Montag, 28. Juni 2010

Skandal um Rosi

Funktioniert das System der Arzneimittel-Überwachung, oder sind die zuständigen Behörden massiv von Pharma-Lobbyisten unterwandert? Dieser Verdacht drängt sich bei einer aktuellen Affäre auf, in der eine kritische Studie zu einem Milliardenseller am Diabetesmarkt in Verruf gebracht werden sollte. Das kuriose dabei: Sowohl die Autoren der Studie als auch deren potenziellen Saboteure stammen aus dem Umfeld der US-Zulassungsbehörde FDA.

Heute ist auf der Webseite des Journals der Amerikanischen Ärztegesellschaft (JAMA) eine neue Studie zum umstrittenen Diabetes-Medikament Rosiglitazon erschienen, das unter dem Handelsnamen "Avandia" verkauft wird und dem Konzern GlaxoSmithKline jedes Jahr zu Umsätzen in Milliardenhöhe verhilft. Die Studie vergleicht in einer Kohorte von mehr als 200.000 Versicherten der US-Krankenversicherung medicare jene Patienten, die auf Rosiglitazon eingestellt wurden mit jenen die Pioglitazon (Handelsname "Actos"), ein anderes Medikament dieser Klasse bekamen. Studien-Endpunkte waren: Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen und Tod. Das kombinierte Risiko auf einen dieser Endpunkte lag in der Rosiglitazon-Gruppe um 68% höher als in der Kontrollgruppe. Daraus folgt, dass unter 60 Personen, die ein Jahr lang Avandia nehmen, eine Person von einem der unangenehmen Ereignisse betroffen ist.
Avandia war bis 2007 das meistverkaufte Diabetes-Medikament weltweit. Aufgrund beständig schlechter Nachrichten hat sich das etwas abgeschwächt, der Umsatz ist von mehr als drei Milliarden US-Dollar auf rund eine Milliarde gefallen. Das bedeutet aber dennoch noch immer, dass viele Millionen von Avandia-Rezepten ausgestellt werden und nach den Resultaten der Studie Abertausende von Patienten geschädigt werden könnten oder sogar daran sterben.

Die aktuelle JAMA-Studie bringt ähnlich katastrophale Zahlen wie eine Meta-Analyse, die 2007 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde: Damals errechneten Steven Nissen und Kathy Wolski, Herzspezialisten der Cleveland Clinic ein um 43 Prozent höheres Risiko auf Herzinfarkte, verglichen mit herkömmlichen Diabetes-Medikamenten.
Schon damals waren Mitarbeiter von GlaxoSmithKline massiv gegen die Veröffentlichung vorgegangen. Sie hatten Steven Nissen sogar in seinem Büro besucht und mit einer Mischung aus Drohungen und Falschinformationen unter Druck gesetzt. Damit waren sie allerdings an den Falschen geraten, denn Nissen nahm die Gespräche heimlich auf und brachte den Mitschnitt via New York Times an die Öffentlichkeit.

Misteriös ist nun der aktuelle Fall. Bereits Ende Mai war nämlich ein Manuskript der neuen Studie dem Blog Pharmalot des Journalists Ed Silverman zugespielt worden, der dieses auch veröffentlichte. Die mögliche Absicht dahinter: Nach den Bestimmungen der Branche hat eine Studie, die vor der offiziellen Publikation in der Öffentlichkeit erscheint, keine Chance mehr, in einem der angesehenen Journale publiziert zu werden. Der Hauptautor der betroffenen Studie, David Graham, sagte in einem Interview mit dem Online-Portal heartwire: "Ich bin mir – so wie auch die Verantwortlichen des JAMA – sicher, dass diese Aktion ein Versuch von Leuten innerhalb der FDA war, die Publikation meiner Daten zu blockieren. Die Idee dahinter war, dass damit das JAMA die Arbeit nicht veröffentlichen würde und sie ihre Glaubwürdigkeit verliert."
Als Graham bemerkt hat, dass es ein Leck gibt, habe er deshalb sofort einen JAMA-Redakteur angerufen und erklärt, dass es einen "Akt von Sabotage" gegeben hat. Die Verantwortlichen des Journals glaubten seiner Darstellung und reagierten mit der online Vorab-Veröffentlichung der Studie auf der offiziellen Website.

