
Ehgartner: Sie meinen die Sorge um den Datenschutz ist hier größer?
Kiss: Das sehen Sie ja bei jeder Diskussion zu diesem Thema. Es können ja nicht mal mehr Befunde von Spital zu Spital gefaxt werden, weil man Angst um den Datenschutz hat. Und bei einem Screening wie in Finnland müsste eben jede Frau computerisiert werden mit ihren Daten. Jederzeit abrufbar. Das ist ein heißer Diskussionspunkt.
Wiener: Dazu haben wir ein Problem, das immer drückender wird. Screenerinnen, vorwiegend Frauen, die die Abstriche vor der Vidierung durch die Ärzte ansehen, sind im Durchschnitt schon 50 oder mehr Jahre alt. Das Screening fordert neben hohem Verantwortungsbewusstsein ein hohes optisches Talent und viel Ausdauer. Wir haben hier kaum Nachwuchs und viele Stellen sind bereits jetzt schwer zu besetzen.
Kiss: Das liegt auch daran, dass in den Medien herumgeistert, ob das Pap-Screening überhaupt sinnvoll ist. Da überlegt sich ein junger Mensch: soll ich in einen Job gehen, den es in zehn Jahren vielleicht überhaupt nicht mehr gibt.
Ehgartner: Na gut, da wird aber auch von Seiten der Gynäkologen kräftig in diese Richtung gearbeitet, wenn es etwa heißt, dass die HPV-Impfung das Zervix-Problem ohnehin lösen wird.
Kiss: Ja, in dreissig bis fünfzig Jahren vielleicht.
Ehgartner: Also auf die Impfung braucht man sich hier nicht verlassen?
Kiss: Es wird in Österreich nicht geimpft. Wenn sie ein gutes Screening haben, rechnet sich die Impfung nicht – so wie in Finnland. Aber in fast allen anderen Ländern Europas gibt es staatliche Impfprogramme.
Ehgartner: Während in Finnland die Frauen erst ab einem Alter von 30 Jahren zum Screening eingeladen werden und das Intervall bei unauffälligen Befunden fünf Jahre beträgt, erhalten bei uns die jungen Frauen meist ihren ersten Krebsabstrich, wenn sie wegen einem Rezept für die Pille kommen und in der Folge wird das jährlich oder sogar halbjährlich wiederholt.
Kiss: Als wissenschaftliche Gesellschaft wollen wir bewusst machen, dass Gebärmutterhalskrebs eine vermeidbare Krankheit ist, die man durch regelmäßiges Screening verhindern kann. Es entbehrt allerdings jeglicher Evidenz, dass man das alle halben Jahre oder noch häufiger machen soll.
Wiener: Hier gäbe es auch Möglichkeiten, über zentral-organisierte Datenerfassung und Bezahlung positiv steuernd einzugreifen, damit das nicht so oft gemacht wird.
Kiss: Wir sehen, dass alles im Zusammenhang mit dem Gebärmutterhalskrebs ein Tabuthema ist. Während der Brustkrebs eine vergleichsweise sehr offen ausgesprochene Krankheit ist, zu der sich viele Patientinnen bekennen, wollen die Frauen über das Zervix-Karzinom nicht sprechen. Da diese Erkrankung durch HPV Viren im Rahmen der sexuellen Aktivität übertragen wird, wird diese Erkrankung tabuisiert.
Ehgartner: Liegt das daran, dass hier immer der unausgesprochene Vorwurf der Promiskuität mitschwingt, wenn sich eine Frau sexuell übertragbare Viren „einfängt“?
Kiss: Daran liegt es sicher auch. In den alten Büchern steht noch, dass eine Nonne nicht am Zervix-Karzinom erkrankt.
Ehgartner: Stimmt das denn?
Kiss: Nein, es stimmt nicht. Derzeit kommen Frauen ganz verzweifelt zu mir uns sagen, dass bei ihnen ein HPV-Virus nachgewiesen wurde. Wenn man nun erklärt, dass sie völlig gesund sind, verstehen das viele nicht, weil das doch Krebs-erregende Viren sind. Zu 80 Prozent verschwinden die Viren aber wieder. Derzeit führt eine HPV-Befundung nur zu Verunsicherung.
Ehgartner: Mit persönlichen Tragödien. Wo gleich der Verdacht auftaucht, der Partner sei fremd gegangen…
Kiss: Ja, es sind unnötige Konfliktsituationen. – Ganz anders ist es hingegen, wenn wir einen auffälligen Pap-Abstrich haben. Dann wird der HPV-Test sehr wohl eingesetzt zur Entscheidung, wie man weiter vorgehen soll: Ob man rasch handelt, oder zuwarten kann.
Ehgartner: Das heißt, sie empfehlen, ein organisiertes Programm mit Einladungssystem und zentralem Register einzuführen.
Kiss: Es ist eben mit Zahlen beweisbar, dass es die beste Methode wäre, das Zervix-Karzinom zu verhindern oder auszurotten.
