Weil jetzt im Frühjahr die Zecken wieder Hochsaison haben und eine ganze Menge seltsamer Tipps im Umlauf sind, gibts hier die alljährliche Zeckenkunde. Der wichtigste Rat: Lesen Sie keine Artikel, in denen vom Zeckenbiss die Rede ist. Zecken haben keine Zähne, sondern einen Stechapparat. Zecken stechen!
Es gibt immer wieder Berichte, dass vereinzelt auch Gelsen Borrelien übertragen.
Falls das tatsächlich passiert, so geschieht das zufällig.
Symbiotisch angepasst sind Borrelien tatsächlich nur an Zecken. Wenn eine Zecke sticht, so bewegen sich Borrelien - alarmiert über bestimmte Signalstoffe im Speichel der Zecken - sogar aktiv auf die Stichstelle zu und lassen sich aufsaugen.
Zecken sind ihr einziges Verbreitungs-Vehikel.
Wenn Zecken binnen 24 Stunden nach dem Stich entfernt werden, so kann man eine Übertragung der Borrelien mit hoher Sicherheit vermeiden, weil sich die Borrelien im Darm der Zecke befinden und erst in den Stichkanal gespült werden, wenn die Zecke zu wachsen beginnt.
Erwachsene Zecken wachsen während des Saugvorganges auf das 200-fache Volumen an und saugen - wenn man sie lässt - rund eine Woche.
Da Blut einen hohen Wasseranteil hat, versucht die Zecke die Nährstoffe zu konzentrieren. Sie spült also das Wasser wieder in den Wirt zurück. Erst in dieser Phase werden die Borrelien übertragen.
Wenn man am Abend die Kinder vor dem Schlafengehen auf Zecken absucht, so kann normalerweise eine Ansteckung vermieden werden.
Allerdings unbedingt darauf achten, dass der Körper der Zecke beim rausziehen nicht gequetscht wird. Dabei erst werden nämlich häufig die Borrelien in den Stichkanals gedrückt.
Öl auf die Zecke zu tropfen ist kontraproduktiv. Herausschrauben eine unnötige Fleißaufgabe, weil die Zecken kein Gewinde haben.
Einfach so weit wie möglich vorne am Stichkanal anpacken (mit einer möglichst spitzen Pinzette) und gerade rausziehen.
Falls das Stichwerkzeug abreißen sollte und in der Haut stecken bleibt, so ist dies kein Drama. Das wird binnen kurzem abgestoßen.
Es gibt übrigens drei Stadien im Lebenszyklus der Zecken:
Larven, Nymphen und Erwachsene.
Vor den Larven muss man überhaupt keine Angst haben: Sie übertragen weder FSME noch Borrelien. Sie sind winzig, treten meist in Massen auf (weil sie grade aus einem Gelege von ca. 2000 Eiern geschlüpft sind) und haben - im Gegensatz zu den anderen beiden Zecken-Stadien - nicht acht sondern nur sechs Beine.
Die Nymphen haben bereits einmal gesaugt und wenn die Maus (das Hauptopfer der Zecken) infiziert war, so ist das jetzt auch die Nymphe.
Bei Nymphen muss man besonders aufpassen beim Rausziehen, weil sie so klein sind und leicht gequetscht werden. Sie gehen aber sehr leicht raus. Wer lange Fingernägel hat: damit klappt die Entfernung der Nymphen (in Ermangelung einer Pinzette) auch sehr gut. ;-)
Die erwachsenen Tiere haben bereits zweimal bei Tieren gesaugt und damit das höchste Risiko einer Infektion. Die Übertragung von Borrelien geschieht hier aber sehr langsam.
Insofern geht die größte Gefahr von den Zecken-Nymphen aus.
Bei Katzen ist Borreliose unbekannt, bei Hunden umstritten. Und die Borreliose-Impfung ist sowieso unnötig: Arm an Wirkung, reich an Nebenwirkungen. Siehe dazu diesen Artikel.
Foto: Bruno Lüönd
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Dienstag, 19. April 2011
Mittwoch, 13. April 2011
Die Wurzel des Aberglaubens
Abgläubisches Verhalten findet sich bereits bei Tieren und lebt in Menschen als stammesgeschichtliches Relikt fort.
„Wenn Tiere einen gefährlichen Wildwechsel überqueren, wo häufig Raubtiere lauern, so laufen sie beim ersten Mal einen zufälligen Weg“, erklärt der Biologe Rainer Wolf vom Biozentrum der Universität Würzburg. „Wenn alles gut geht, so werden sie bei jedem weiteren Mal exakt denselben Pfad nehmen, so willkürlich der Weg beim ersten Mal auch gewählt worden sein mag.“ Allein die Tatsache, dass sie die gefährliche Passage lebend überstanden haben, prägt sich so intensiv ein, dass den Tieren jedes Detail haften bleibt.
Berühmt wurde in diesem Sinne Konrad Lorenz Wildgans Martina. Im Winter richtete der Verhaltensforscher für das auf ihn als „Gänsemutter“ geprägte Tier ein Zimmer in seinem Haus ein. Er lockte die Gans, diese zögerte voller Angst, in das ihr unheimliche Haus zu gehen, schließlich fügte sie sich doch. Im finsteren Flur hatte sie jedoch übersehen, dass Konrad Lorenz gleich nach der Tür über die Stiege in den ersten Stock gegangen war und lief zunächst ein Stück gerade aus. Erst als Lorenz von oben rief, machte sie kehrt und watschelte die Treppe hinauf. „Ab diesem Zeitpunkt“, berichtete Lorenz, „machte Martina jedesmal, wenn sie abends in ihr Zimmer ging, die Spitzkehre im Flur mit.“ Als Lorenz die Gans einmal recht spät ins Haus ließ, vergaß Martina den rituell eingeschliffenen Umweg und ging direkt die Treppe hinauf. „Oben angelangt“, erinnerte sich Lorenz, „legte sie plötzlich die Flügel eng an, stieß mit ausgestrecktem Hals einen Schreckensruf aus und rannte die Stufen wieder hinunter – um unter allen Anzeichen von Angst die Spitzkehre nachzuholen.“ Wieder im Obergeschoß angekommen, stieß sie dann einen erleichterten Lockruf aus: es war noch einmal gut gegangen.
