Donnerstag, 29. April 2010

Die neuen Pneumokokken-Impfstoffe

Seit kurzem werden Synflorix und Prevenar 13 als neue Pneumokokken-Impfstoffe angeboten. Das enorme Blockbuster-Potenzial von Prevenar 13 war der Hauptgrund für eine der größten Übernahmen in der Pharmabranche. Pfizer, der weltgrößte Konzern übernahm kürzlich den Prevenar-Hersteller Wyeth zum Preis von 68 Milliarden US-Dollar.
Prevenar ist ursprünglich 2000 zur Prävention invasiver Pneumokokken-Erkrankungen zugelassen worden. Wyeth verfolgte dabei eine enorm riskante Taktik, indem es Prevenar zu einem bis dato nicht üblichen, enorm hohen Preis von mehr als 100€ pro Spritze anbot. Die Pneumokokken-Impfung kostete damit doppelt so viel als alle anderen empfohlenen Impfungen zusammen.

Ein recht raffiniertes Marketing Konzept, das auch darauf abzielte, die Politiker unter starken moralischen Druck zu setzen, führte dazu, dass viele Länder die Pneumokokken-Impfung gratis anboten und beim Konzern Wyeth Millionen von Impfstoff-Dosen einkauften, was Wyeth einen Milliardenumsatz bescherte.

Ob die Pneumokokken-Impfstoffe die Krankheits-Häufigkeit bzw. die Sterblichkeit an Pneumokokken-Infektionen tatsächlich günstig beeinflusst haben, ist unklar.
Zum einen werden Jubelmeldungen in die Welt gestetzt, die schwer auf ihre Seriösität einzuschätzen sind, zum anderen hatten die Massen-Impfungen unerwartete Auswirkungen auf die Bakterienwelt. Es wurden nämlich die in der Impfung enthaltenen Serotypen zurück gedrängt. Diese Positionen nahmen jedoch andere Pneumokokken-Typen ein, die ein noch wesentlich problematischeres Riskio bedeuten. Allen voran wurde hier der Pneumokokken-Typ 19A genannt.

Studien aus Spanien legten den Schluss nahe, dass die Impfaktionen mit Prevenar die Pneumokokken-Situation sogar verschlechtert habe.
Eine sorgfältig durchgeführte Fall-Kontroll-Studie (Barricarte A. et al. 2007) ergab beispielsweise, dass die Impfung mit Prevenar das Risiko einer Erkrankung mit den 7 darin enthaltenen Bakterienstämmen um 88 Prozent reduzierte. Gleichzeitig ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass andere Serotypen diese Krankheiten auslösen, um das Sechsfache angestiegen.

Eine ganz aktuelle Arbeit aus den Archives of Internal Medicine vom 26. April 2010 (Metlay JP.) zeigte, dass die Kinderimpfungen auch für Erwachsene ungute Konsequenzen haben.
In einer Übersichtsarbeit in der die Daten von 48 Akut-Krankenhäusern ausgewertet wurden, fand sich im Zeitraum zwischen 2002 und 2008 eine jährliche Reduktion von 29 Prozent bei den sieben in der Impfung enthaltenen Serotypen.
Gleichzeitig nahmen die Erkrankungen mit nicht in der Impfung enthaltenen Pneumokokken-Typen aber um jährlich 13 Prozent zu.

Weil es von diesen Pneumo-Typen wesentlich mehr gibt, führte das insgesamt zu einem Anstieg der Häufigkeit von invasiven Pneumokokken-Erkrankungen:


Am 10. April ist im European Journal of Pediatrics (Chibuk TK) eine weitere interessante Arbeit erschienen. Da heißt es gleich in der Einleitung, dass die Häufigkeit komplizierter Verläufe von Pneumokokken-Lungenentzündungen bei Kindern in den letzten Jahren zugenommen haben.
Chibuk et al. widmen sich der Frage, ob dieser Effekt durch die Pneumokokken-Impfung ausgelöst wurde. Dafür analysieren sie alle 102 Fälle komplizierter Verläufe von Lungenentzündungen bei Kindern, die in den letzten zehn Jahren an der Stollery Kinderklinik in Edmonton, Alberta aufgetreten sind.

Dabei ergibt sich, dass in der Vor-Impfära bei 21 Prozent der Kinder, nach Einführung von Prevenar bei 26 Prozent der Kinder Pneumokokken nachgewiesen wurden.
Auch hier war der Verdrängungs-Effekt, den die Impfung unter den Bakterientypen ausgelöst hat, enorm:
Bei den kranken Kindern wurden nach Einführung von Prävenar achtmal häufiger Bakterienstämme gefunden, die nicht in der Impfung enthalten waren.
Insgesamt zeigte sich in der Arbeit ein nicht-signifikanter Trend zu einer Zunahme bei den komplizierten Pneumonien nach Einführung der Pneumokokken-Impfung.