Apropos, haben Sie recherchiert, was die Gynäkologen für einen Abstrich verrechnen dürfen?
Ehgartner: Je nach Krankenkasse liegt das so um die 3,50 bis 5 Euro.
Wiener: Und jene Instrumente, die die Abnahme am zuverlässigsten und einfachsten machen, kosten schon fast mehr als das Arzthonorar.
Ehgartner: Allein die finanziellen Anreize stehen also bereits der Qualität entgegen. Wo müsste man denn ihrer Meinung nach die Prioritäten setzen und öffentlich investieren?
Wiener: Man muss die Qualitäten, die wir am AKH und andere derzeit freiwillig erfüllen, von wirklich allen Labors und Gynäkologen einfordern, die Pap-Abstriche machen.
Ehgartner: Man weiß aus Untersuchungen, dass ein auffälliger Pap-Befund von den Frauen oft als Krebsalarm verstanden wird und das mit enormem Stress und Todesangst verbunden ist. Gibt es hier eine Schulung der Gynäkologen? Wird der Erklärungsbedarf honoriert, den ein auffälliger Pap-Befund mit sich bringt?
Kiss: Wenn Sie einen Kassenvertrag haben, so bekommt der Gynäkologe im Quartal 18 Euro. Für ein Therapiegespräch können sie noch fünf Euro extra verrechnen. Wahrscheinlich hat schlechte Qualität auch mit schlechter Bezahlung zu tun.
Ehgartner: Wie sieht es denn mit der persönlichen Kommunikation zwischen ihren beiden Berufsgruppen aus. Was macht denn eine Pathologin mit einem Gynäkologen, der nur eine 70-prozentige Rate von beurteilbaren Abstrichen einschickt?
Wiener: Die meisten Kollegen sind dankbar, wenn man ihnen ehrliches Feedback gibt. Ich zeige auf den Fortbildungen regelmäßig, wie ein nicht so schöner Pap-Abstrich aus der Sicht eines Pathologen aussieht. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass jüngere Kollegen eine Situtation ähnlich der von Ihnen beschriebenen noch unangenehmer empfinden und schneller reflektieren.
Kiss: Ältere Kollegen hat das schon irritiert, wenn hier das Feedback kam, dass ihr Abstrich nicht beurteilbar war.
Wiener: Ich habe noch kein wirklich negatives Erlebnis in der Kommunikation mit Gynäkologen erlebt. Dass man verstimmt ist und das einem die Situation nicht gefällt, ist etwas anderes. Aber man redet miteinander und sucht nach Lösungen.
Kiss: Es sind in der Generation, die jetzt in Pension gegangen sind, Dinge gelaufen, die wir heute nicht mehr ganz verstehen. In unserer Generation ist Qualitätskontrolle und externe Beurteilung aber eine Selbstverständlichkeit. Das war früher vielleicht noch anders, als es noch die Götter in Weiß gab.
Ehgartner: Im jüngeren Alter sind Veränderungen an der Zervix nicht ungewöhnlich. Wenn hier auffällige Befunde kommen, so wird häufig eine Konisation vorgenommen, ein Eingriff unter Narkose, bei dem eine kegelförmiges Stück aus dem Muttermund geschnitten wird. Diese Eingriffe – jährlich sind es in Österreich etwa 5000 – bedeuten für die Frauen ein deutlich höheres Risiko auf Schwangerschafts-Komplikation, Fehl- oder Frühgeburten. Wie sehen Sie diese Problematik?
Kiss: Zunächst mal ist es so, dass bei einem auffälligen Krebsabstrich nicht gleich operiert wird. Da gibt es zunächst laut Leitlinie eine Kolposkopie, das ist eine genaue Sichtung des verdächtigen Areals, verbunden mit einer Biopsie – also der Entnahme einer kleinen Zellprobe, die dann eine Diagnose bestätigt oder entschärft. Das ist das richtige Vorgehen. Der Pap-Abstrich ist nur eine Screening-, also eine Such-Methode. Eine Konisation wird erst vorgenommen, wenn eine Krebsvorstufe sicher histologisch diagnostiziert ist.
Wiener: Und dann kommt es natürlich auch noch auf den Grad dieser Dysplasie an, je leichter der Grad der Dysplasie desto höher die Chance der Rückbildung.
Kiss: Bei leichter Dysplasie - eine sehr hohe Chance sogar.
Wiener: Bei der schweren Dysplasie ist das weniger wahrscheinlich. Aber sogar hier kann es zur Rückbildung kommen. Was man bei solchen Befunden unbedingt beachten muss, ist die Art, wie das an die betroffene Frau vermittelt wird. Eine leichte Dysplasie kann über Jahre bestehen bleiben. Die betroffene Frau muss das psychisch verkraften. Gynäkologen berichten, dass es die Frauen sind, die eine operative Klärung auch bei leichter Dysplasie verlangen.
Kiss: Wobei die leichte Dysplasie dann trotzdem nicht operiert werden sollte. Da muss man mit den Frauen reden.
