Sonntag, 28. Juni 2009

Die Sicherheit der HPV-Impfstoffe

Mit der Devise „stärker und länger“ wirbt der Pharmakonzern GSK für seinen Impfstoff Cervarix und versucht gegen den Marktführer Gardasil Terrain aufzuholen. Inzwischen mehren sich aber Bedenken um die möglichen Risiken der in den HPV-Impfstoffen enthaltenen neuartigen Zusätze, die vor ihrem Einsatz am Menschen gar nicht eigens getestet werden mussten.


2007, gleich im ersten Jahr seiner Zulassung, erreichte Gardasil, der erste Impfstoff zur Vorsorge gegen das Zervix-Karzinom, den Spitzenrang der umsatzstärksten Arzneimittel in Deutschland. Ein Jahr danach brachte der europäische Hersteller GSK sein Konkurrenzprodukt Cervarix auf den Markt. Und seit kürzlich bei der internationalen Papillomaviren-Konferenz in Malmö die ersten direkten Vergleichsdaten präsentiert wurden, ist zwischen den beiden Pharmagiganten Merck (Gardasil) und GSK der Wettstreit um den lukrativen Markt voll entbrannt.
Bei einer von GSK finanzierten Vergleichsstudie der beiden Impfstoffe unter 1.000 Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren erwies sich Cervarix als weitaus immunogener. Es erzeugte einen um das zwei- bis sechsfache höheren Titer neutralisierender Antikörper gegen die beiden wichtigsten HPV-Typen 16 und 18 als Gardasil, sowie fast dreimal so viele Gedächtniszellen. „Diese exzellenten Ergebnisse weisen auf einen lange andauernden Schutz“, freute sich GSK-Sprecher Hugues Bogaerts und bläst mit der Devise „stärker und länger“ nun zur Aufholjagd auf den Marktführer.

Bislang ist es – nach den Studienergebnissen - beiden Arzneimitteln gelungen, die von den HPV-Viren ausgelösten Krebs-Vorstufen an der Zervix-Schleimhaut drastisch zu reduzieren. Die am längsten laufende Studie überblickt derzeit aber erst einen Zeitraum von rund sieben Jahren. Und weil die Mehrzahl der Krebs-Todesfälle in der zweiten Lebenshälfte auftritt, dauert es noch lange Zeit, bis sich konkret nachweisen lässt, dass die Zielgruppe der heute 12 bis 17 jährigen Mädchen dann auch tatsächlich einen relevanten Überlebens-Vorteil hat.


"Da braucht man kein Gehirn…"

Bis heute sind etwa die Hälfte der Mädchen dieser Altersgruppe in Deutschland geimpft. Die Kosten dafür betrugen rund eine halbe Milliarde Euro und werden auf Grund der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für die Impfung von den Kassen übernommen. „Das ist ein absoluter No-Brainer“, argumentierte deren Vorsitzender Heinz-Josef Schmitt damals für die Eil-Aufnahme in den deutschen Impfplan, „da braucht man kein Gehirn dafür, wenn man sich diese Daten ansieht.“
Kritiker sahen dies von Beginn an deutlich weniger rosig. Von „schwacher Datenbasis“ war die Rede, ebenso von „enormer Industrie-Freundlichkeit der STIKO“. Dass Schmitt kurz nach der STIKO-Empfehlung einen Top-Job bei einem Impfstoff-Hersteller annahm und andere STIKO Mitglieder bis heute ungeniert auf der Honorarliste der Konzerne stehen, führte zu einem enormen Ansehensverlust der Expertenkommission.
Den bisherigen Höhepunkt der Kontroverse bildete ein „HPV-Manifest“, das im vergangenen November von 13 deutschen Wissenschaftlern unterzeichnet wurde. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, forderte in der Folge die STIKO in einem detaillierten Fragekatalog auf, zu den einzelnen Kritikpunkten Stellung zu nehmen.
Sehr überzeugend sind die Antworten bislang wohl nicht ausgefallen. Bei der monatlich im Anschluss an die G-BA Sitzungen abgehaltenen Pressekonferenz am 18. Juni in Berlin kritisierte Ulrike Faber, Pharmazeutin und Patientenvertreterin im G-BA die STIKO jedenfalls heftig. Es würden „nur jene Fakten heran gezogen, die in den Kram passen“. Die Schlussfolgerungen seien entsprechend zweifelhaft und widersprüchlich. So würde, folgt man der STIKO „die Impfung fast doppelt so viele Fälle von Krebsvorstufen verhindern wie möglicherweise überhaupt vorkommen“, sagte Faber.
Bleiben die gravierenden Einwände an der Argumentation der STIKO bestehen, könnte der G-BA die Impfung auch wieder aus dem Erstattungskatalog der Kassen herausnehmen. „Sobald die umfassende Antwort der STIKO vor liegt“, erklärt Kai Fortelka, Pressesprecher des G-BA, „berät das bei uns sofort der zuständige Ausschuss.“ Die Entscheidung sei eine Frage weniger Wochen.