Zum Abschluss ringen sich die Autoren noch Worte der Hoffnung ab:

Obwohl es nicht klar ist, dass dieser Anstieg bei den komplizierten Pneumonie-Verläufen durch die Pneumokokken-Impfung verursacht wurde, hat die Ausdehnung der in den Impfungen enthaltenen Serotypen nun das Potential, komplizierte Pneumonie-Verläufe zu reduzieren.

Da wollen wir doch die Daumen drücken.

Zwei Firmen brachten neue Pneumokokkenimpfungen auf den Markt: Das Produkt Synflorix von GSK richtet sich gegen 10 Pneumokokken-Stämme, darunter die alten Prevenar-Stämme 4, 6B, 9V, 14, 18C, 19F und 23 F, sowie die neuen Stämme 1, 5 und 7F.
Prevenar 13 toppt das noch mit den zusätzlichen Typen 3, 6A und 19A.
Die Hersteller von Synflorix verlassen sich bei 6A und 19A scheinbar auf die Crossreaktivität ihres Impfstoffes: Dass sie also trotzdem einen gewissen Immunschutz bietet, obwohl die konkreten Serotypen in der Impfung selbst nicht enthalten sind. Das ist zweifellos ein gewisser Wettbewerbs-Nachteil für das GSK-Produkt.

Das arznei-telegramm, ein kritischer Pharma-unabhängiger Informationsdienst für Ärzte und Apotheker, den ich sehr gut finde, hat in der aktuellen Ausgabe die beiden neuen Pneumokokken-Impfstoffe untersucht und bewertet.

Hier die wichtigeren Ergebnisse:

  • Der Schutzeffekt vor invasiven Pneumokokken-Erkrankungen wurde nicht klinisch geprüft. Es wurde lediglich ein Vergleich der Immunantwort mit Prevenar gemacht.
  • Nach Einschätzung der europäischen Arzneimittelbehörde ist auf Grund ergänzender immunologischer Untersuchungen die Wirksamkeit der in den neuen Produkten zusätzlich enthaltenen Serotypen 1, 3, 5 und möglicherweise auch 19 A fraglich.
  • Prevenar 13 wurde in einer anderen Version wissenschaftlich getestet als es jetzt am Markt ist.
  • Es gibt derzeit keine wirklich objektiven Kriterien, einen der beiden Produkte hervorzuheben. Ob Synflorix oder Prevenar 13 gewählt wird, ist demnach Geschmackssache.
  • Beide Impfstoffe wurden auch zur Vorbeugung von Mittelohrentzündung zugelassen. Das ist nach Ansicht der Experten des Arznei-Telegramm überhaupt nicht nachvollziehbar.
  • Ob die neuen Impfstoffe dem alten Prevenar-Impfstoff überlegen sind, sei ebenfalls fraglich. "Selbst klinische Gleichwertigkeit mit Prevenar", heißt es im arznei-telegramm, "steht unseres Erachtens in Frage."

Freitag, 23. April 2010

Pap-Abstriche: "Viele Ärzte verstehen die biologischen Hintergründe nicht"

Die Grazer Sozialmedizinerin Eva Rasky über die fragwürdige Qualität der hiesigen Pap-Abstriche, gynäkologische Standesinteressen und ihre Hoffnung auf  Schadensbegrenzung für die Frauen.

Ehgartner: Was würde denn ein Programm zur Früherkennung des Zervix-Karzinoms – also ein organisiertes Pap-Screening den Frauen bringen?

Rásky: Man könnte endlich auf allen Ebenen Qualitätssicherung einführen und die bestehenden Mängel beheben. Es gibt etwa keine wissenschaftliche Grundlage dafür, bei den Frauen so häufig den Abstrich zu machen. Eine Frequenz von sechs bis zwölf Monaten ist international längst nicht mehr zeitgemäß. Viele gynäkologische Fachvertreter geben ja auch zu, dass die jährlichen Kontrollen deshalb beibehalten werden sollen, weil die Qualitätsmängel bekannt sind.  

Ehgartner: Auf der Homepage der Gynäkologen-Gesellschaft klingt das aber ganz anders: Da wird das kurze Untersuchungs-Intervall als Garant dafür genannt, dass kein Zervix-Karzinom übersehen wird.

Rásky: Das ist dadurch nicht sicher gewährleistet. Auch wenn ich regelmäßig zum Abstrich gehe, habe ich keine Sicherheit, dass ich kein Karzinom bekomme. Das liegt am Pap Abstrich. Es gibt keinen Früherkennungstest der 100% sicher ist. Außerdem kann es neben der Beurteilung des Pap-Abstriches auch Abnahmefehler des Gynäkologen geben. Das halbjährliche Intervall bietet also keine Sicherheit, dass nicht doch etwas übersehen wird und gleichzeitig erhöht es das Risiko, dass bei den Frauen Fehlalarm ausgelöst und übertherapiert wird.