Dr. Helene Wiener, 57, ist am Klinischen Institut für Pathologie der Medizinischen Universtiät Wien tätig. Sie ist Mitautorin der Europäischer Leitlinien zur Qualitätssicherung für Screening auf Zervix-Karzinom, und im Vorstand der österreichischen Gesellschaft für Zytologie (ÖGZ).
Dr. Herbert Kiss, 43, habilitierte sich 1999 an der Medizinischen Unuversität in Wien, ist derzeit Sekretär der österr. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG) und. Medizinisch-wissenschaftlich spezialisiert auf Geburtshilfe und auf Infektionen im Bereich der Frauenheilkunde, wie etwa mit Humanen Papillomaviren (HPV)
Dies ist die Langfassung eines Artikels, der heute in der Tageszeitung "Der Standard" in redigierter Form erschienen ist. (Fotos: Fischer)
Die Früherkennung des Zervix-Karzinoms (Gebärmutterhalskrebs) gilt als Erfolgs-Geschichte der Krebs-Vorsorge, die Sterberate hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert. Ein Gutteil dieses Erfolges wird dem „Pap-Abstrich “ zugeschrieben, benannt nach dessen Erfinder George Papanicolaou. Dabei werden Zellen vom Gebärmutterhals abgestrichen und dann im Labor auf Veränderungen untersucht.
Die Krebsabstriche erfolgen in Österreich nicht in Form eines organisierten Screening-Programmes, sondern opportunistisch: Untersucht werden jene Frauen, die zum Arzt gehen und das Angebot eines „Krebsabstriches“ annehmen.
Daraus folgt, dass jüngere Frauen recht häufig untersucht werden und oft falscher Krebsalarm ausgelöst wird. Eine Folge davon sind jährlich rund 5.000 „Konisationen“, Operationen, bei denen verdächtiges Gewebe an der Gebärmutter entfert wird. Hier steigt das Risiko auf Fehl- und Frühgeburten stark an. Frauen ab vierzig – speziell jene aus niedrigerem Sozialmilieu, werden im Rahmen eines oportunistischen Screenings hingegen selten bis gar nicht untersucht, obwohl hier das Erkrankungsrisiko am höchsten ist.
Länder wie Finnland oder die Niederlande betreiben ein organisierten Screening, wo alle Frauen im Alter zwischen 30 und 60 im Abstand von drei bis fünf Jahren persönliche Einladungen zum Pap-Abstrich erhalten. Am Programm können nur Gynäkologen und Labors teilnehmen, welche strenge Qualitätskriterien erfüllen, das Programm wird laufend wissenschaftlich evaluiert. Finnland hat heute in den meisten Jahren keine Todesfälle mehr bei Frauen unter 50 Jahren, insgesamt liegt die Sterberate bei einem Drittel der österreichischen.
Ehgartner: Wie ist denn ihrer Meinung nach die Situation beim Pap-Abstrich in Österreich?
Kiss: Es gibt zweifellos Verbesserungsbedarf. Dass ein organisiertes Screening das beste wäre, das wissen wir. Das ist hinlänglich bekannt. Es gab auch schon zahlreiche Sitzungen, die vom Ministerium ausgegangen sind. Dann ist man drauf gekommen, dass das relativ teuer ist, wenn man das wirklich gut organisiert. Und da war dann plötzlich keine Rede mehr davon.
Wiener: Organisiertes Screening ist eine Vorsorgeart, die von der Bevölkerung angenommen werden muss. Die Finnen, die hier so gut sind, haben als Bevölkerung soweit mir bekannt kein Problem, dass es ein zentrales Dateiregister gibt. Das ist in Österreich sicher anders.
Ehgartner: Sie meinen die Sorge um den Datenschutz ist hier größer?
Kiss: Das sehen Sie ja bei jeder Diskussion zu diesem Thema. Es können ja nicht mal mehr Befunde von Spital zu Spital gefaxt werden, weil man Angst um den Datenschutz hat. Und bei einem Screening wie in Finnland müsste eben jede Frau computerisiert werden mit ihren Daten. Jederzeit abrufbar. Das ist ein heißer Diskussionspunkt.
Wiener: Dazu haben wir ein Problem, das immer drückender wird. Screenerinnen, vorwiegend Frauen, die die Abstriche vor der Vidierung durch die Ärzte ansehen, sind im Durchschnitt schon 50 oder mehr Jahre alt. Das Screening fordert neben hohem Verantwortungsbewusstsein ein hohes optisches Talent und viel Ausdauer. Wir haben hier kaum Nachwuchs und viele Stellen sind bereits jetzt schwer zu besetzen.
Kiss: Das liegt auch daran, dass in den Medien herumgeistert, ob das Pap-Screening überhaupt sinnvoll ist. Da überlegt sich ein junger Mensch: soll ich in einen Job gehen, den es in zehn Jahren vielleicht überhaupt nicht mehr gibt.
