Für einen Artikel der in der aktuellen Ausgabe des "
Deutschen Ärzteblatt" erschienen ist, fragte ich zwei ausgewiesene Alzheimer Experten um ihre Meinung zur sensationellen italienischen Ferritin-Studie, über die ich auch
hier im Blog kürzlich berichtet habe.
Der eine Interviewpartner ist Kurt Jellinger, Direktor des Wiener Instituts für Klinische Neurobiologie und emeritierter Vorstand der Neurologischen Abteilung am Krankenhaus Lainz. Der zweite ist Konrad Beyreuther, Direktor des Netzwerks für Altersforschung an der Universität Heidelberg und Deutschlands prominentester Alzheimer-Experte.
Sowohl Jellinger als auch Beyreuther führen die Publikationslisten ihrer beiden Länder im Fachgebiet zur Alzheimer-Krankheit an.
Im Deutschen Ärzteblatt konnte ich nur sehr kurz aus den Antworten der beiden Professoren zitieren. Da die Informationen aber für andere Wissenschaftler sicherlich von Interesse sind, bringe ich hier den Volltext der Interviews inklusive der Literaturverweise.
Wie schätzen Sie die Relevanz der italienischen Studie ein? Denken Sie,
dass Aluminium-Ionen in der Genese der Alzheimer-Krankheit eine Rolle spielen
könnten?
|
Prof. Kurt Jellinger |
Jellinger: Bekanntlich wurde bereits seit Jahren im Gehirn von Dialysepatienten sowie bei Morbus Alzheimer ein erhöhter Aluminium-Gehalt festgestellt, wobei dessen Herkunft ungeklärt blieb.
Wenngleich eine direkte kausale Rolle von Aluminium und anderer
Spurenmetalle bei der Alzheimer Erkrankung (AD) nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, weisen
zahlreiche epidemiologische Studien darauf hin, dass erhöhte Werte dieser
Metalle im Gehirn mit der Entwicklung und Progression der AD-Pathologie
verbunden sein könnten. In die gleiche Richtung weisen Befunde beim Menschen und bei
AD-Modellen hin.
In der MRC CFAS Stuide zeigten 41 von 60 Gehirnen von Donatoren einen
erhöhten, potentiell pathologischen Al-Gehalt (House et al. Metallomics
4:56-66). Bereits früher wiesen experminetelle AD-Modelle darauf hin, dass Aluminium für die
frühe Bildung von Plaques und Tangles verantwortlich sein kann (Walton J Inorg
Biochem 101; 1275-84, 2007; Walton & Wang J Inorg Biochem
103;1548-54;2009).
Aluminium kann mit Aβ interagieren und "strukturelle"
Aggregate mit speziellen biophysikalischen Eigenschaften von hoher
Neurotoxizität bilden (Bolognin et al. Int J Biochem Cell Biol 43,877-85;2001).
Beim APP/PS1 Mausmodell besteht eine enge Beziehung zwischen überexprimierten
APP und PS1 sowie Al-Überlastung (Zhang et al. Int J Immunpathol Pharmacol
25:49-58,1012). Ferner bewirkt Al eine Störung der Ca-Homöostase und
Signaltransduktion, die jener im Altern und bei AD ähnelt (Walton: J Alz Dis.
29:255-73;2012). Die Möglichkeit einer Vorbeugung potentieller Al-Toxizität zur
Vorbeugung und Behandlung der AD wurde diskutiert (Percy et al. J Inorg Biochem
105;1505-12,2011).
|
Prof. Konrad Beyreuther |
Beyreuther: Aluminium wirkt auf isolierte Nervenzellen und Glia
neurotoxisch und führt zum Untergang dieser Zellen. Im Tierexperiment führt
eine Aluminiumintoxination zu Aggregation des tau Proteins. Diese
Aggregate reagieren mit Antikörpern, die auch mit den hauptsächlich aus tau
bestehenden Neurofibrillenbündeln im post-mortem Gehirn
von Alzheimer Patienten reagieren. Gelangen also Aluminium Ionen ins Gehirn
können sie Nervenzellen und Glia schädigen. Die Frage ist daher, ob Aluminium-Ionen die Blut-Hirn-Schranke
überwinden können. Ich habe vermutet, dass dies der Fall bei Alzheimer
Patienten sein kann, die eine Schrankenstörung aufweisen, was offensichtlich oft der Fall ist
– insbesondere bei massiven vaskulären Amyloidablagerungen, die bei etwa vier
Fünftel der Patienten gefunden werden. Dass Ferritin eine vergleichbare Wirkung haben
könnte ist ein neuer Befund.
Könnte die Messung des Anteils der Aluminium-Ionen an der gesamten
Metall-Ionen Fracht der Ferritin-Moleküle ein diagnostischer Test für das
Risiko einer bevorstehenden Erkrankung sein?
Beyreuther: Das ist durchaus denkbar. Dafür müsste aber erst einmal
die Anzahl der untersuchten Patienten drastisch erhöht werden. Die Daten von 21
Patienten, von denen nur sieben zu der Gruppe gehörten – leichte Form der
Alzheimer Krankheit - bei denen die Aluminium-Ionen Konzentration der
Ferritine erhöht waren – sind nicht belastbar.
Gibt es eine Möglichkeit, Aluminium-Ionen - die sich z.B. im Ferritin
eingelagert haben - wieder aus dem Organismus auszuleiten?