"Dirty little secret"
Während sich bislang die Debatte vor allem auf die Wirksamkeit konzentrierte, wird nun zunehmend auch die Sicherheit der HPV-Impfstoffe zum Thema. Gardasil und Cervarix unterscheiden sich vor allem durch die Funktionsweise ihrer Hilfsstoffe. Diese so genannten Adjuvantien werden in etwa drei Viertel aller Impfstoffe eingesetzt, weil sie ansonsten gar nicht, oder deutlich schlechter wirken würden.
Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Aluminium-Verbindungen. Bereits 1931 publizierte Alexander Thomas Glenny seine Entdeckung eines an Aluminiumhydroxid gebundenen Diphtherie-Impfstoffs. Trotz dieser enormen Anwendungserfahrung ist das Verständnis der Wirkmechanismen der Aluminiumsalze auf das Immunsystem bis heute noch weitgehend ungeklärt. Charles Jeneway Jr., Immunologe der Yale University in New Haven bezeichnete Aluminium deswegen als „dirty little secret“, als „schmutziges kleines Geheimnis“ der Immunologen.

Der Vorteil von Aluminiumsalzen ist, dass sie als Immunreaktion eine starke Antikörperbildung hervorrufen. Danach wird in den meisten Studien auch die Wirksamkeit der Impfungen bemessen. Die ebenso wichtige zelluläre Immunantwort stimulieren die meisten Adjuvantien hingegen nur gering. „Dadurch können sie das immunologische Gleichgewicht langfristig beeinträchtigen“, erklärt der Wiesbadener Impfschadens-Gutachter und langjährige Mitarbeiter des Paul Ehrlich Institutes, Klaus Hartmann.
Wie groß dieses Risiko konkret ist, kann derzeit nicht seriös beantwortet werden, weil es - aus ethischen Gründen - kaum Vergleichsstudien zwischen Geimpften und Ungeimpften gibt. „Aber selbst dort, wo dies möglich gewesen wäre, wurde die Chance von den zuständigen Behörden nicht genützt“, kritisiert Hartmann.

Aluminium-Verbindungen unter Verdacht
Tatsächlich wurde in den großen Zulassungsstudien von Gardasil und Cervarix mit ihren insgesamt mehr als 40.000 Teilnehmerinnen die Impfstoffe nicht gegen physiologisch neutrale Salzwasser-Lösungen getestet, sondern entweder gegen andere Aluminium-haltige Impfungen oder gleich gegen eine pure Wasser-Aluminium-Lösung. Kritiker, wie der Aluminium-Experte Christopher Exley von der britischen Keele University finden dies fahrlässig, „weil Aluminium-Verbindungen bei zahlreichen Autoimmun-Prozessen unter Verdacht stehen.“
Auf Geheiß der US-Behörde FDA musste in die Produktinformation von Gardasil der Hinweis aufgenommen werden, dass bei jeder 43. Teilnehmerin der Studien Krankheiten mit möglicherweise autoimmunem Hintergrund neu aufgetreten sind. In der deutschen Fachinformation ist davon nichts zu lesen.

Sowohl von STIKO als auch von Behördensprechern kam umgehend Entwarnung. Die Aluminium-haltigen Adjuvantien, hieß es stereotyp, würden schließlich schon seit Jahrzehnten Milliardenfach angewendet und hätten ihre Sicherheit klar demonstriert.

„Übersehen wurde dabei allerdings, dass sowohl in Gardasil als auch in Cervarix relativ ungewöhnliche und neuartige Hilfsstoffe enthalten sind“, kritisiert Klaus Hartmann. Der Konzern GlaxoSmithKline (GSK) setzt auf die Alarmpotenzial von Salmonellen und verwendet für sein „Adjuvant System 04“ (AS04) Monophospholipid (MLP), eine gereinigte Fettverbindung, die aus der Oberfläche von Salmonellen isoliert wurde (siehe Interview). Aluminiumhydroxid wird auch bei AS04 noch benötigt, allerdings nur als eine Art Mörtel, der die HPV-Antigene und MLP bindet und an der Injektionsstelle festhält. Auch im Konkurrenz-Produkt Gardasil ist mit Aluminium Hydroxyphosphat Sulfat eine verstärkte Aluminium-Verbindung enthalten, die mit den traditionell verwendeten Substanzen wenig gemeinsam hat.
Beide Substanzen kamen nach einer kurzen Testphase im Labor, sowie in Tiermodellen gleich unmittelbar in die Impfstoffe. Eigene Sicherheitstests am Menschen sind bei Adjuvantien generell nicht vorgesehen.