Ehgartner: Na gut, da wird aber auch von Seiten der Gynäkologen kräftig in diese Richtung gearbeitet, wenn es etwa heißt, dass die HPV-Impfung das Zervix-Problem ohnehin lösen wird.
Kiss: Ja, in dreissig bis fünfzig Jahren vielleicht.
Ehgartner: Also auf die Impfung braucht man sich hier nicht verlassen?
Kiss: Es wird in Österreich nicht geimpft. Wenn sie ein gutes Screening haben, rechnet sich die Impfung nicht – so wie in Finnland. Aber in fast allen anderen Ländern Europas gibt es staatliche Impfprogramme.
Ehgartner: Während in Finnland die Frauen erst ab einem Alter von 30 Jahren zum Screening eingeladen werden und das Intervall bei unauffälligen Befunden fünf Jahre beträgt, erhalten bei uns die jungen Frauen meist ihren ersten Krebsabstrich, wenn sie wegen einem Rezept für die Pille kommen und in der Folge wird das jährlich oder sogar halbjährlich wiederholt.
Kiss: Als wissenschaftliche Gesellschaft wollen wir bewusst machen, dass Gebärmutterhalskrebs eine vermeidbare Krankheit ist, die man durch regelmäßiges Screening verhindern kann. Es entbehrt allerdings jeglicher Evidenz, dass man das alle halben Jahre oder noch häufiger machen soll.
Wiener: Hier gäbe es auch Möglichkeiten, über zentral-organisierte Datenerfassung und Bezahlung positiv steuernd einzugreifen, damit das nicht so oft gemacht wird.
Kiss: Wir sehen, dass alles im Zusammenhang mit dem Gebärmutterhalskrebs ein Tabuthema ist. Während der Brustkrebs eine vergleichsweise sehr offen ausgesprochene Krankheit ist, zu der sich viele Patientinnen bekennen, wollen die Frauen über das Zervix-Karzinom nicht sprechen. Da diese Erkrankung durch HPV Viren im Rahmen der sexuellen Aktivität übertragen wird, wird diese Erkrankung tabuisiert.
Ehgartner: Liegt das daran, dass hier immer der unausgesprochene Vorwurf der Promiskuität mitschwingt, wenn sich eine Frau sexuell übertragbare Viren „einfängt“?
Kiss: Daran liegt es sicher auch. In den alten Büchern steht noch, dass eine Nonne nicht am Zervix-Karzinom erkrankt.
Ehgartner: Stimmt das denn?
Kiss: Nein, es stimmt nicht. Derzeit kommen Frauen ganz verzweifelt zu mir uns sagen, dass bei ihnen ein HPV-Virus nachgewiesen wurde. Wenn man nun erklärt, dass sie völlig gesund sind, verstehen das viele nicht, weil das doch Krebs-erregende Viren sind. Zu 80 Prozent verschwinden die Viren aber wieder. Derzeit führt eine HPV-Befundung nur zu Verunsicherung.
Ehgartner: Mit persönlichen Tragödien. Wo gleich der Verdacht auftaucht, der Partner sei fremd gegangen…
Kiss: Ja, es sind unnötige Konfliktsituationen. – Ganz anders ist es hingegen, wenn wir einen auffälligen Pap-Abstrich haben. Dann wird der HPV-Test sehr wohl eingesetzt zur Entscheidung, wie man weiter vorgehen soll: Ob man rasch handelt, oder zuwarten kann.
Ehgartner: Das heißt, sie empfehlen, ein organisiertes Programm mit Einladungssystem und zentralem Register einzuführen.
Kiss: Es ist eben mit Zahlen beweisbar, dass es die beste Methode wäre, das Zervix-Karzinom zu verhindern oder auszurotten.
Apropos, haben Sie recherchiert, was die Gynäkologen für einen Abstrich verrechnen dürfen?
Ehgartner: Je nach Krankenkasse liegt das so um die 3,50 bis 5 Euro.
Wiener: Und jene Instrumente, die die Abnahme am zuverlässigsten und einfachsten machen, kosten schon fast mehr als das Arzthonorar.
Ehgartner: Allein die finanziellen Anreize stehen also bereits der Qualität entgegen. Wo müsste man denn ihrer Meinung nach die Prioritäten setzen und öffentlich investieren?
Wiener: Man muss die Qualitäten, die wir am AKH und andere derzeit freiwillig erfüllen, von wirklich allen Labors und Gynäkologen einfordern, die Pap-Abstriche machen.
Ehgartner: Man weiß aus Untersuchungen, dass ein auffälliger Pap-Befund von den Frauen oft als Krebsalarm verstanden wird und das mit enormem Stress und Todesangst verbunden ist. Gibt es hier eine Schulung der Gynäkologen? Wird der Erklärungsbedarf honoriert, den ein auffälliger Pap-Befund mit sich bringt?
Kiss: Wenn Sie einen Kassenvertrag haben, so bekommt der Gynäkologe im Quartal 18 Euro. Für ein Therapiegespräch können sie noch fünf Euro extra verrechnen. Wahrscheinlich hat schlechte Qualität auch mit schlechter Bezahlung zu tun.