Ehgartner: Von Gynäkologen hört man die Sorge, dass eine Verlängerung der Frequenz schlecht für das Geschäft wäre, weil ja der Krebsabstrich für Frauen einer der wichtigsten Anlässe ist, zum Gynäkologen zu gehen.

Rásky: Das ist tatsächlich ein Problem. Das Screening ist eine der Haupteinnahmequellen von Gynäkologen, weil ja dabei zusätzlich Diagnose und Therapie durchgeführt werden kann, etwa eine Ultraschalluntersuchung. Aber prinzipiell muss die Frage gestellt werden, welches Interesse höher zu bewerten ist. Wenn ausschließlich niedergelassene Ärzte bestimmen, wie die Früherkennung gestaltet wird, dann zeigen die Befunde in Österreich, dass die Qualitätssicherung leider zu kurz kommt.

Ehgartner: Finnland hat 5-Jahres-Abstände beim Pap-Abstrich und gleichzeitig wird nur halb so oft ein Zervix-Karzinom diagnostiziert wie bei uns. Wie ist das erklärbar? Unterscheiden sich die finnischen Frauen biologisch so stark von Österreicherinnen? Ist es denkbar, dass die Hälfte der Krebsdiagnosen auch bei uns wieder verschwinden würden, wenn man nicht so oft nach sieht?

Rásky: Insgesamt gibt es ein Nord-Süd und ein Ost-Westgefälle in den Inzidenzen. Aber natürlich ist ein Teil dadurch zu erklären. Je häufiger sie Abstriche nehmen, desto häufiger haben sie Krebs-Fehlalarm.  

Ehgartner: Liegt das daran, dass Infektionen mit den humanen Papillomaviren auftreten und dann wieder verschwinden?

Rásky: Das Risiko Krebs zu entwickeln ist bei über 35jährigen Frauen mit lang andauernder HPV-Infektion höher als ohne Infektion. Die Infektion entwickelt sich in der Regel spontan zurück und damit auch die Zellveränderungen. Daher wird ein HPV-Test für Frauen unter 35 Jahren heute generell nicht empfohlen. In dieser Altersgruppe bestehen häufig akute Infektionen und dadurch bewirkte Zellveränderungen, die sich aber spontan wieder zurückbilden. Zu häufig würde die Testung daher zu einer Beunruhigung der Frauen führen. Das hätte auch nur den Effekt, dass alle aufgeschreckt sind und die Frauen beispielsweise glauben, dass der Partner fremd gegangen ist und sie deshalb jetzt Krebs kriegen.

Ehgartner: Man erzeugt also eine starke Verunsicherung.

Rásky: Ja. Die Vielzahl der abnormen Test-Resultate mit Ergebnis Pap III und höher ist eines der Hauptargumente für ein organisiertes Screening. Bevor in Großbritannien die Qualitätssicherung gemacht wurde, kamen auf einen vermiedenen Todesfall am Zervix-Karzinom 1.955 auffällige Pap-Befunde. Heute im qualitätsgesicherten Programm konnte das auf 150 reduziert werden.

Ehgartner: Es gibt also zehnmal weniger Fehlalarm und dementsprechend weniger unnötige Eingriffe?

Rásky: Ja, in Österreich führt die Feststellung der Veränderungen jährlich zu etwa 5000 Konisationen – das sind unter Narkose durchgeführte Operationen an der Zervix. Damit steigt das Risiko der Frauen eine Frühgeburt zu erleiden.

Ehgartner: In Finnland gilt ein Mindestalter von 30 Jahren für den ersten Pap-Abstrich. In England und den Niederlanden liegt es im Schnitt bei 25 Jahren. Wie steht denn derzeit bei uns die Diskussion dazu.   

Rásky: Die Realität in Österreich ist oft, dass der erste Abstrich bei der ersten Pillenverschreibung abgenommen wird. In dieser Altersgruppe kommt es selten zu einem Krebs. Die Früherkennung ist daher vom Kosten-Nutzen Verhältnis ungünstig. Daher testet man in den Ländern mit organisiertem Screening in dieser jungen Altersgruppe nicht. In Österreich ist es jedoch in allen Köpfen verankert, dass Screening auf jeden Fall gut ist. Auch viele Ärzte verstehen die biologischen Hintergründe und die Probleme die Früherkennung auch verursachen kann, leider nicht.

Ehgartner: Finnland hat die Gynäkologen von der Abstrich-Abnahme ausgeschlossen, weil die Standesvertretung Schulungen verweigert hat.