Der Biologe Wolf hat sich auf die Erforschung des Phänomens der Selbsttäuschung spezialisiert. Sperrt man Tauben in einen Käfig, in den zufallsgesteuert Nahrungskörner fallen, erklärt er, fände man bald jedes Tier in einer bestimmten eigenartigen Haltung oder Tätigkeit. Sie machen genau das, was sie beim Fallen der ersten Körner zufällig taten. „Ganz offensichtlich sind Tauben der Meinung, dass sie mit diesem Verhalten erreichen können, dass noch weitere Körner fallen.“
Ähnliche Muster leben laut Wolf auch beim Menschen noch als stammesgeschichtliches Relikt fort. „Wenn zwei Prozesse hintereinander ablaufen, so vermuten wir instinktiv, dass der erste den zweiten ausgelöst hat.“ Und wie bei den Tieren, sagt Wolf, funktioniert der Effekt am besten, wenn wir Angst haben. „Die Medizin ist demnach prädestiniert für Aberglauben.“
Dieser Text erschien als Teil der dieswöchigen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins profil zum Thema "Homöopathie".
„Wenn Tiere einen gefährlichen Wildwechsel überqueren, wo häufig Raubtiere lauern, so laufen sie beim ersten Mal einen zufälligen Weg“, erklärt der Biologe Rainer Wolf vom Biozentrum der Universität Würzburg. „Wenn alles gut geht, so werden sie bei jedem weiteren Mal exakt denselben Pfad nehmen, so willkürlich der Weg beim ersten Mal auch gewählt worden sein mag.“ Allein die Tatsache, dass sie die gefährliche Passage lebend überstanden haben, prägt sich so intensiv ein, dass den Tieren jedes Detail haften bleibt.
Berühmt wurde in diesem Sinne Konrad Lorenz Wildgans Martina. Im Winter richtete der Verhaltensforscher für das auf ihn als „Gänsemutter“ geprägte Tier ein Zimmer in seinem Haus ein. Er lockte die Gans, diese zögerte voller Angst, in das ihr unheimliche Haus zu gehen, schließlich fügte sie sich doch. Im finsteren Flur hatte sie jedoch übersehen, dass Konrad Lorenz gleich nach der Tür über die Stiege in den ersten Stock gegangen war und lief zunächst ein Stück gerade aus. Erst als Lorenz von oben rief, machte sie kehrt und watschelte die Treppe hinauf. „Ab diesem Zeitpunkt“, berichtete Lorenz, „machte Martina jedesmal, wenn sie abends in ihr Zimmer ging, die Spitzkehre im Flur mit.“ Als Lorenz die Gans einmal recht spät ins Haus ließ, vergaß Martina den rituell eingeschliffenen Umweg und ging direkt die Treppe hinauf. „Oben angelangt“, erinnerte sich Lorenz, „legte sie plötzlich die Flügel eng an, stieß mit ausgestrecktem Hals einen Schreckensruf aus und rannte die Stufen wieder hinunter – um unter allen Anzeichen von Angst die Spitzkehre nachzuholen.“ Wieder im Obergeschoß angekommen, stieß sie dann einen erleichterten Lockruf aus: es war noch einmal gut gegangen.
Der Biologe Wolf hat sich auf die Erforschung des Phänomens der Selbsttäuschung spezialisiert. Sperrt man Tauben in einen Käfig, in den zufallsgesteuert Nahrungskörner fallen, erklärt er, fände man bald jedes Tier in einer bestimmten eigenartigen Haltung oder Tätigkeit. Sie machen genau das, was sie beim Fallen der ersten Körner zufällig taten. „Ganz offensichtlich sind Tauben der Meinung, dass sie mit diesem Verhalten erreichen können, dass noch weitere Körner fallen.“
Ähnliche Muster leben laut Wolf auch beim Menschen noch als stammesgeschichtliches Relikt fort. „Wenn zwei Prozesse hintereinander ablaufen, so vermuten wir instinktiv, dass der erste den zweiten ausgelöst hat.“ Und wie bei den Tieren, sagt Wolf, funktioniert der Effekt am besten, wenn wir Angst haben. „Die Medizin ist demnach prädestiniert für Aberglauben.“
Dieser Text erschien als Teil der dieswöchigen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins profil zum Thema "Homöopathie".
Montag, 11. April 2011
"Selbstheilung ist der Normalfall"
Deutschlands oberster Medizinprüfer Jürgen Windeler plädiert für einen rationaleren Umgang mit Patienten - und auch mit der Homöopathie. Und er warnt vor der problematischen Aussage: "Wer heilt hat recht."
Haben Sie vor sich beim IQWiG mit der Homöopathie zu befassen?
Windeler: Ich denke nicht, dass wir beauftragt werden, das zu prüfen. Das ist eigentlich kein Thema für unsere Auftraggeber.
Nun gibt es – wie kürzlich eine Volksabstimmung in der Schweiz gezeigt hat – aber doch massive Wünsche, dass die Homöopathie Kassenleistung wird.
Windeler: Dass Homöopathie gratis sein sollte, dieser Wunsch kommt vor allem von Patientenseite. Von den Verfechtern der Homöopathie selbst wird das eher nicht gefordert. Die Homöopathen befürchten wohl, dass die Homöopathie etwas von ihrem Nimbus verlieren würde, wenn sie Kassenleistung wird.
Eigenes Geld auszugeben, steigert zudem die Bereitschaft, sich auf den Arzt einzulassen. Das optimiert sozusagen den Placebo-Effekt.
Windeler: Dazu gibt es tatsächlich empirische Untersuchungen. Es kann durchaus sein, dass man sich über den Wert einer Leistung besser bewusst wird, wenn man direkt dafür zahlt. Und gleichzeitig könnten damit die Erfolgsaussichten der Behandlung steigen.
Sie haben sich schon vor 20 Jahren wissenschaftlich mit der Homöopathie befasst. Deren Vertreter wehren sich vehement dagegen, auf den Placeboeffekt reduziert zu werden. Ist da noch mehr?
Windeler: Man konnte in den Studien nicht nachweisen, dass Homöopathie besser ist als Placebo. Das ist hinreichend klar. Aber der Placebo-Effekt ist generell eine äußerst unscharfe Beschreibung, was sich hier eigentlich abspielt. Wenn es einem Patienten nach dem Besuch beim Homöopathen besser geht, so kann das auch ein ganz normaler Verlauf sein. Ich habe gerade selbst eine nicht sehr schwerwiegende aber lästige Krankheitsgeschichte hinter mir, wo einfach die Beschwerden irgendwann weg waren. Und das, obwohl ich gar nichts gemacht habe. Wenn ich mich vorher hätte akupunktieren lassen oder Bachblüten geschlürft hätte, so wäre ich in Versuchung gekommen, das als Therapieerfolg anzusehen. Es gibt also Besserungen, die nicht mit bestimmten Maßnahmen zu tun haben.