Ehgartner: Wie sieht es denn mit der persönlichen Kommunikation zwischen ihren beiden Berufsgruppen aus. Was macht denn eine Pathologin mit einem Gynäkologen, der nur eine 70-prozentige Rate von beurteilbaren Abstrichen einschickt?
Wiener: Die meisten Kollegen sind dankbar, wenn man ihnen ehrliches Feedback gibt. Ich zeige auf den Fortbildungen regelmäßig, wie ein nicht so schöner Pap-Abstrich aus der Sicht eines Pathologen aussieht. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass jüngere Kollegen eine Situtation ähnlich der von Ihnen beschriebenen noch unangenehmer empfinden und schneller reflektieren.
Kiss: Ältere Kollegen hat das schon irritiert, wenn hier das Feedback kam, dass ihr Abstrich nicht beurteilbar war.
Wiener: Ich habe noch kein wirklich negatives Erlebnis in der Kommunikation mit Gynäkologen erlebt. Dass man verstimmt ist und das einem die Situation nicht gefällt, ist etwas anderes. Aber man redet miteinander und sucht nach Lösungen.
Kiss: Es sind in der Generation, die jetzt in Pension gegangen sind, Dinge gelaufen, die wir heute nicht mehr ganz verstehen. In unserer Generation ist Qualitätskontrolle und externe Beurteilung aber eine Selbstverständlichkeit. Das war früher vielleicht noch anders, als es noch die Götter in Weiß gab.
Ehgartner: Im jüngeren Alter sind Veränderungen an der Zervix nicht ungewöhnlich. Wenn hier auffällige Befunde kommen, so wird häufig eine Konisation vorgenommen, ein Eingriff unter Narkose, bei dem eine kegelförmiges Stück aus dem Muttermund geschnitten wird. Diese Eingriffe – jährlich sind es in Österreich etwa 5000 – bedeuten für die Frauen ein deutlich höheres Risiko auf Schwangerschafts-Komplikation, Fehl- oder Frühgeburten. Wie sehen Sie diese Problematik?
Kiss: Zunächst mal ist es so, dass bei einem auffälligen Krebsabstrich nicht gleich operiert wird. Da gibt es zunächst laut Leitlinie eine Kolposkopie, das ist eine genaue Sichtung des verdächtigen Areals, verbunden mit einer Biopsie – also der Entnahme einer kleinen Zellprobe, die dann eine Diagnose bestätigt oder entschärft. Das ist das richtige Vorgehen. Der Pap-Abstrich ist nur eine Screening-, also eine Such-Methode. Eine Konisation wird erst vorgenommen, wenn eine Krebsvorstufe sicher histologisch diagnostiziert ist.
Wiener: Und dann kommt es natürlich auch noch auf den Grad dieser Dysplasie an, je leichter der Grad der Dysplasie desto höher die Chance der Rückbildung.
Kiss: Bei leichter Dysplasie - eine sehr hohe Chance sogar.
Wiener: Bei der schweren Dysplasie ist das weniger wahrscheinlich. Aber sogar hier kann es zur Rückbildung kommen. Was man bei solchen Befunden unbedingt beachten muss, ist die Art, wie das an die betroffene Frau vermittelt wird. Eine leichte Dysplasie kann über Jahre bestehen bleiben. Die betroffene Frau muss das psychisch verkraften. Gynäkologen berichten, dass es die Frauen sind, die eine operative Klärung auch bei leichter Dysplasie verlangen.
Kiss: Wobei die leichte Dysplasie dann trotzdem nicht operiert werden sollte. Da muss man mit den Frauen reden.
Dr. Helene Wiener, 57, ist am Klinischen Institut für Pathologie der Medizinischen Universtiät Wien tätig. Sie ist Mitautorin der Europäischer Leitlinien zur Qualitätssicherung für Screening auf Zervix-Karzinom, und im Vorstand der österreichischen Gesellschaft für Zytologie (ÖGZ).
Dr. Herbert Kiss, 43, habilitierte sich 1999 an der Medizinischen Unuversität in Wien, ist derzeit Sekretär der österr. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG) und. Medizinisch-wissenschaftlich spezialisiert auf Geburtshilfe und auf Infektionen im Bereich der Frauenheilkunde, wie etwa mit Humanen Papillomaviren (HPV)
Dies ist die Langfassung eines Artikels, der heute in der Tageszeitung "Der Standard" in redigierter Form erschienen ist. (Fotos: Fischer)
Samstag, 12. Juni 2010
Die Rache der Schweine
Sollen wir uns alle freuen, dass die Schweinegrippe-Pandemie so glimpflich abgelaufen ist? Mit deutlich weniger Todesfällen als von den Experten im Umfeld der WHO-Kampagne prophezeit worden war.