Rásky: In Großbritannien nimmt auch dafür geschultes diplomiertes Personal die Pap Abstriche ab. Wenn ich die Qualität der Abstriche sichern will – und sich die Ärzte nicht dazu bewegen lassen, daran mit zu arbeiten, so muss ich mir eine andere Berufsgruppe suchen, welche die Qualitätskriterien erfüllt.  Im Zuge der Diskussion um die Ärzteknappheit wäre es auch eine Überlegung wert, ob es wirklich notwendig ist, ein so qualifiziertes Personal wie es Ärzte sind, diese Routinetätigkeit des Abstrichs durchführen zu lassen.


Éva Rasky, (54), ist Allgemeinmedizinerin, Fachärztin für Sozialmedizin und stellvertretende Leiterin des Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universtität Graz. Ihr Forschungschwerpunkt liegt in der Prävention und der Frauengesundheit. Rasky war leitend an der von den österr. Sozialversicherungen initiierten „Qualitätsoffensive Pap-Abstrich“ beteiligt, deren Umsetzung derzeit auf Eis liegt. 
Dieses Gespräch ist die Langversion eines Interviews, das in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Profil (16/2010) abgedruckt ist. Der Begleittext ist online nicht verfügbar, entspricht aber in etwa diesem Blogbeitrag.

Mittwoch, 21. April 2010

Vorsorge mit Abstrichen - oder: Das Geheimnis der Finnen

Bereits 15-Jährige erhalten in Österreich den „Krebsabstrich“ zur Früherkennung eines Zervix-Karzinoms und fortan gilt dieser als fixer Bestandteil eines Gynäkologen-Besuchs. In Deutschland ist der Abstrich ab einem Alter von 20 Jahren Teil der jährlichen gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung.
Speziell bei jüngeren Frauen sind Veränderungen am Gebärmutterhals sehr häufig und bilden sich normalerweise von selbst wieder zurück. Wird in dieser Zeit regelmäßig der "Krebsabstrich" vorgenommen, so ergibt sich in der Folge häufig Krebsalarm. Die Folge sind zahlreiche Konisationen, "vorsorgliche" Operationen an der Gebärmutter. In Österreich liegt die Zahl dieser Eingriffe jährlich zwischen 5.000 und 6.000, in Deutschland beim Zehnfachen. Konisationen erhöhen das Risiko einer späteren Frühgeburt stark.
Im Vergleich zu den deutschsprachigen Ländern setzt Finnland beim Zervix-Karzinom auf ein ganz anderes System. Im staatlichen finnischen Programm gilt für die Teilnahme ein Mindestalter von 30 Jahren. Anstatt alle sechs bis zwölf Monate werden in Finnland die Frauen im Abstand von fünf Jahren (!) zum Krebsabstrich eingeladen.
Und trotz dieser fahrlässig seltenen Untersuchungsintervalle haben deutsche oder österreichische Frauen ein dreifach höheres Risiko am Zervix-Karzinom zu sterben, als finnische Frauen
Wie ist so ein paradoxes Ergebnis möglich?
Ich unternehme den Versuch einer Analyse.


Was beim Pap-Abstrich schief gehen kann

Die Grazer Medizinsoziologin Sylvia Groth staunte nicht schlecht, als sie kürzlich Post von ihrer Gynäkologin bekam. Im Kuvert steckten die beiden letzten Befunde ihres routinemäßigen Krebsabstriches zur Früherkennung eines Zervix-Karzinoms. Die Laborbefunde waren mehrere Jahre alt, ein Anlass für die Zusendung war nicht ersichtlich. Als Groth die Befunde genauer ansah, war es mit der guten Laune rasch vorbei. Sie war davon ausgegangen, dass die Untersuchung ergeben hatte, dass alles normal war. Nun aber sah sie, dass das Labor ihrer Gynäkologin in beiden Fällen mitgeteilt hatte, dass der eingesandte Gebärmutter-Abstrich leider unbrauchbar sei, „weil er zu wenige Zellen enthält“.
„Pap 0“ steht in solchen Fällen auf dem Befund. „Pap“ ist das Kürzel für die Methode des griechischen Arztes George Papanicolaou, der 1928 den „Pap-Abstrich“ entwickelte. Dabei werden Zellen des Gebärmutterhalses mit einer kleinen Bürste oder einem Spatel abgestrichen, gefärbt, fixiert und schließlich im Labor auf ihre Beschaffenheit analysiert. Im Normalfall sollte der Befund eine Ziffer zwischen römisch eins (alle Zellen gesund) und römisch fünf (Krebsbefund) ergeben. Bei „Pap 0“ wäre es nötig gewesen, die betreffende Frau anzurufen, das Missgeschick zu erklären und baldmöglich zu einem nochmaligen Abstrich einzuladen.