Foto by fortinbras (Creative Commons)




„Exzellente Ergebnisse“

Interview mit Hugues Bogaerts, dem für Cervarix zuständigen Produktmanager des belgischen Konzerns GSK über das neuartige Wirksystem seines Impfstoffes gegen Humane Papillomaviren.

Ehgartner: In einer Vergleichsstudie zwischen den beiden HPV-Impfstoffen hat Ihr Produkt Cervarix eine deutlich stärkere Immunantwort erzielt als der Marktführer Gardasil. Wie erreichten Sie diesen Effekt?

Bogaerts:
Mit der herkömmlichen Impf-Technologie sind wir an Limits gestoßen. Für manche Krankheiten gibt es noch immer keine Impfungen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen braucht es einen starken Immun-Booster. Davon hängt es ab, ob eine Impfung funktioniert und wie lange der Schutz anhält. Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren intensiv mit innovativen Adjuvant-Systemen und haben für unsere HPV-Impfung mit dem Produkt AS04 eine adäquate Methode entwickelt.

Ehgartner: Wie unterscheidet sich dieser Hilfsstoff von den bisher hauptsächlich verwendeten Aluminium-Verbindungen?

Bogaerts: AS04 enthält als wirksamen Bestandteil MPL, das ist ein gereinigtes bakterielles Fett aus der Zellwand von Salmonellen. Diese sind bekannt dafür, dass sie eine sehr starke Immun-Antwort auslösen. Tatsächlich ist MPL sogar zu stark, so dass wir die Substanz chemisch anpassen mussten, um sie überhaupt in Impfstoffen verwenden zu können. Wir haben bestimmte Teile dieser recht großen Moleküle abgeschnitten, um die toxische Wirkung zu reduzieren.

Ehgartner: Warum verwenden Sie in Cervarix trotzdem noch immer Aluminium?

Bogaerts: Aluminium brauchen wir als eine Art Mörtel, um alle Bestandteile der Impfung an der Injektionsstelle zusammen zu halten. Wenn man den Impfstoff tief in den Muskel injiziert, so bleibt er - dank des Aluminiums - dort, und es gibt einen regen Austausch mit den Zellen des Immunsystems.

Ehgartner: In den USA ist Cervarix noch immer nicht zugelassen. Es heißt, dass die Arzneimittelbehörde FDA wegen Ihres neues Adjuvant-Systems Bedenken hatte und zusätzliche Sicherheits-Daten verlangt hat?

Bogaerts: Nein, es gab keine Probleme. Wir haben als europäischer Konzern mit unseren vorläufigen Resultaten zuerst bei der Europäischen Behörde EMEA eingereicht. In den USA haben wir eine enorme Wettbewerbs-Situation, weil sich unser Konkurrenzprodukt Gardasil bereits seit drei Jahren am Markt befindet. Also überlegten wir, unser Produkt mit den bestmöglichen Daten zu präsentieren und auf die fertigen Resultate der Studien zu warten. Wir haben nun exzellente Ergebnisse präsentiert und erwarten die Zulassung in den USA für Ende des Jahres.

Ehgartner: Welche Studien sind denn nötig, um ein neues Adjuvans lizensieren zu können?

Bogaerts: Die meisten Tests werden ‚in vitro‘ im Labor durchgeführt. Aber es gibt auch bestimmte Tiermodelle. Eigene Sicherheitsstudien am Menschen sind bei einem neuen Adjuvans nicht vorgesehen. Das wird in den großen klinischen Studien gleich in der fertigen Impfstoff-Kombination getestet.

Ehgartner: Warum haben Sie hier in den Kontrollgruppen keine physiologisch neutrale Salzwasser Lösung als Placebo verwendet, sondern entweder eine andere Impfung oder eine Aluminiumhydroxid-Wasser-Verbindung?

Bogaerts: Wir hätten das in der Tat mit einem Salzwasser-Placebo vergleichen können. Aber wir sind nach dem Prinzip vorgegangen, dass wir Cervarix mit dem "standard of care" vergleichen. Also mit dem, was derzeit den allgemeinen Standard bei Impfstoffen darstellt.


Der Mediziner Hugues Bogaerts ist in der Zentrale des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) in Rixensart (Belgien) für den HPV-Impfstoff Cervarix, das Konkurrenzprodukt des Marktführers Gardasil (Sanofi Pasteur MSD), zuständig.

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