Beyreuther: Ja, es gibt Komplexbildner wie das Desferrioxamin, das
vor mehr als 20 Jahren Alzheimer Patienten mit Erfolg verabreicht wurde. Da es
auch Eisen-Ionen bindet ist nicht geklärt, ob es als Eisen- oder
Aluminium-Ionen Komplexbildner wirkt. Desferrioxamin ist für die Behandlung bei
Eisenüberladung – Hämochromatose - nicht jedoch bei Alzheimer Krankheit -
zugelassen.
Die italienische Studie
umfasst eine relative kleine Patientengruppe. Sollte die Arbeit in größerem
Rahmen wiederholt werden? Welche Forschungsfrage sollte eine derartige
Nachfolgestudie klären?
Jellinger: Die Studie von De Sole et al sollte tatsächlich an einem
grösseren Kollektiv von exakt diagnostisch abgeklärten AD-Patienten und
altersgematchten Kontrollen durchgeführt werden, wobei der Beziehung des
Al/Ferritinkomplexes zu den Verlaufstadien der Erkrankung besonderes Augenmerk
geschenkt werden sollte (MCI bzw. sub/präklinische sowie verschiedene
Progressionsstadien der AD). Dabei könnten (11C)PiB PET-Untersuchungen von
Aβ-Ablagerungen im Gehirn wichtig sein, da neuropathologische Bestätigung der
AD-Stadien durch Biopsien oder Autopsien schwierig sein kann.
Beyreuther: Es
bleiben viele Fragen offen. Hier nur die aus meiner Sicht wichtigsten. Erstens,
ist der Befund verallgemeinbar. Wie sieht es aus, wenn mehrere Hundert
Patienten untersucht werden? Zweitens, sind die Aluminium Konzentrationen des
Ferritin bei erblichen Formen der Alzheimer Krankheit mit Mutationen im APP Gen
oder den Präsenilin Genen ebenfalls erhöht? Drittens, etwa die Hälfte der
Alzheimer Patienten tragen den Risikofaktor ApoE4. Ist auch bei diesen
Patienten die Aluminium Beladung von Ferritin erhöht? Viertens, ist die APP
Synthese erhöht in Nervenzellkulturen, Tiermodellen und bei Patienten bei
erhöhtem Aluminium Gehalt von Ferritin? Fünftens, was ist der Grund, der
molekulare Mechanisums, für die Erhöhung der Aluminium Konzentration von
Ferritin? Besteht ein Zusammenhang zwischen einer Störung der
Blut-Hirn-Schranke und den erhöhten Aluminium Konzentration von Ferritin?
Sechstens, wird der Effekt nur bei Patienten mit leichter Form der
Krankheit beobachtet oder kann er bereits früher, d.h. bei Personen mit
präklinischer Pathologie – klinisch noch stummen Patienten - erfasst werden?
Warum ist die Aluminium Beladung des Ferritins bei mittelschwer erkrankten
Patienten nicht so stark erhöht?
Ein Einfluss von Aluminium auf die Entstehung der Alzheimer-Krankheit
wird kontrovers diskutiert bzw. weitgehend ablehnend beurteilt. Auf der
Homepage der Internationalen Alzheimer-Gesellschaft steht sogar, dass Aluminium
keine Rolle spielt und es sich dabei um einen "Mythos" handelt. Meinen Sie, dass diese Haltung überprüft bzw.
revidiert werden sollte?
Beyreuther: Dazu ist
zu bemerken, dass dies tatsächlich nicht so klar ist und diese Argumentation
sich auf Befunde bezieht, die vor zwanzig und mehr Jahren erhoben wurden. Die
heutigen Methoden zur Bestimmung von Aluminium-Ionen sind viel genauer als vor
zwanzig oder dreißig Jahren, wie z. B. die japanischen Kollegen Masahiro Kawahara
und Midori Kato-Negishi in einem Übersichtsartikel aus dem Jahr 2011 ausführen
(s. Anlage). So konnte 2009 mit neuen Methoden überzeugend gezeigt werden, dass
Aluminium im Zentrum der - für die Alzheimer Krankheit charakteristischen -
Amyloid Plaques in einer Konzentration von 35-50 ppm vorliegt. Außerdem konnte
der Nachweis erbracht werden, dass auch bei Alzheimer Patienten zusätzlich zu
den typischen Neurofibrillenbündeln auch die gleichen tau-Aggregatformen
(straight-type filaments) gefunden werden, wie sie nach Aluminium Intoxikation
bei Kaninchen beobachtet werden - und dass in diesen Aggregaten, wie bereits
erwähnt, tau nachgewiesen werden kann.
Jellinger: Die kontroversielle Beurteilung der Rolle von Al in der
Pathogenese der AD ist hinlänglich bekannt und noch immer ein Thema reger
Diskussion (s. Alzheimer's Disease Health Center, 2012). Allerdings ist zu
betonen, dass die Homepage der Internationalen Alzheimer Gesellschaft sich dabei auf
vorwiegend ältere Literatur (1965-95) stützt und die neuere Literatur (so)
nicht berücksichtigt. Einen kritischen Überblick möglicher Zusammenhänge
zwischen Al und AD gaben Kawahara & Kato im Int.J.Alzh Dis 2011;Art ID
276393. Weitere Untersuchungen zur Klärung der Frage dieses "Mythos"
sind sicherlich notwendig.