Dienstag, 11. Mai 2010

Böse Rotavirus-Überraschungen

Rotaviren lösen Durchfall aus und führen speziell in Entwicklungsländern zu gefährlichen Krankheits-Verläufen. Seit vier Jahren werden mit Rotarix und RotaTeq zwei Schluckimpfungen für Babys angeboten.

Ende März sorgte eine Entscheidung der  US-Amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA für Aufregung. Sie setzte die Zulassung des Rotavirus-Impfstoffs Rotarix aus, weil bei einer genauen Analyse des Impfstoffes fest gestellt wurde, dass darin Erbsubstanz von Schweineviren (Circovirus PCV-1) enthalten ist.
Rotarix wird vom europäischen Konzern GlaxoSmithKline (GSK) hergestellt. Wie die Kontamination passierte, ist nicht bekannt. Es wird vermutet, dass die Schweineviren bereits in den Zellkulturen enthalten waren, die für die Impfstoff-Entwicklung verwendet worden sind. Unbekannt ist außerdem, ob die virale Erbsubstanz im Impfstoff vermehrungsfähig ist, oder ob es sich dabei bloß um Bruchstücke handelt.
Im Gegensatz zu den US-Behörden sah die europäische Arzneimittelagentur EMEA keine Ursache, den Impfstoff vom Markt zu nehmen. Dies wurde in einer Aussendung vom 26. März unter anderem damit begründet, dass die PCV-1 Viren – soweit bislang bekannt – weder bei den Schweinen noch beim Menschen irgendwelche Erkrankungen auslösen.

Ganz anders verhält es sich hingegen mit den nahe verwandten Viren des Typs PCV-2, die bei Schweinen in die Entstehung von gleich drei Krankheiten verwickelt sind. Dabei handelt es sich um:

  • "Post Weaning Multisystemic Wasting Syndrome" (PMWS). Bei dieser Krankheit sind die Jungschweine nach dem Absetzen immungeschwächt, sie leiden an Durchfall, kümmern und haben geschwollene Lymphknoten. Bei akuten Ausbrüchen sterben bis zu zehn Prozent der Tiere. 
  • "Porcine Dermatitits and Nephropathy Syndrome" (PDNS) tritt bei etwas älteren Mastschweinen auf. Die Tiere leiden dabei an auffälligen Blutungen der Haut, sie sind teilnahmslos, fressen lustlos und haben Fieber. Bis zu 80 Prozent der akut erkrankten Tiere sterben.
  • "Porcine Proliferative and Necrotizing Pneumonia" (PNP) wurde erstmals 1990 bei Jungschweinen in Kanada mit den PCV-2 Viren assoziiert. In einer Untersuchung an mehr als 3000 Schweinen wurden die Viren in 22 Prozent der Fälle als Auslöser der Lungenentzündung identifziert. Die Sterblichkeit wird mit fünf bis 20 Prozent angegeben.

PCV-2 Viren sind weltweit stark verbreitet. Sie werden über Mist, Sekrete, Urin und Sperma ausgeschieden und können damit direkt übertragen werden. Infizierte Tiere müssen jedoch nicht erkranken. Als Risikofaktoren für den Ausbruch gelten Co-Infektionen sowie Stress.

Doch Moment. – Warum erzähle ich dies eigentlich so detailliert, wo doch in Rotarix keine Viren vom Typ PCV-2, sondern deren als ungefährlich eingeschätzte Virenschwestern PCV-1 gefunden wurden?

Die Antwort ist höchst originell.

Nachdem die FDA mit Rotarix einen der beiden verfügbaren Rotavirus-Impfstoffe aus den USA verbannt hatte, lag es nahe, auch beim nunmehrigen Monopol-Impfstoff RotaTeq – einem Produkt des US-Konzerns Merck – nach etwaigen blinden Passagieren im Impfstoff-Gemisch zu fahnden. In einer Aussendung vom 6. Mai teilt die US-Behörde nun mit, dass auch das Merck-Produkt PCV-1 Viren-DNA enthält. Aber nicht nur das, hier fand sich außerdem noch Erbsubstanz der - zumindest bei Schweinen - bekannt problematischen PCV-2 Viren.

Dies stellt die FDA nun vor ein Dilemma. Denn wenn sie dieselben strengen Maßstäbe anlegen würde, wie im März bei Rotarix, gäbe es in den USA gar keinen Impfstoff mehr gegen Rotaviren.
Dies ging den behördlichen Virenjägern wohl zu weit. Zumindest ist bisher noch nichts von einem Bannspruch gegen RotaTeq zu vernehmen.
Und das, obwohl die Belege gegen diesen Impfstoff wohl wesentlich schwerer wiegen, als jene gegen das europäische Konkurrenzprodukt.

Will sich die FDA nicht vorhalten lassen, dass sie einheimische Produzenten bevorzugt, schreibt das deutsche Ärzteblatt, so "steht zu erwarten, dass die Suspendierung von Rotarix aufgehoben wird."

Womit dann ja wieder alles in Ordnung wäre.

Foto: Sanofi Pasteur MSD

2 Kommentare:

  1. Eben sehe ich einen Bericht des Österreichischen Gesundheitsministeriums, in dem eine sehr positive Bilanz der Rotavirus-Impf-Aktionen gezogen wird.

    Hier die Entwicklung bei den Krankenhaus-Einweisungen der Kleinkinder unter 2 Jahren. (Die Impfkampagne wurde etwa zur Jahresmitte 2007 gestartet)

    2005 = 2640
    2006 = 2576
    2007 = 1448
    2008 = 1213
    2009 = 734

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  2. Schneller als erwartet hat die FDA nun einen Ausweg aus der peinlichen Situation gewählt, in die sich die US-Behörde manövriert hatte.
    Anstatt den Rotavirus-Impfstoff des US-Konzerns Merck (Rotateq) ebenso zu verbieten, wie zuvor den Impfstoff des Europäischen Konkurrenten GSK (Rotarix), zog die Behörde symbolisch den Schwanz ein, und gab ihre Bedenken gegen Rotarix auf.
    Nunmehr befinden sich also zwei Rotavirus-Impfstoffe am Markt, die genetisches Material von Schweineviren enthalten, Rotateq sogar von Viren, die bei Schweinen gefürchtete Krankheiten auslösen.

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