Als zweites habe ich ein großes Problem damit, ein sehr empathisches, differenziertes Zuhören des Arztes und möglicherweise daraus resultierende Verbesserungen als Placebo zu verstehen. Das ist einfach ein gutes ärztliches Tun und mit Placebo völlig inadäquat beschrieben. Und man wird sicherlich sagen können, dass sich homöopathische Ärzte, getriggert durch das, was ihnen ihre nicht zutreffende Theorie vorgibt, intensiv und, differenziert mit den Patienten beschäftigen. Das kann - – zusammen mit Spontanverläufen – die Besserung der Patienten durchaus erklären.
Den Heilerfolgen könnte ja eine Ankurbelung der Selbstheilungskräfte zugrunde liegen?
Windeler: Man kann natürlich argumentieren, wenn man von außen nichts zuführt, kein Medikament – oder eben nur Alkohol oder Milchzucker – und es wird bei einem Patienten besser, dass hier die Selbstheilungskräfte aktiv waren. Doch der Begriff ist mir etwas suspekt – und dass man die spezifisch ankurbeln kann, ist nicht gut fassbar oder auch eine Trivialität.
Es gibt ja das Sprichwort: Der Doktor gibt die Pillen – die Natur heilt. Und man kann pointiert sagen, dass sich in den meisten Fällen der Mensch selber heilt. Man muss halt von außen ab und zu unterstützt werden – in letzter Konsequenz macht aber auch das Antibiotikum nie die Lungenentzündung weg, und das Nähen einer Platzwunde verheilt nicht den Riss – sondern das macht die Natur schon selber.
Homöopathen erzählen, dass eine Krankheit sehr rasch hinter dem eigentlich wichtigen sozialen und psychischen Umfeld verschwindet und die eigentlichen Ursachen der Krankheit erst im intensiven Gespräch hervortreten? Kann das den Heilungserfolg ausmachen?
Windeler: Ich habe viel Sympathie für die Suche nach solchen Dispositionen. Nur so etwas zeichnet doch – modern ausgedrückt – eine psychosomatisch orientierte Medizin gerade aus: Eben nicht nur auf die Oberfläche zu gucken sondern auch: Hat der Mensch gerade Stress oder beruflichen Ärger, der ihn anfällig gemacht hat? Das ist gute Medizin, sich nicht nur für die oberflächlichen Symptome zu interessieren, aber das ist nicht etwas, was speziell Homöopathie auszeichnet. Wenn man zu den idealtypischen Qualitäten der homöopathischen Ärzte kommt, dann ist das vielleicht ihre psychosomatische Orientierung, das hat aber mit der Gabe homöopathischer Mittel gar nichts zu tun.
Zu Zeiten Hahnemanns waren in der damaligen Schulmedizin recht giftige Mittel gebräuchlich, so genannte Drastika. Kann es auch heute noch ein Verdienst der Homöopathie sein, die Menschen vor den Nebenwirkungen der modernen Drastika zu bewahren? Ist etwa bei den Kinderärzten der Verzicht auf Antibiotika auch deshalb möglich, weil ein zweites Glaubensgebäude errichtet wurde, an das sich sowohl Ärzte als auch Patienten halten können – und das dem Kind hilft, die Zeit ohne schädliche Medikamente zu überstehen, während die Krankheit von selbst heilt.
Windeler: Es ist günstig, bei unkomplizierten kindlichen Infekten kein Antibiotikum zu nehmen, auch wenn die Ärzte das oft meinen. Es wäre besser, die Patienten aufzuklären. Hier kann man den homöopathischen Ärzten einen gewissen Bonus zugestehen, allerdings nicht der Homöopathie. Dafür braucht es kein eigenes Glaubensgebäude. Denn man kann die Familien auch mit ganz anderen, nahe liegenden Argumenten dazu bringen, nicht gleich zu Antibiotika zu greifen. Manchmal ist es wohl sinnvoll, den Leuten eine einnehmbare Alternative anzubieten. Meine Sympathie ist eher bei jenen Ärzten, die sagen, man muss gar nichts einnehmen.
Das würde allerdings rationales Verhalten erfordern. Viele Ärzte haben Angst, dass ihre Patienten gleich woanders hin gehen, wenn sie nichts verschrieben bekommen.
Windeler: Ärztliche Aufgabe wäre es, daran zu arbeiten, dass rationales Verhalten sich mehr verbreitet, anstatt noch etwas zusätzlich Irrationales drauf zu setzen. Ich werbe – speziell bei Familien mit Kindern – für ein ruhiges, gelassenes Umgehen, auch mit kindlichen Infekten. Es sollte klar gesagt werden, wenn Antibiotika nicht notwendig sind. Aber man kann den Eltern behilflich sein, indem man ein Rezept mitgibt – den Eltern allerdings aufträgt, das erst einzulösen, wenn es übermorgen nicht besser geworden ist. Dann gehen maximal noch die Hälfte in die Apotheke. Das wäre ein rationaler Weg und dem würde ich allemal den Vorzug geben, als die nicht sinnvolle antibiotische Pille einfach gegen die genauso wenig sinnvolle homöopathische zu tauschen.
Trauen sich die Ärzte überhaupt, nichts zu verschreiben?
Windeler: Wenn Ärzte nur deshalb etwas verschreiben, damit die Patienten wieder kommen, dann ist das vielleicht verständlich, aber trotzdem ein Missstand. Und dem stehen auch die Erfahrungen – speziell der homöopathischen Ärzte – gegenüber, dass die Patienten dann wieder kommen, wenn man sie ernst nimmt und sich mit ihnen ausführlich befasst. Sie einfach mit einem Rezept zu versorgen ist sicher der falsche Weg.
Welche Rolle spielt denn der Placebo-Effekt bei den Schulmedizinern – etwa dann, wenn sie bei banalen Infekten Antibiotika verschreiben?
Windeler: Klar, die Gefahr, dass Ärzte Täuschungen unterliegen, besteht auch hier. Wenn ich jemand mit Mittelohrentzündung Antibiotika gebe und der Patient kommt nicht wieder – und nach einem halben Jahr sagt mir die Mutter: Ja ja, das ist alles gut geworden, dann ist die Versuchung groß, das Antibiotikum für den richtigen Weg zu halten. Um zu wissen, ob das tatsächlich der richtige Weg war, braucht man dann allerdings die Vogelperspektive – im Sinne guter Studien mit vielen Patienten.
Die Aussage „Wer heilt hat recht“, ist also problematisch?