Dass ihr eigener Fall alles andere als ein Ausreißer war, erlebt Sylvia Groth (Foto links) fast jeden Tag als Leiterin des Grazer Frauengesundheitszentrums. Viele Gynäkologen haben Probleme mit der Abnahme-Technik, und schicken einen Abstrich zur Auswertung ins Labor, in dem nicht genügend Zellen vorhanden sind, um eine Aussage-kräftige Bewertung vorzunehmen. Daraus ergibt sich das Risiko, dass Krebs-Vorstufen übersehen werden. Offenbar genieren sich aber manche Ärzte, Ihr Missgeschick zuzugeben und warten einfach bis zum nächsten Abstrich-Termin.
Die nächste Herausforderung, an der die meisten Gynäkologen scheitern, ist die richtige Vermittlung der Bedeutung des Abstrich-Ergebnisses. „Viele Frauen kommen völlig verzweifelt zu uns, weil sie glauben, sie sind schwer an Krebs erkrankt“, sagt Groth. „Dabei zeigt ihr Befund eine Zellveränderung, die sich auch wieder zurückentwickeln kann.“

In Österreich gehört der Pap-Abstrich zur Routine fast jeden Gynäkologen-Besuchs. Oft erfolgt der erste Abstrich bereits mit 15 Jahren und dann regelmäßig alle sechs Monate, wenn beispielsweise ein neues Rezept für die Pille abgeholt wird. In keinem Land wird der Abstrich häufiger durchgeführt. Offizielle Richtlinien gibt es nicht. Ein derartiges System wird als „graues“ oder „wildes Screening“ bezeichnet, als eine Reihenuntersuchung ohne Zugangskontrolle: Jeder Gynäkologe kann jede Frau jederzeit untersuchen und den Abstrich den Kassen verrechnen, jedes Labor kann die Zellen begutachten und Befunde erstellen. „In Österreich ist in den Köpfen verankert, dass Screening auf jeden Fall gut ist“, sagt die Grazer Sozialmedizinerin Éva Rásky.
Das Risiko einer Überbehandlung von Krebs-Vorstufen, die sich von selbst wieder zurückgebildet hätten, werde weitgehend ignoriert.


Betrug ohne Schaden

Wie real die Möglichkeit ist, dass die Veränderungen der Zervix von selbst ausheilen, zeigte ein
eigenartiger Vorfall, der sich vor rund zehn Jahren in der Praxis eines Gynäkologen aus Linz ereignete.
„Es ist unbegreiflich, aber es ist passiert“, fasste der Richter am Landesgericht Linz die Lage zusammen. Und damit meinte er sowohl den Hergang des Verbrechens als auch dessen Auswirkungen. Angeklagt war die damals 33-jährige Astrid S., die als Arzthelferin bei einem Linzer Gynäkologen beschäftigt war. Eine ihrer Aufgaben war es, den Frauen unangenehme Befunde mit zu teilen, die in Folge des so genannten Pap-Abstrichs zur Früherkennung des Zervixkarzinoms erstellt wurden. Die sensible Arzthelferin brachte es jedoch irgendwann nicht mehr übers Herz, „den armen Frauen zu sagen, dass sie krank sind“. Statt die Patienten mit Krebsverdacht und damit notwendig gewordenen diagnostischen Eingriffen oder Therapien zu belasten, begann sie, die Befunde zu fälschen oder ließ sie tief im Archiv verschwinden.
Nach sechs Jahren hielt sie den Stress nicht mehr aus, kündigte und zog nach Wien. Ihr Verbrechen flog auf, als sich die Mitarbeiterin eines Labors beim Gynäkologen erkundigte, wie es einer Patientin geht, bei der sie vor Monaten an Hand des Pap-Abstrichs Krebs diagnostiziert hatte. Entsetzt stellte der Arzt fest, dass der Befund in der Krankenakte schlummerte, die betroffenen Frau davon aber nie etwas erfahren hatte. Insgesamt fanden sich 99 ähnliche Fälle. Alle Frauen wurden vorgeladen und untersucht. Das erstaunliche Ergebnis des medizinischen Gutachtens: Bei keiner einzigen Betroffenen ist durch die Verschleppung der Behandlung Schaden entstanden. Im Gegenteil: Die meisten Krebsvorstufen waren bei der Nachuntersuchung verschwunden. Nur in sechs Fällen musste eine Konisation, das ist die vorsorgliche Entfernung des verdächtigen Gewebestückes, vorgenommen werden. Doch dies wäre bei wesentlich mehr Frauen geschehen, wären diese sofort behandelt worden. Ein konkreter akuter Krebsbefund löste sich gar in Luft auf. Der Gutachter tippte auf Spontanheilung. In keinem einzigen Fall wurde ein fortgeschrittenes Krankheitsbild festgestellt. Das Urteil für die ehemalige Arztsekretärin fiel dementsprechend milde aus: Sie erhielt fünf Monate auf Bewährung sowie eine symbolische Geldstrafe von 700 Euro.
Nachdem das Urteil ergangen war, ereignete sich etwas nicht Alltägliches. Im Gerichtssaal anwesend war nämlich eine der „betrogenen“ Patientinnen des Gynäkologen, und sie bedankte sich bei der Arzthelferin überschwänglich für deren kriminelle Aktion. Sie war nämlich eine der Frauen, die bei der Nachuntersuchung vollständig gesund waren. „Wenn Sie damals den Befund nicht hätten verschwinden lassen“, sagte sie und umarmte dabei die Täterin, „wäre ich operiert worden und hätte mich einer Krebstherapie unterziehen müssen.“
Dieser Prozess ging als Kuriosum in die Annalen der Medizingeschichte ein. Konsequenzen zur qualitativen Verbesserung der Zervixkarzinom-Früherkennung, die unzählige Frauen mit Krebsalarm und unnötigen Eingriffen belastet, wurden jedoch bis heute nicht gezogen.