Mal sehen, ob die Behörden den vielfachen Forderungen nach einem Verbot von Rosiglitazon weiter widerstehen, wenn Mitte Juli dazu ein FDA-Meeting stattfindet, bei dem unter anderem auch Nissen und Graham geladen sind.
Nissen und Wolski haben – aus Anlass dieses als entscheidend für die Zukunft des Medikaments angesehenen Meetings – ihre Meta-Analyse noch einmal aktualisiert. Die Ergebnisse sind unter dem Titel Rosiglitazone Revisited ebenfalls heute auf der Website der Archives of Internal Medicine erschienen und poolen die Daten aus 56 Studien mit insgesamt 35.532 Teilnehmern, von denen 19.509 Avandia bekommen haben. Das Medikament erhöhte laut den Ergebnissen das Risiko für Herzinfarkte von 28 auf 39 Prozent. Wenn 45 Personen über fünf Jahre Avandia nehmen, erleidet im Schnitt eine davon einen Herzinfarkt, der laut Kalkulation der Wissenschaftler auf das Medikament zurückzuführen ist.

GlaxoSmithKline begegnete diesen Vorwürfen bisher mit dem Argument, dass es eine ganze Reihe von Studien gebe, die kein höheres kardiovaskuläres Risiko zeigen und die Interpretation der Avandia-Kritiker auch ein Irrtum sein könne.
Die Europäischen Arzneimittel-Behörden hatten sich bislang - ebenso wie ihre Kollegen aus den USA - dieser Sichtweise angeschlossen und keine Veranlassung gesehen, der Sicherheit der Patienten gegenüber den Intentionen der Herstellerfirma den Vorrang zu geben.

Wie oberflächlich die Vertreter der Deutschen Behörden hier agieren, demonstrierte Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einem sehenswerten Beitrag des ARD-Magazins Kontraste.
Steven Nissen, Autor der erwähnten Meta-Analyse, erklärt zuvor:
Es gibt keinen Langzeitnutzen von Avandia, es gibt keinen Nutzen in Vergleich zu anderen Diabetesmedikamenten. Es ist Zeit, das Mittel vom Markt zu nehmen. Ehrlich gesagt, hätte das schon 2007 passieren müssen. 

Die Deutsche Behörde stützt sich - anstatt auf Nissens unabhängige Arbeit lieber auf eine Studie, die vom Avandia-Hersteller bezahlt wurde. Darauf angesprochen entwickelt sich folgender Dialog:
Kontraste:
Hat Sie der Bericht nicht interessiert, um zu sehen, welche Methoden angewandt wurden, was bekannt war und was nicht?

Ulrich Hagemann:
Er hat mich schon interessiert, aber…

Kontraste:
Aber gelesen haben Sie ihn noch nicht?

Ulrich Hagemann:
Nein, ich habe ihn nicht gelesen. 

Für den unabhängigen Arzneimittelexperten Wolfgang Becker Brüser ist Avandia ein typischer Beleg, dass das System der Arzneimittelüberwachung nicht funktioniert:
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber "arznei-telegramm":
Dringend notwendig ist eine öffentliche Diskussion zu den Zulassungspraktiken der Zulassungsbehörden, es ist eine Diskussion über die zugrunde liegende Gesetzgebung nötig, die vielfach nicht ausreicht. Es ist eine Diskussion darüber notwendig, wie damit umgegangen wird, wenn Firmen betrügen. Manager müssen für Betrügereien, die Firmen machen, haften, und wirklich haften, auch in den Knast gehen. Dann ist auch eine Chance, dass hier eine Besserung stattfindet. 