Windeler: Ja. Und zwar in jeder Hinsicht. Wenn man bedenkt, dass der Mensch sich selber heilt, bzw. eben die Natur, dann hat sowieso niemand, der von außen kommt recht. Und am Beispiel meiner Krankheitsgeschichte: ich hab keine Pillen genommen und irgendwann waren die Beschwerden weg, die mich wochenlang gepiesackt haben. Da muss ich wohl selber recht gehabt haben. Das ist eine sehr beliebige Aussage.
Bei homöopathischen Arzneimitteln gibt es keinen Beipacktext. Ist es nicht ungeschickt, wenn man zu sehr über seltene Nebenwirkungen aufklärt?
Windeler: Das ist beinahe schon eine philosophische Frage, ob diese Art der Aufklärung für die Patienten günstig ist. Man hat aber keine Wahl. Denn die Patienten fordern mit der gleichen Vehemenz ein, dass sie über alle Risiken ordentlich informiert werden. In der Tat kann es aber so sein, dass man eher unklug handelt, wenn man sich zu sehr mit diesen Informationen befasst. Es gilt, das richtige Maß zu finden. Eine Zweitmeinung einzuholen, ist meistens sinnvoll, zehn Ärzte zu fragen, hingegen weniger.
Sollten längere ärztliche Gespräche im Abrechnungssystem besser honoriert werden?
Windeler: Ich glaube in der Tat, dass sich Ärzte von ihren homöopathischen Kollegen etwas abgucken können, was das Interesse und die Zuwendung zu ihren Patienten betrifft. In der psychosomatisch orientierten Medizin oder im hausärztlichen Bereich kann man das auch finden. – Dass sprechende Medizin – im Vergleich zu apparativen Verfahren nicht angemessen vergütet wird, spiegelt auch das Interesse von Ärzten an appararativen Verfahren wieder.
Vor einigen Tagen stellte die Deutsche Ärztekammer einen wissenschaftlichen Band zum Thema „Das Placebo in der Medizin“ vor? Ist ihrer Meinung nach dieser Platz vorhanden?
Windeler: In begrenztem Umfang schon. Es wird sich dabei meist um so genannte unreine Placebos handeln. Wo also die Patienten bestimmte Mittel wollen und die Ärzte denken, dass diese zumindest nicht schaden. Das Dilemma besteht darin, dass der Einsatz von Placebos meist bedeutet, dass man die Patienten belügen muss.
Da sind die Homöopathen im Vorteil, weil sie fest von ihrem Tun überzeugt sind.
Windeler: Viele Homöopathen sind von dem was sie tun ehrlich überzeugt und insofern belügen sie ihre Patienten nicht. Sie müssten allerdings bei einem Patientengespräch eigentlich dazu sagen, dass diese Überzeugung von der Wissenschaft nicht geteilt wird und sich in vielfacher Hinsicht als spekulativ erwiesen hat. Das müsste eigentlich zu einer homöopathischen Behandlung oder in einer Bachblüten-Praxis immer dazu gesagt werden. Nur dies wäre eine angemessene Information. Umso mehr, wenn es evidenzbasierte Behandlungs-Alternativen gibt.
Wäre es wichtig, mal in die Erforschung der Selbstheilungskräfte zu investieren: Welche Hormone, welche Botenstoffe, welche schmerzlindernden Substanzen werden konkret im Gehirn freigesetzt. Wie fördert man das am besten?
Windeler: Mich würde mehr interessieren, welche psychologischen Mechanismen es sind, welche die positiven Effekte nach einer eigentlich nicht spezifisch wirksamen Therapie wie der Homöopathie hervorrufen könnten. Ist das der weiße Kittel, die vertrauensvolle Stimme des Arztes, die Individualisierung der Therapie, die ruhige Umgebung – oder speziell die lange Zeit, die der Arzt mit mir spricht. Man weiß über diese so genannten Kontext-Effekte erstaunlich wenig. Und das wäre doch spannend, weil diese Erkenntnisse in der medizinischen Praxis systematisch genutzt werden könnten.
Jürgen Windeler, 54, ist Arzt, Professor für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie. Seit September 2010 leitet er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln, dessen Aufgabe es ist, die Vor- und Nachteile medizinischer Leistungen für die Patienten objektiv zu prüfen.
Dieses Interview erschien als Teil der dieswöchigen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins profil zum Thema "Homöopathie" - allerdings in einer gekürzten Version und nur in der Printausgabe. Dies ist die authorisierte Langfassung des Gesprächs mit Prof. Windeler. Fotocredit: IQWiG
Haben Sie vor sich beim IQWiG mit der Homöopathie zu befassen?
Windeler: Ich denke nicht, dass wir beauftragt werden, das zu prüfen. Das ist eigentlich kein Thema für unsere Auftraggeber.
Nun gibt es – wie kürzlich eine Volksabstimmung in der Schweiz gezeigt hat – aber doch massive Wünsche, dass die Homöopathie Kassenleistung wird.
Windeler: Dass Homöopathie gratis sein sollte, dieser Wunsch kommt vor allem von Patientenseite. Von den Verfechtern der Homöopathie selbst wird das eher nicht gefordert. Die Homöopathen befürchten wohl, dass die Homöopathie etwas von ihrem Nimbus verlieren würde, wenn sie Kassenleistung wird.
Eigenes Geld auszugeben, steigert zudem die Bereitschaft, sich auf den Arzt einzulassen. Das optimiert sozusagen den Placebo-Effekt.
Windeler: Dazu gibt es tatsächlich empirische Untersuchungen. Es kann durchaus sein, dass man sich über den Wert einer Leistung besser bewusst wird, wenn man direkt dafür zahlt. Und gleichzeitig könnten damit die Erfolgsaussichten der Behandlung steigen.
Sie haben sich schon vor 20 Jahren wissenschaftlich mit der Homöopathie befasst. Deren Vertreter wehren sich vehement dagegen, auf den Placeboeffekt reduziert zu werden. Ist da noch mehr?
Windeler: Man konnte in den Studien nicht nachweisen, dass Homöopathie besser ist als Placebo. Das ist hinreichend klar. Aber der Placebo-Effekt ist generell eine äußerst unscharfe Beschreibung, was sich hier eigentlich abspielt. Wenn es einem Patienten nach dem Besuch beim Homöopathen besser geht, so kann das auch ein ganz normaler Verlauf sein. Ich habe gerade selbst eine nicht sehr schwerwiegende aber lästige Krankheitsgeschichte hinter mir, wo einfach die Beschwerden irgendwann weg waren. Und das, obwohl ich gar nichts gemacht habe. Wenn ich mich vorher hätte akupunktieren lassen oder Bachblüten geschlürft hätte, so wäre ich in Versuchung gekommen, das als Therapieerfolg anzusehen. Es gibt also Besserungen, die nicht mit bestimmten Maßnahmen zu tun haben.