Das Finnische Programm

Geradezu nachlässig im Vergleich zur österreichischen Praxis erscheint etwa das staatliche finnische Früherkennungsprogramm, das bereits 1963 gestartet wurde und seit 1970 als organisiertes Screening landesweit läuft. Von Beginn an wurde es wissenschaftlich begleitet. Durch diese ständige Qualiätskontrolle ergaben sich Anpassungen, um es in seiner Wirkung zu optimieren. So wurde für die Teilnahme ein Mindestalter von 30 Jahren festgelegt. „Der Grund liegt schlicht darin, dass sich bei den jüngeren Frauen nahezu alle Krebsvorstufen auf natürliche Weise wieder zurückbilden“, erklärt Ahti Anttila vom staatlichen Krebsregister in Helsinki.
Ungewöhnlich scheint für heimische Verhältnisse auch das finnische Untersuchungsintervall. Es wurde 1999 von drei auf fünf Jahre ausgedehnt. „Wir ernten diesbezüglich immer viel Verwunderung bei ausländischen Gynäkologen“, berichtet Anttila. „Es fällt scheinbar ziemlich schwer, die eigentlich recht simple Tatsache zu verstehen, wie sich Krebs im Zeitverlauf entwickelt.“ Anttila verweist darauf, dass es nach den Ergebnissen des finnischen Programms mindestens zehn Jahre dauert, bis eine Krebsvorstufe in ein invasives Zervix-Karzinom übergeht. „Deshalb genügt ein Intervall von fünf Jahren vollauf, um damit dieselbe Sicherheit zu bieten wie mit einem kürzeren Intervall.“
Frauen werden namentlich angeschrieben und zum Pap-Abstrich eingeladen. Das habe, so Anttila, den Effekt, dass nicht nur die besonders gesundheitsbewussten Frauen untersucht werden, sondern auch jene erfasst werden, die tatsächlich ein erhöhtes Risiko haben: „Ältere Frauen, mit Migrationshintergund oder aus niedrigem sozialen Milieu.“Mit diesen Methoden erreichte Finnland unangefochten den ersten Rang bei der Bekämpfung des Zervix-Karzinoms. „In den meisten Jahren“, so Anttila, „haben wir bei Frauen unter 50 Jahren gar keine Todesfälle mehr.“ Im Berichtsjahr 2008 der Statistik Austria war die Diagnose „Zervix-Karzinom“ hingegen bei 30 dieser jüngeren Frauen die offizielle Todesursache. Insgesamt ist das Sterberisiko für österreichische Frauen beinahe dreimal so hoch.


Mehrere Länder haben mittlerweile den finnischen Weg eingeschlagen und ebenfalls ein staatliches Programm geschaffen, darunter Großbritannien und die Niederlande. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass die holländischen Frauen heute bereits am besten Wege dazu sind, zu den finnsichen aufzuschließen.


Ist die HPV Impfung eine Alternative?

Ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit geriet das Zervix-Karzinom vor drei Jahren, als neue Impfungen gegen Humane Papillomaviren auf den Markt kamen. Von diesen „Warzenviren“ gibt es mehr als hundert verschiedene Typen. Sie sind enorm verbreitet, dringen in die Hautzellen des Menschen ein und können dort Veränderungen auslösen, die manchmal als gutartige Wucherungen, eben als Warzen sichtbar werden. So schnell wie die Infekte gekommen sind, verschwinden sie normalerweise wieder – außer, es gelingt dem Immunsystem nicht, die Viren wieder loszuwerden. Besonders gefährdet ist die Zervix, wo die Scheidenhaut auf die Schleimhaut der Gebärmutter trifft. Chronische HPV-Infektionen gelten demnach als Auslöser des Zervix-Karzinoms.
Der Deutsche Virologe Harald zur Hausen wurde für die Aufklärung des Zusammenhangs mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Die beiden am Markt erhältlichen Impfungen Gardasil und Cervarix wirken gegen die HPV-Typen 16 und 18, die an 70 Prozent aller Karzinome beteiligt sind. Gardasil stieg gleich 2007, im Jahr seiner Erstzulassung in Deutschland mit einem Umsatz von fast 300 Millionen Euro zum meistverkauften Arzneimittel auf. Die für alle Mädchen im Alter von zwölf bis 17 Jahren empfohlene Impfung wird von den Kassen bezahlt. In manchen Regionen Deutschlands ist bereits mehr als die Hälfte der Zielgruppe geimpft. Beide am Markt erhältlichen Impfungen enthalten neuartige Wirkverstärker, deren Nebenwirkungsrisiko weitgehend unbekannt ist. Diese Thematik wurde in diesem Blog schon mehrfach erörtert.

Ganz anderes als in Deutschland entwickelte sich die Lage in Österreich. Die frühere Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky wollte die mit einem Preis von rund 450 Euro für die Grundimmunisierung extrem teuren Impfungen nicht öffentlich ankaufen. Stattdessen, erklärte Kdolsky, werde sie in die qualitative Verbesserung des Früherkennungsprogramms investieren. Mit dem Ressortwechsel zu Alois Stöger verschoben sich die Prioritäten – und so gibt es nun weder die Gratisimpfung noch ein verbessertes Screening.

„Beim Pap-Abstrich haben wir mit jährlich rund 1,8 Millionen Untersuchungen ein Plateau erreicht“, sagt Michael Elnekheli, Chef des Bundesverbandes der österreichischen Gynäkologen. Mittel- bis langfristig, hofft der Ärztevertreter, könnte nur die Impfung das Problem des Zervix-Karzinoms lösen. Ein Programm nach dem Vorbild Finnlands lehnt er nicht von vorn herein ab, glaubt aber, dass die Investitionen in die Qualitätssicherung und der Aufwand für die Verwaltung enorm wären. „Von einer organisierten HPV-Impfung erwarte ich mir da wesentlich mehr.“
Die Wiener Ärztin und Public-Health Expertin Brigitte Piso zeigt sich – auch wegen des hohen Preises dieser Impfungen – skeptisch: „Wenn ich aus dem Vorsorgebudget so viel Geld in eine einzelne Maßnahme stecke, muss mir auch klar sein, dass das anderswo fehlt.“ Ein Einsatz von HPV-Tests zusätzlich zum Abstrich könnte bei älteren Frauen jedoch schon Sinn haben. Bei jüngeren Frauen seien die Viren hingegen derart häufig, dass die Messung kaum eine Aussagekraft besitzt.


Problem der Übertherapie

Ein Hauptproblem der derzeitigen Praxis sieht Sozialmedizinerin Rasky in den mehr als 5000 Konisationen, die jährlich in Österreich auf Grund auffälliger Pap-Abstriche durchgeführt werden. „Man kann davon ausgehen, dass es sich in vielen Fällen um eine Übertherapie handelt.“ Eine Konisation ist kein „kleiner“ Eingriff. Sie wird üblicherweise unter Narkose durchgeführt. Dabei entfernt der Arzt verdächtiges Gewebe im Bereich des äußeren Muttermundes in Form eines Kegels. Dadurch steigt das Fehlgeburtsrisiko bei späteren Schwangerschaften deutlich an.
Eine Studie von Max Geraedts, Professor für Gesundheitssystemforschung der Universität Witten-Herdecke, ergab kürzlich, dass 66,4 Prozent von 8236 vorgenommenen Konisationen als „übertherapiert“ anzusehen waren, weil sich bei der nachträglichen Untersuchung der Gewebeproben im Labor jeglicher Krebsalarm als unbegründet erwies. Weit mehr als die Hälfte dieser Eingriffe waren demnach voreilig.In Österreich gibt es keine vergleichbare Arbeit.

Ein standardisiertes Fehler-Management mit Qualitätssicherung auf jeder Ebene zu schaffen und auf das Gesamt-System zu übertragen, ist sicher keine kleine Herausforderung. Derzeit bestehen weder für die Labors verpflichtende Richtlinien, noch bekommen die Gynäkologen ein standardisiertes Feedback, wie hoch der Anteil ihrer unbrauchbaren Pap-Abstriche und der unnötigen Konisationen ist. Der Vergleich mit Finnland unterstützt zudem den Verdacht, dass viele Frauen wegen der zahlreichen Mängel im "wilden Screening" unnötig operiert und sogar als Krebspatientinnen deklariert werden. Wie wäre es sonst möglich, dass in Deutschland und Österreich die Häufigkeit des Zervix-Karzinoms doppelt so hoch liegt wie in Finnland.