In diese Richtung geht derzeit die "offizielle" Argumentation und auch die Rechtfertigung der verantwortlichen Behörden: Man habe sich auf den worst case vorbereitet, habe verantwortungsvoll nach bestem Wissen gehandelt und die geeigneten Schutz-Maßnahmen getroffen. Dass die Pandemie wesentlich milder verlaufen ist, als angenommen, habe man im Vorfeld nicht ahnen können.
Länder wie Polen haben es hingegen schon vorher gewusst und jegliche Beteiligung an der Pandemie-Hysterie verweigert. Die Gesundheitsministerin Ewa Kopacz, selbst Ärztin, sah keine Notwendigkeit teure Impfstoffe oder Neuraminidase-Hemmer einzukaufen und warnte stattdessen vor übereilt zugelassenen Arzneimitteln und deren potenziellen Nebenwirkungen.
Die meisten Länder hielten sich aber an die Linie der WHO. Und haben nun den Salat. Millionen von Impfstoff-Dosen liegen unbenützt in den Lagern. Niemand will sie kaufen und nicht mal Dritte Welt Länder, die sich medienwirksam über Impf-Geschenke freuen, lassen sich auftreiben. Tamiflu- und Relenza-Tabletten nähern sich rasant ihrem Ablaufdatum.
Die Glaubwürdigkeit der "offiziellen Pandemie-Vorsorge" ist jedenfalls nachhaltig erschüttert. Künftige Aktionen werden von Beginn an von massivem Misstrauen begleitet und dem Hohn der vernetzten Gegen-Öffentlichkeit ausgesetzt sein.
Zumal sich jetzt die Pharmakonzerne in ihren Jahresberichten zum Pandemie-Jahr 2009 unverblümt über Rekordgewinne von 7 bis 10 Milliarden US-Dollar freuen, die allein über deren Impfstoff-Zweige eingespielt wurden.
Nun wäre es natürlich interessant zu erfahren, ob die Experten, welche die WHO auf ihrem Weg in die höchste Pandemie-Warnstufe beraten haben, tatsächlich unabhängig und ihre Entscheidungen von keinerlei finanziellen Interessenskonflikten getrübt gewesen wären.
Geglaubt haben wir das ohnehin nie, so wie sich die Strukturen der WHO, mit dem über die Jahre ständig gewachsenen Anteil der privaten Finanzmittel am Gesamtbudget, entwickelt haben. Wer zahlt, möchte mitbestimmen. Und je mehr der riesige Apparat von den Geldern der pharmazeutischen Industrie abhängig wurde, desto schwerer fiel offenbar die Gegenwehr. Und so saßen die Industrievertreter in den Entscheidungsgremien, die über die Strategien zur Influenza-Vorsorge berieten, immer mit am Verhandlungstisch.
Nun wiesen britische Journalisten im Umfeld des British Medical Journal nach, dass die Einflussnahme deutlich intensiver war. Demnach hatten auch einige Schlüsselkräfte der Pandemieplanung in der WHO vergessen, ihre finanziellen Beziehungen zu den Herstellern der Influenza-Pillen und Impfstoffe offen zu legen, und die WHO hatte Anfragen in diese Richtung als "Verschwörungstherorien" bezeichnet. Gerade diese Schlüsselkräfte hatten aber maßgeblichen Anteil an der Ausrufung der höchsten Pandemie-Warnstufe.
Milliarden an öffentlichen Geldern sind also über gezielte Panikmache verschwendet worden. Und die WHO hat das zu verantworten. In Kooperation mit Gesundheitspolitikern, die sich nur allzu leicht erpressen ließen und Medien, die sich nahezu ohne Gegenwehr auf die drohende Welt-Katastrophe einschwören ließen.
Wenn eben diese Medien nun ganz entrüstet über die Enthüllungen zu den Pharma-Verbindungen der WHO berichten, so klingt das etwas hohl und scheinheilig. Und damit haben sie mit der WHO etwas gemeinsam. Es wird verdammt hart werden, die verlorene Glaubwürdigkeit wieder aufzuholen.
Wie die eigenen Leser mit einem entsprechenden Artikel der "Welt" umgehen, entbehrt nicht der Komik.
Dort seufzte der Autor im Vorspann:
In 165 Kommentaren gingen die Leser dann geballt gegen ihr eigenes Medium vor. Hier ein paar Beispiele:
In diese Richtung geht derzeit die "offizielle" Argumentation und auch die Rechtfertigung der verantwortlichen Behörden: Man habe sich auf den worst case vorbereitet, habe verantwortungsvoll nach bestem Wissen gehandelt und die geeigneten Schutz-Maßnahmen getroffen. Dass die Pandemie wesentlich milder verlaufen ist, als angenommen, habe man im Vorfeld nicht ahnen können.
Länder wie Polen haben es hingegen schon vorher gewusst und jegliche Beteiligung an der Pandemie-Hysterie verweigert. Die Gesundheitsministerin Ewa Kopacz, selbst Ärztin, sah keine Notwendigkeit teure Impfstoffe oder Neuraminidase-Hemmer einzukaufen und warnte stattdessen vor übereilt zugelassenen Arzneimitteln und deren potenziellen Nebenwirkungen.