Als zweites habe ich ein großes Problem damit, ein sehr empathisches, differenziertes Zuhören des Arztes und möglicherweise daraus resultierende Verbesserungen als Placebo zu verstehen. Das ist einfach ein gutes ärztliches Tun und mit Placebo völlig inadäquat beschrieben. Und man wird sicherlich sagen können, dass sich homöopathische Ärzte, getriggert durch das, was ihnen ihre nicht zutreffende Theorie vorgibt, intensiv und, differenziert mit den Patienten beschäftigen. Das kann - – zusammen mit Spontanverläufen – die Besserung der Patienten durchaus erklären.
Den Heilerfolgen könnte ja eine Ankurbelung der Selbstheilungskräfte zugrunde liegen?
Windeler: Man kann natürlich argumentieren, wenn man von außen nichts zuführt, kein Medikament – oder eben nur Alkohol oder Milchzucker – und es wird bei einem Patienten besser, dass hier die Selbstheilungskräfte aktiv waren. Doch der Begriff ist mir etwas suspekt – und dass man die spezifisch ankurbeln kann, ist nicht gut fassbar oder auch eine Trivialität.
Es gibt ja das Sprichwort: Der Doktor gibt die Pillen – die Natur heilt. Und man kann pointiert sagen, dass sich in den meisten Fällen der Mensch selber heilt. Man muss halt von außen ab und zu unterstützt werden – in letzter Konsequenz macht aber auch das Antibiotikum nie die Lungenentzündung weg, und das Nähen einer Platzwunde verheilt nicht den Riss – sondern das macht die Natur schon selber.
Homöopathen erzählen, dass eine Krankheit sehr rasch hinter dem eigentlich wichtigen sozialen und psychischen Umfeld verschwindet und die eigentlichen Ursachen der Krankheit erst im intensiven Gespräch hervortreten? Kann das den Heilungserfolg ausmachen?
Windeler: Ich habe viel Sympathie für die Suche nach solchen Dispositionen. Nur so etwas zeichnet doch – modern ausgedrückt – eine psychosomatisch orientierte Medizin gerade aus: Eben nicht nur auf die Oberfläche zu gucken sondern auch: Hat der Mensch gerade Stress oder beruflichen Ärger, der ihn anfällig gemacht hat? Das ist gute Medizin, sich nicht nur für die oberflächlichen Symptome zu interessieren, aber das ist nicht etwas, was speziell Homöopathie auszeichnet. Wenn man zu den idealtypischen Qualitäten der homöopathischen Ärzte kommt, dann ist das vielleicht ihre psychosomatische Orientierung, das hat aber mit der Gabe homöopathischer Mittel gar nichts zu tun.
Zu Zeiten Hahnemanns waren in der damaligen Schulmedizin recht giftige Mittel gebräuchlich, so genannte Drastika. Kann es auch heute noch ein Verdienst der Homöopathie sein, die Menschen vor den Nebenwirkungen der modernen Drastika zu bewahren? Ist etwa bei den Kinderärzten der Verzicht auf Antibiotika auch deshalb möglich, weil ein zweites Glaubensgebäude errichtet wurde, an das sich sowohl Ärzte als auch Patienten halten können – und das dem Kind hilft, die Zeit ohne schädliche Medikamente zu überstehen, während die Krankheit von selbst heilt.
Windeler: Es ist günstig, bei unkomplizierten kindlichen Infekten kein Antibiotikum zu nehmen, auch wenn die Ärzte das oft meinen. Es wäre besser, die Patienten aufzuklären. Hier kann man den homöopathischen Ärzten einen gewissen Bonus zugestehen, allerdings nicht der Homöopathie. Dafür braucht es kein eigenes Glaubensgebäude. Denn man kann die Familien auch mit ganz anderen, nahe liegenden Argumenten dazu bringen, nicht gleich zu Antibiotika zu greifen. Manchmal ist es wohl sinnvoll, den Leuten eine einnehmbare Alternative anzubieten. Meine Sympathie ist eher bei jenen Ärzten, die sagen, man muss gar nichts einnehmen.
Das würde allerdings rationales Verhalten erfordern. Viele Ärzte haben Angst, dass ihre Patienten gleich woanders hin gehen, wenn sie nichts verschrieben bekommen.
Windeler: Ärztliche Aufgabe wäre es, daran zu arbeiten, dass rationales Verhalten sich mehr verbreitet, anstatt noch etwas zusätzlich Irrationales drauf zu setzen. Ich werbe – speziell bei Familien mit Kindern – für ein ruhiges, gelassenes Umgehen, auch mit kindlichen Infekten. Es sollte klar gesagt werden, wenn Antibiotika nicht notwendig sind. Aber man kann den Eltern behilflich sein, indem man ein Rezept mitgibt – den Eltern allerdings aufträgt, das erst einzulösen, wenn es übermorgen nicht besser geworden ist. Dann gehen maximal noch die Hälfte in die Apotheke. Das wäre ein rationaler Weg und dem würde ich allemal den Vorzug geben, als die nicht sinnvolle antibiotische Pille einfach gegen die genauso wenig sinnvolle homöopathische zu tauschen.
Trauen sich die Ärzte überhaupt, nichts zu verschreiben?
Windeler: Wenn Ärzte nur deshalb etwas verschreiben, damit die Patienten wieder kommen, dann ist das vielleicht verständlich, aber trotzdem ein Missstand. Und dem stehen auch die Erfahrungen – speziell der homöopathischen Ärzte – gegenüber, dass die Patienten dann wieder kommen, wenn man sie ernst nimmt und sich mit ihnen ausführlich befasst. Sie einfach mit einem Rezept zu versorgen ist sicher der falsche Weg.
Welche Rolle spielt denn der Placebo-Effekt bei den Schulmedizinern – etwa dann, wenn sie bei banalen Infekten Antibiotika verschreiben?
Windeler: Klar, die Gefahr, dass Ärzte Täuschungen unterliegen, besteht auch hier. Wenn ich jemand mit Mittelohrentzündung Antibiotika gebe und der Patient kommt nicht wieder – und nach einem halben Jahr sagt mir die Mutter: Ja ja, das ist alles gut geworden, dann ist die Versuchung groß, das Antibiotikum für den richtigen Weg zu halten. Um zu wissen, ob das tatsächlich der richtige Weg war, braucht man dann allerdings die Vogelperspektive – im Sinne guter Studien mit vielen Patienten.
Die Aussage „Wer heilt hat recht“, ist also problematisch?