Wenn Sylvia Groth in ihren Beratungsgesprächen derartige „Nebenwirkungen“ des derzeitgen „wilden Screenings“ erwähnt, ist die Reaktion der Frauen oft radikal. „Viele sagen mir, sie lassen nie wieder einen Abstrich machen.“ Eigentlich, so Groth, sei das aber eine ganz falsche Reaktion. „Denn in einem guten Programm eingebunden wäre der Abstrich tatsächlich genau das, als das er immer beworben wurde: Eine hervorragende Maßnahme, die Frauenleben rettet.“

Fotocredit: Frauengesundheitszentrum Graz Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, würden 
wir uns über einen kleinen Beitrag zu unserer Arbeit sehr freuen. 

Sonntag, 18. April 2010

Sind wir ohne Arzt gesünder?

So lautete die zentrale Frage, die vergangenen Montag in der puls4 - Talk-Show "Talk of Town" geklärt werden sollte. Thema dieser Sendung ist immer die Cover-Story des Nachrichtenmagazins Profil.
So sah der Cover aus:

In der Story behandle ich die immer absurderen Auswüchse des Gesundheitswahns. Gesund ist demnach wirklich nur mehr, wer nicht ordentlich untersucht worden ist. Dieser zynische Kalauer ist längst Realität geworden.
Hier eine Zusammenfassung der "Talk of Town" Diskussion:



Die in der Sendung gestellte Frage "Sind wir ohne Arzt gesünder" wurde von den Zusehern übrigens recht eindeutig beantwortet: 74% stimmten für "Ja".

Mittwoch, 7. April 2010

Influenza-geimpfte hatten höheres Schweinegrippe-Risiko

Im Frühjahr 2009 - als in Kanadas Schulen die ersten Fälle von H1N1 Infektionen auftraten, fiel auf, dass vor  allem solche Schüler erkrankten, die davor gegen die normale Grippe geimpft worden waren.
Die kanadischen Gesundheitsbehörden gingen dem Verdacht nach und organisierten Studien, die zeigen sollten, ob an diesen Beobachtungen etwas dran ist. Es sind dazu vier verschiedene Studien unternommen worden, die nun in einer Zusammenfassung publiziert wurden.

Und tatsächlich bestätigte sich der Verdacht: Personen, die in der Grippe Saison 2008/09 gegen saisonale Influenza geimpft wurden, hatten ein um das 1,4 bis 2,5 fache höheres Risiko, an der Schweinegrippe zu erkranken.

Warum das so ist, ist unbekannt.
Es erinnert mich aber an einen niederländischen Tierversuch, in der dieser Zusammenhang ebenfalls thematisiert wurde.
Dort hatten die Wissenschaftler fest gestellt, dass das Durchmachen einer normalen Influenza in den Folgejahren einen gewissen Schutz vor neu auftretenden Influenzaviren bietet, weil die Beschäftigung des Immunsystems mit dem viralen Infekt zu einer breiteren Immunität führt als dies eine Impfung bieten kann. Besonders wichtig wäre eine solche durch Krankheit erworbene natürliche Immunität, falls neue Influenza-Viren auftreten sollten, die ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko darstellen.
Im Gegensatz zu Tieren, die bereits eine Influenza durchgemacht hatten, starben im niederländischen Experiment jene Tiere, die über eine Impfung vor dem Ausbruch einer Influenza geschützt wurden, wenn diese dann später mit gefährlichen Viren (in diesem Fall handelte es sich um Vogelgrippe-Viren) konfrontiert wurden.

Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Schweinegrippe für die Kinder in den USA und Kanada ein im Vergleich zu Europa deutlich höheres Sterberisiko darstellte. Möglicherweise hängt dies mit den in Nordamerika gültigen Impfempfehlungen zusammen, wo die jährliche Influenza-Impfung bereits ab einem Alter von sechs Monaten allgemein empfohlen wird. Geimpfte Kinder hätten demnach wesentlich schlechtere Chancen, eine eigenständige breitere Immunität gegen Influenzaviren aufzubauen.

Jene Influenza-Experten, die sich alljährlich ohne wissenschaftliche Absicherung in der Manier von Staubsauger-Vertretern (© Tom Jefferson) an der Ankurbelung der Grippe-Impf-Aktionen beteiligen, sollten also künftig bedenken, dass sie mit ihren Ratschlägen möglicherweise sogar Menschenleben gefährden.