Die meisten Länder hielten sich aber an die Linie der WHO. Und haben nun den Salat. Millionen von Impfstoff-Dosen liegen unbenützt in den Lagern. Niemand will sie kaufen und nicht mal Dritte Welt Länder, die sich medienwirksam über Impf-Geschenke freuen, lassen sich auftreiben. Tamiflu- und Relenza-Tabletten nähern sich rasant ihrem Ablaufdatum.
Die Glaubwürdigkeit der "offiziellen Pandemie-Vorsorge" ist jedenfalls nachhaltig erschüttert. Künftige Aktionen werden von Beginn an von massivem Misstrauen begleitet und dem Hohn der vernetzten Gegen-Öffentlichkeit ausgesetzt sein.
Zumal sich jetzt die Pharmakonzerne in ihren Jahresberichten zum Pandemie-Jahr 2009 unverblümt über Rekordgewinne von 7 bis 10 Milliarden US-Dollar freuen, die allein über deren Impfstoff-Zweige eingespielt wurden.
Nun wäre es natürlich interessant zu erfahren, ob die Experten, welche die WHO auf ihrem Weg in die höchste Pandemie-Warnstufe beraten haben, tatsächlich unabhängig und ihre Entscheidungen von keinerlei finanziellen Interessenskonflikten getrübt gewesen wären.
Geglaubt haben wir das ohnehin nie, so wie sich die Strukturen der WHO, mit dem über die Jahre ständig gewachsenen Anteil der privaten Finanzmittel am Gesamtbudget, entwickelt haben. Wer zahlt, möchte mitbestimmen. Und je mehr der riesige Apparat von den Geldern der pharmazeutischen Industrie abhängig wurde, desto schwerer fiel offenbar die Gegenwehr. Und so saßen die Industrievertreter in den Entscheidungsgremien, die über die Strategien zur Influenza-Vorsorge berieten, immer mit am Verhandlungstisch.
Nun wiesen britische Journalisten im Umfeld des British Medical Journal nach, dass die Einflussnahme deutlich intensiver war. Demnach hatten auch einige Schlüsselkräfte der Pandemieplanung in der WHO vergessen, ihre finanziellen Beziehungen zu den Herstellern der Influenza-Pillen und Impfstoffe offen zu legen, und die WHO hatte Anfragen in diese Richtung als "Verschwörungstherorien" bezeichnet. Gerade diese Schlüsselkräfte hatten aber maßgeblichen Anteil an der Ausrufung der höchsten Pandemie-Warnstufe.
Milliarden an öffentlichen Geldern sind also über gezielte Panikmache verschwendet worden. Und die WHO hat das zu verantworten. In Kooperation mit Gesundheitspolitikern, die sich nur allzu leicht erpressen ließen und Medien, die sich nahezu ohne Gegenwehr auf die drohende Welt-Katastrophe einschwören ließen.
Wenn eben diese Medien nun ganz entrüstet über die Enthüllungen zu den Pharma-Verbindungen der WHO berichten, so klingt das etwas hohl und scheinheilig. Und damit haben sie mit der WHO etwas gemeinsam. Es wird verdammt hart werden, die verlorene Glaubwürdigkeit wieder aufzuholen.
Wie die eigenen Leser mit einem entsprechenden Artikel der "Welt" umgehen, entbehrt nicht der Komik.
Dort seufzte der Autor im Vorspann:
Was für ein Skandal: WHO-Autoren stehen auf der Gehaltsliste der Pharmakonzerne. War die Schweinegrippe nur Panikmache?
In 165 Kommentaren gingen die Leser dann geballt gegen ihr eigenes Medium vor. Hier ein paar Beispiele:
ACH, das hätte ich ja NIE gedacht! das war sowas von offensichtlich und die "qualitätspresse" hat schön mitgemacht. keine besonderen kritischen stimmen aus der presse. und ihr wundert euch wieso die print titel immer mehr an auflage verlieren!
bitte liebe journalisten, nehmt wieder eure rolle wahr!
Leider ist WELT auch ein Teil dieser Hysterie gewesen.
Es wurde die ureigenste Aufgabe von Journalisten vergessen, statt die Schlagzeilen der Agenturen zu schreiben, den kritisch den Kopf einzuschalten und nach den Ursachen zu forschen.
Es gibt das Cui bono-Prinzip:
Wem nützt das - da kommt man der Wahrheit meistens auf die Spur
Nachdem die WHO ihre Richtlinien geändert hatte, und es sichtbar war wer zu dieser Änderung beigetragen hatte, war es von Anfang an klar, daß es sich hier um Abzocke handelte,
Wie ist es nur möglich, daß ich als politisch interessierter Mensch die Zusammenhänge erkennen kann, aber unsere hochbezahlte Politik nichts mitbekommt?
Wie ist es möglich, daß sich renommierte deutsche Institute an dieser Panikmache beteiligt haben?
Der Vertrauensverlust in unsere Organe und Institutionen schreitet voran.