Windeler: Ja. Und zwar in jeder Hinsicht. Wenn man bedenkt, dass der Mensch sich selber heilt, bzw. eben die Natur, dann hat sowieso niemand, der von außen kommt recht. Und am Beispiel meiner Krankheitsgeschichte: ich hab keine Pillen genommen und irgendwann waren die Beschwerden weg, die mich wochenlang gepiesackt haben. Da muss ich wohl selber recht gehabt haben. Das ist eine sehr beliebige Aussage.
Bei homöopathischen Arzneimitteln gibt es keinen Beipacktext. Ist es nicht ungeschickt, wenn man zu sehr über seltene Nebenwirkungen aufklärt?
Windeler: Das ist beinahe schon eine philosophische Frage, ob diese Art der Aufklärung für die Patienten günstig ist. Man hat aber keine Wahl. Denn die Patienten fordern mit der gleichen Vehemenz ein, dass sie über alle Risiken ordentlich informiert werden. In der Tat kann es aber so sein, dass man eher unklug handelt, wenn man sich zu sehr mit diesen Informationen befasst. Es gilt, das richtige Maß zu finden. Eine Zweitmeinung einzuholen, ist meistens sinnvoll, zehn Ärzte zu fragen, hingegen weniger.
Sollten längere ärztliche Gespräche im Abrechnungssystem besser honoriert werden?
Windeler: Ich glaube in der Tat, dass sich Ärzte von ihren homöopathischen Kollegen etwas abgucken können, was das Interesse und die Zuwendung zu ihren Patienten betrifft. In der psychosomatisch orientierten Medizin oder im hausärztlichen Bereich kann man das auch finden. – Dass sprechende Medizin – im Vergleich zu apparativen Verfahren nicht angemessen vergütet wird, spiegelt auch das Interesse von Ärzten an appararativen Verfahren wieder.
Vor einigen Tagen stellte die Deutsche Ärztekammer einen wissenschaftlichen Band zum Thema „Das Placebo in der Medizin“ vor? Ist ihrer Meinung nach dieser Platz vorhanden?
Windeler: In begrenztem Umfang schon. Es wird sich dabei meist um so genannte unreine Placebos handeln. Wo also die Patienten bestimmte Mittel wollen und die Ärzte denken, dass diese zumindest nicht schaden. Das Dilemma besteht darin, dass der Einsatz von Placebos meist bedeutet, dass man die Patienten belügen muss.
Da sind die Homöopathen im Vorteil, weil sie fest von ihrem Tun überzeugt sind.
Windeler: Viele Homöopathen sind von dem was sie tun ehrlich überzeugt und insofern belügen sie ihre Patienten nicht. Sie müssten allerdings bei einem Patientengespräch eigentlich dazu sagen, dass diese Überzeugung von der Wissenschaft nicht geteilt wird und sich in vielfacher Hinsicht als spekulativ erwiesen hat. Das müsste eigentlich zu einer homöopathischen Behandlung oder in einer Bachblüten-Praxis immer dazu gesagt werden. Nur dies wäre eine angemessene Information. Umso mehr, wenn es evidenzbasierte Behandlungs-Alternativen gibt.
Wäre es wichtig, mal in die Erforschung der Selbstheilungskräfte zu investieren: Welche Hormone, welche Botenstoffe, welche schmerzlindernden Substanzen werden konkret im Gehirn freigesetzt. Wie fördert man das am besten?
Windeler: Mich würde mehr interessieren, welche psychologischen Mechanismen es sind, welche die positiven Effekte nach einer eigentlich nicht spezifisch wirksamen Therapie wie der Homöopathie hervorrufen könnten. Ist das der weiße Kittel, die vertrauensvolle Stimme des Arztes, die Individualisierung der Therapie, die ruhige Umgebung – oder speziell die lange Zeit, die der Arzt mit mir spricht. Man weiß über diese so genannten Kontext-Effekte erstaunlich wenig. Und das wäre doch spannend, weil diese Erkenntnisse in der medizinischen Praxis systematisch genutzt werden könnten.
Jürgen Windeler, 54, ist Arzt, Professor für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie. Seit September 2010 leitet er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln, dessen Aufgabe es ist, die Vor- und Nachteile medizinischer Leistungen für die Patienten objektiv zu prüfen.
Dieses Interview erschien als Teil der dieswöchigen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins profil zum Thema "Homöopathie" - allerdings in einer gekürzten Version und nur in der Printausgabe. Dies ist die authorisierte Langfassung des Gesprächs mit Prof. Windeler. Fotocredit: IQWiG
Dienstag, 5. April 2011
Muttermilch neutralisiert Rotavirus-Impfung
Die Rotavirus-Impfung wurde speziell für Dritte Welt Länder entwickelt, um tödliche Durchfälle bei Babys zu reduzieren. Nun zeigt sich, dass gerade dort - wo sie gebraucht würden - die Impfungen sehr schlecht wirken, weil Muttermilch den Effekt der Impfung großteils neutralisiert.
Als vor mehr als zehn Jahren der erste Rotavirus-Impfstoff auf den Markt kam, wunderten sich viele, wozu der wohl gut sein soll. Haben doch mehr als 99 Prozent aller Babys bis zum Schulalter teils mehrfach Kontakt mit diesen Erregern. Rotaviren verursachen meist nur leichte Infektionen, die sich als Durchfall bemerkbar machen. Zwar kann es auch zu starkem Brech-Durchfall kommen, doch milde Verläufe sind – zumindest in den Industrieländern – die Regel, Fieber selten. Die meisten Eltern bekommen von Rotavirus-Infekten ihrer Kinder kaum etwas mit. Und falls doch: An Durchfällen stirbt bei uns niemand, solange darauf geachtet wird, dass der Flüssigkeits-Verlust der kranken Kinder ausgeglichen wird, indem sie ausreichend zu trinken bekommen. Sogar bei schweren Fällen ist eine Einweisung in Krankenhäusern meist zu vermeiden, wenn die Eltern gute Beratung und Beistand von ihren Hausärzten erhalten.
Wozu also die teure Impfung? (Die Basis-Immunisierung kostet immerhin mehr als 200 Euro.)
Die Hersteller des Impfstoffes und die damit befassten Experten antworteten auf diese Kritik, dass die Impfung in erster Linie für Dritte-Welt-Länder gedacht sei, wo Rotavirus-bedingte Durchfälle sehr wohl ein relevantes Krankheits- und Sterberisiko darstellen. Millionen Kinder könne man jährlich retten, wenn es gelänge, hier eine breite Durchimpfung sicher zu stellen.
Die Einführung der relativ teuren Impfung in den Industrieländern sei insofern von Bedeutung, als es den Impfstoff-Herstellern nur über diese Einnahmen möglich wäre, die Rotavirus-Impfung für die Entwicklungsländer zu deutlich günstigeren Konditionen abzugeben. Derzeit gibt es zwei Rotavirus Impfstoffe am Markt (Rotarix und RotaTeq). Beides sind Schluckimpfungen, die abgeschwächte aber lebende Rotavirus-Typen enthalten. Bereits im Vorjahr waren die Impfungen heftig ins Gerede gekommen, weil bei einer genauen Analyse der Inhaltsstoffe die Erbsubstanz von Schweineviren festgestellt wurde. Zeitweilig war Rotarix von den US-Behörden sogar die Zulassung entzogen worden.
Nun kommen mit fast jeder neuen Studie weitere schlechte Nachrichten dazu. Die hervorragenden Resultate aus den Zulassungsstudien lassen sich in den ärmeren Ländern nämlich nicht wiederholen. In Lateinamerika hatte die Wirksamkeit der Impfung bei der Vermeidung ernsthafter Gastroenteritis (Magen-Darm Entzündungen) im Vergleich zur Placebo-Gruppe noch 80,5 Prozent betragen, in Europa sogar 87,1 Prozent. Auch in der Praxis zeigte sich in den Industrieländern eine gute Wirkung und eine deutliche Reduktion von Krankenhaus-Einweisungen auf Grund heftiger Durchfälle.
Dem gegenüber bringen die Impfaktionen in Entwicklungsländern bislang nicht die erhofften Resultate, die Wirksamkeit der Rotavirus Impfung sinkt hier - zum Teil deutlich - unter 50 Prozent. In Ghana erreichte die Impfung beispielsweise nur 39,3 Prozent Wirksamkeit, in Bangladesh 48,3 Prozent und in Malawi 49,4 Prozent.
Auf der Suche nach einer Erklärung dieses Effekts kamen US-Wissenschaftler nun auf die Idee, die Beschaffenheit der Brustmilch der stillenden Frauen zu vergleichen. Ein Team der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta analysierte die Milch stillender Mütter in Indien, Vietnam, Südkorea und den USA und fand erstaunliche Unterschiede, welche eine mögliche Erklärung für den deutlich geringeren Schutzeffekt der Impfung – gerade dort wo er am dringendsten gebraucht würde – liefern.
Während nämlich die stillenden amerikanischen Frauen in ihrer Milch nur relativ geringe Antikörper-Titer gegen Rotaviren hatten, fanden sich bei den Frauen aus Vietnam, Südkorea und speziell bei den Inderinnen Spitzenwerte dieser neutralisierenden Antikörper in der Brustmilch. Alle drei im Impfstoff enthaltenen Lebendviren-Typen würden über diese Inhaltsstoffe angegriffen und zu einem beträchtlichen Teil neutralisiert, berichten die Wissenschaftler.
In Ländern, wo Rotaviren ein besonderes Gesundheitsproblem darstellen, sind scheinbar auch die natürlichen Schutzmaßnahmen - vermittelt über die Muttermilch – am stärksten.
Dass die Babys stillender Mütter im Vergleich zu ungestillten Babys ein deutlich reduziertes Risiko schwerer Rotavirus-Infekte haben, ist seit längerem bekannt. Ein internationales Wissenschaftler Team untersuchte bei einer großen Studie in Indien 700 Kinder mit Rotavirus-Infekten auf ihre Lebensumstände. Die Hälfte der Kinder machte die Infektion zu Hause durch, die andere im Spital.
Die wesentlichsten Unterschiede waren folgende:
Was aber sind die Schlüsse der CDC-Wissenschaftler aus Atlanta? Der Ratschlag amerikanischer Forscherweisheit an die unterprivilegierte Welt?
Was Studienautor S.S. Moon und Kollegen hier weiter geben, muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Sie schreiben:
Zu solchen Schlüssen kann man nur gratulieren: Wo stillende Mütter den Erfolg amerikanischer Impfkonzepte sabotieren, muss eben damit aufgehört werden, die Babys mit Muttermilch zu ernähren.
Derart weise Konzepte kennen wir bereits aus der Aids-Foschung, wo vor mehr als zehn Jahren ein ähnlicher Effekt festgestellt wurde: Mütter die ihre Kinder stillten, verhalfen ihnen scheinbar auch zu einer besseren Entgiftung. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die gestillten Babys die teils sehr toxischen Aids-Medikamente rascher abbauten, bzw. ausgeschieden haben. Den Müttern wurde deshalb nach den gültigen WHO- und UNAIDS-Richtlinien verboten zu stillen, während sie die teuren antiretroviralen Präparate bekamen.
Doch was war die Folge? Im Jahr 2007 erschienen im Journal "Lancet" gleich drei Studien, welche den katastrophalen Effekt dieser scheinbar so logischen Strategie zeigten: Die Sterblichkeit unter den nunmehr ungestillten Kindern stieg im Vergleich zu den gestillten auf das nahezu Dreifache an. In der Folge mussten die Empfehlungen für die Entwicklungsländer wieder zurück genommen werden.
Wie es aussieht, hat man aus derartigen Erfahrungen nichts gelernt. Noch immer wird der Wert pharmazeutischer Interventionen wesentlich höher angesetzt als jener der primitiven eigenen Ressourcen - so wie eben der natürliche Schutz der Babys durch Muttermilch.
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Als vor mehr als zehn Jahren der erste Rotavirus-Impfstoff auf den Markt kam, wunderten sich viele, wozu der wohl gut sein soll. Haben doch mehr als 99 Prozent aller Babys bis zum Schulalter teils mehrfach Kontakt mit diesen Erregern. Rotaviren verursachen meist nur leichte Infektionen, die sich als Durchfall bemerkbar machen. Zwar kann es auch zu starkem Brech-Durchfall kommen, doch milde Verläufe sind – zumindest in den Industrieländern – die Regel, Fieber selten. Die meisten Eltern bekommen von Rotavirus-Infekten ihrer Kinder kaum etwas mit. Und falls doch: An Durchfällen stirbt bei uns niemand, solange darauf geachtet wird, dass der Flüssigkeits-Verlust der kranken Kinder ausgeglichen wird, indem sie ausreichend zu trinken bekommen. Sogar bei schweren Fällen ist eine Einweisung in Krankenhäusern meist zu vermeiden, wenn die Eltern gute Beratung und Beistand von ihren Hausärzten erhalten.
Wozu also die teure Impfung? (Die Basis-Immunisierung kostet immerhin mehr als 200 Euro.)