Das größte Übel unserer Gesellschaft ist die Politik die von Banken und Pharma-industrie an einem Nasenring durch die Arena geführt wird.
Mit ihrer Unfähigkeit sind sie dabei unsere Demokratie nachhaltig zu beschädigen.
Achso, vielleicht sollte man noch schnell die Krankenkassenbeiträge erhöhen, die nächste Sau wird ja wohl bald wieder durchs Dorf getrieben
Das ist ja unglaublich!
Wieviele Kommentare die genau das behauptet haben wurden seinerzeit, als das Märchen einer drohenden, weltweiten Pandemie auch von der Springerpresse mit forciert wurde, gnadenlos gelöscht?
Massenweise!
Und jetzt, nach Monaten kommt ihr selber damit an?
RESPEKT!
Dienstag, 8. Juni 2010
Der Aufstand der Turnusärzte
Die letzte Woche habe ich mit Dreharbeiten in der Steiermark und in Oberösterreich verbracht. Dabei entstand der Beitrag "Der Aufstand der Turnusärzte", der gestern im ORF-Magazin "Thema" gelaufen ist.
Infusionen anhängen, Blut abnehmen, Überweisungen schreiben. Ärzte haben im internationalen Vergleich eine extrem lange, gleichzeitig aber sehr schlechte Ausbildung. Die rund 6.500 Turnusärzte werden als billige Systemerhalter in den Krankenhäusern missbraucht. Eine exklusiv vorliegende Österreich weite Befragung von 265 Turnusärzten zeigt: Sie sind frustriert und verärgert. 25 Stunden Schichten sind nach wie vor üblich. Während die Jungärzte am Tag fast gar nichts dürfen, sind sie nachts dann völlig auf sich allein gestellt und für ganze Abteilungen zuständig. „Wenn ich den Oberarzt aufwecke, ist er stinksauer auf mich.“
Julia Baumgartner, Vorsitzende der Jungen Allgemeinmediziner Österreichs (JAMÖ) verfasste zusammen mit anderen Jungärzten eine Petition zur Stärkung der Allgemeinmedizin: "Wir wollen endlich eine Ausbildung!" (Foto: Martin Blahowsky)
Nun gehen die Jungärzte mit einer Petition an die Öffentlichkeit und fordern eine Stärkung der Position der Allgemeinmedizin und endlich eine Ausbildung im Turnus statt Sklavenarbeit auf Hilfsarbeiter-Niveau: „Entweder wir bekommen endlich eine Ausbildung, oder wir wandern ins Ausland ab!“ Tatsächlich ist der Trend bereits deutlich sichtbar. An den Unis gibt es immer mehr Versuche ausländischer Krankenanstalten, österreichische Jungmediziner gezielt abzuwerben. Bereits vier Bundesländer haben einen starken Turnusärztemangel. Und auch von den deutschen Medizinstudenten geht der Großteil nach Absolvierung des Studiums wieder zurück nach Hause – wo es keinen Turnus gibt.
Wissenschaftsministerin Beatrix Karl fordert mehr Praxis im Studium und die Abschaffung des Turnus um den Arztberuf wieder attraktiver zu machen. Gesundheitsminister Stöger fürchtet um die Qualität der Ausbildung, wenn zu viel davon in die Studienzeit verlegt wird.
Besonders krass ist die Lage bei den Allgemeinmedizinern, denen zudem noch immer die Facharzt-Ausbildung verwehrt wird. Nach dem Turnus haben sie das Recht, sich als „praktische Ärzte“ niederzulassen, oftmals ohne in der Ausbildung jemals eine Arztpraxis von innen gesehen zu haben.
Es gibt viel zu wenige Lehrpraxen. Eine ursprünglich als Reform gedachte Aktion der Ärztekammer erwies sich als Schuss ins eigene Knie: Seit Jahresbeginn müssen erfahrene Ärzte, die Jungemediziner ausbilden dafür fast doppelt so viel zahlen wie bisher. Seither sprangen viele Lehrpraxen ab. „Ich kann mir das beim besten Willen nicht leisten“, sagen viele dieser Ärzte. Nun gibt fast überhaupt keine Ausbildungs-Plätze mehr.
Das Krankenhaus Wels-Grieskirchen, mit rund 1400 Betten das größte Ordensspital Europas, hatte bislang unter Turnusärzten einen besonders schlechten Ruf. Mittlerweile gibt es einen so starken Mangel an Nachwuchs, dass die Klinikleitung ein Pilotprojekt gestartet hat. An der Lungenabteilung sind Turnusärzte fest integrierte Mitglieder im Team. Für den Papierkrieg wurden eigene Stations-Assistentinnen eingestellt. Ein eigener Oberarzt ist ganz für die Ausbildung der Turnusärzte abgestellt.
Dies bleibt die Grundsatzfrage: Turnus reformieren – oder abschaffen?
Der Beitrag kann über diesen Link ins ORF-Archiv abgerufen werden:
ORF TVthek: Thema - 07.06.2010 21:10 Uhr
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