Die Hersteller des Impfstoffes und die damit befassten Experten antworteten auf diese Kritik, dass die Impfung in erster Linie für Dritte-Welt-Länder gedacht sei, wo Rotavirus-bedingte Durchfälle sehr wohl ein relevantes Krankheits- und Sterberisiko darstellen. Millionen Kinder könne man jährlich retten, wenn es gelänge, hier eine breite Durchimpfung sicher zu stellen.
Die Einführung der relativ teuren Impfung in den Industrieländern sei insofern von Bedeutung, als es den Impfstoff-Herstellern nur über diese Einnahmen möglich wäre, die Rotavirus-Impfung für die Entwicklungsländer zu deutlich günstigeren Konditionen abzugeben. Derzeit gibt es zwei Rotavirus Impfstoffe am Markt (Rotarix und RotaTeq). Beides sind Schluckimpfungen, die abgeschwächte aber lebende Rotavirus-Typen enthalten. Bereits im Vorjahr waren die Impfungen heftig ins Gerede gekommen, weil bei einer genauen Analyse der Inhaltsstoffe die Erbsubstanz von Schweineviren festgestellt wurde. Zeitweilig war Rotarix von den US-Behörden sogar die Zulassung entzogen worden.
Nun kommen mit fast jeder neuen Studie weitere schlechte Nachrichten dazu. Die hervorragenden Resultate aus den Zulassungsstudien lassen sich in den ärmeren Ländern nämlich nicht wiederholen. In Lateinamerika hatte die Wirksamkeit der Impfung bei der Vermeidung ernsthafter Gastroenteritis (Magen-Darm Entzündungen) im Vergleich zur Placebo-Gruppe noch 80,5 Prozent betragen, in Europa sogar 87,1 Prozent. Auch in der Praxis zeigte sich in den Industrieländern eine gute Wirkung und eine deutliche Reduktion von Krankenhaus-Einweisungen auf Grund heftiger Durchfälle.
Dem gegenüber bringen die Impfaktionen in Entwicklungsländern bislang nicht die erhofften Resultate, die Wirksamkeit der Rotavirus Impfung sinkt hier - zum Teil deutlich - unter 50 Prozent. In Ghana erreichte die Impfung beispielsweise nur 39,3 Prozent Wirksamkeit, in Bangladesh 48,3 Prozent und in Malawi 49,4 Prozent.
Auf der Suche nach einer Erklärung dieses Effekts kamen US-Wissenschaftler nun auf die Idee, die Beschaffenheit der Brustmilch der stillenden Frauen zu vergleichen. Ein Team der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta analysierte die Milch stillender Mütter in Indien, Vietnam, Südkorea und den USA und fand erstaunliche Unterschiede, welche eine mögliche Erklärung für den deutlich geringeren Schutzeffekt der Impfung – gerade dort wo er am dringendsten gebraucht würde – liefern.
Während nämlich die stillenden amerikanischen Frauen in ihrer Milch nur relativ geringe Antikörper-Titer gegen Rotaviren hatten, fanden sich bei den Frauen aus Vietnam, Südkorea und speziell bei den Inderinnen Spitzenwerte dieser neutralisierenden Antikörper in der Brustmilch. Alle drei im Impfstoff enthaltenen Lebendviren-Typen würden über diese Inhaltsstoffe angegriffen und zu einem beträchtlichen Teil neutralisiert, berichten die Wissenschaftler.
In Ländern, wo Rotaviren ein besonderes Gesundheitsproblem darstellen, sind scheinbar auch die natürlichen Schutzmaßnahmen - vermittelt über die Muttermilch – am stärksten.
Dass die Babys stillender Mütter im Vergleich zu ungestillten Babys ein deutlich reduziertes Risiko schwerer Rotavirus-Infekte haben, ist seit längerem bekannt. Ein internationales Wissenschaftler Team untersuchte bei einer großen Studie in Indien 700 Kinder mit Rotavirus-Infekten auf ihre Lebensumstände. Die Hälfte der Kinder machte die Infektion zu Hause durch, die andere im Spital.
Die wesentlichsten Unterschiede waren folgende:
- Der Schweregrad der Infektion war bei den hospitalisierten Kindern deutlich höher
- Die hospitalisierten Kinder wurden zu 35 Prozent gestillt, die Kinder welche zu Hause blieben, hingegen zu 74 Prozent
Was aber sind die Schlüsse der CDC-Wissenschaftler aus Atlanta? Der Ratschlag amerikanischer Forscherweisheit an die unterprivilegierte Welt?
Was Studienautor S.S. Moon und Kollegen hier weiter geben, muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Sie schreiben:
Die geringere Immunogenität und Wirksamkeit der Rotavirus Impfung in armen Entwicklungsländern kann zumindest zum Teil durch die höheren IgA Titer in Brustmilch und deren neutralisierende Aktivität in gestillten Babys erklärt werden. Zum Zeitpunkt der Impfung kann Muttermilch effektiv die Potenz der Impfung reduzieren. Strategien, diesen negativen Effekt zu vermeiden, indem etwa das Stillen zur Zeit der Impfung ausgesetzt wird, sollten wissenschaftlich geprüft werden.
Zu solchen Schlüssen kann man nur gratulieren: Wo stillende Mütter den Erfolg amerikanischer Impfkonzepte sabotieren, muss eben damit aufgehört werden, die Babys mit Muttermilch zu ernähren.
Derart weise Konzepte kennen wir bereits aus der Aids-Foschung, wo vor mehr als zehn Jahren ein ähnlicher Effekt festgestellt wurde: Mütter die ihre Kinder stillten, verhalfen ihnen scheinbar auch zu einer besseren Entgiftung. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die gestillten Babys die teils sehr toxischen Aids-Medikamente rascher abbauten, bzw. ausgeschieden haben. Den Müttern wurde deshalb nach den gültigen WHO- und UNAIDS-Richtlinien verboten zu stillen, während sie die teuren antiretroviralen Präparate bekamen.
Doch was war die Folge? Im Jahr 2007 erschienen im Journal "Lancet" gleich drei Studien, welche den katastrophalen Effekt dieser scheinbar so logischen Strategie zeigten: Die Sterblichkeit unter den nunmehr ungestillten Kindern stieg im Vergleich zu den gestillten auf das nahezu Dreifache an. In der Folge mussten die Empfehlungen für die Entwicklungsländer wieder zurück genommen werden.
Wie es aussieht, hat man aus derartigen Erfahrungen nichts gelernt. Noch immer wird der Wert pharmazeutischer Interventionen wesentlich höher angesetzt als jener der primitiven eigenen Ressourcen - so wie eben der natürliche Schutz der Babys durch Muttermilch.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, würden
wir uns über einen kleinen Beitrag zu unserer Arbeit sehr freuen.
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