Während etwa die eher Pharma-kritische Europäische Diabetes-Gesellschaft (EASD) seit langem das Verbot von Rosigliatzon fordert, treten eine Reihe anderer Diabetes-Gesellschaften für weitere Studien ein, die Jahre dauern, bis Ergebnisse vorliegen und - nach Ansicht von Kritikern vor allem den Zweck verfolgen, GlaxoSmithKline noch gute Jahre des Verdienens zu ermöglichen, bis die Patente ablaufen.

Und die Experten helfen gerne dabei mit.
Beispielsweise jene, die im Jahr 2008 in der österreichischen Schrift "Rosiglitazon - Evaluation des kardiovaskulären Sicherheitsprofils" dazu befragt wurden. Das Papier wurde als "Orientierungshilfe für Ärzte in der täglichen Praxis" von der zum Konglomerat des Wiener Pharma-Lobbyisten Robert Riedl gehörenden Firma "Update Europe" herausgegeben, deren Geschäftsbereich die Pharma-nahe Fortbildung von Medizinern ist.
Wenig überraschend heißt es denn auch in der kurzen Zusammenfassung der Studienlage, dass "das Nutzen-Risikoprofil insgesamt als positiv beurteilt wird". Zur Vorsicht mit der Anwendung von Avandia wird nur bei Patienten geraten, die bereits an einer manifesten Herzkrankheit leiden.
Und dann treten in der Fortbildungsbroschüre eine Reihe von Experten auf, die jeweils in einem kurzen Statement ihre Sicht der Dinge bezüglich Rosiglitazon auf den Punkt bringen. Hier einige Ausschnitte, um zu zeigen, wie der Hase läuft:

Dr. Helmut Brath, Wien:
Auch wenn für Rosiglitazon und weitere antidiabetische Medikamente nun unerwartete neue Aspekte auftauchen, so ist ein einfaches Absetzen der Therapie keine Option.

Prim. Univ.Prof. Dr. Georg Biesenbach, Linz:
Vorteil des Rosiglitazons ist sicherlich auch die jahrelange Therapieerfahrung bei einer sehr großen Patientenzahl.

Prim. Univ.Doz. Dr. Peter Fasching, Wien:
Bei Patienten unter bereits laufender Therapie mit Rosiglitazon, die keine Kontraindikationen und eine gute glykämische Kontrolle aufweisen, würde ich das Therapieregime nicht ändern.

Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Wien:
Die beste Evidenz für Glitazone gibt es bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung (für Rosiglitazon bereits im prädiabetischen Stadium), welche aus kardiovaskulärer Sicht meist noch relativ unproblematisch sind. Dabei liegen für Rosiglitazon im Vergleich zu Pioglitazon wesentlich mehr Studiendaten vor. Beide Substanzen sind für die frühen Therapiephasen gut geeignet, wobei es meiner Ansicht nach keine Anhaltspunkte gibt, einen Wirkstoff gegenüber dem anderen zu bevorzugen.

Univ. Prof. Dr. Thomas Pieber, Graz:
Die Ärzte haben als Advokaten ihrer Patienten versagt. Sie hätten warnen und hinterfragen müssen – und nicht alles willfährig übernehmen, was ihnen von der Industrie vorgelegt wird. Es ist schon unsere Verantwortung als Ärzte, dass wir nicht Medikamente- verschreiben, die unsere Patienten schädigen oder sogar umbringen könnten.

Uups, Verzeihung, das letzte Zitat stammt natürlich nicht aus dem Pharma-Papier, sondern aus einem Interview, das ich vergangenes Jahr mit dem bekannt kritischen Grazer Diabetologen geführt habe.

Über Glitazone habe ich erstmals ausführlicher für mein 2002 bei Piper erschienenes Buch "Das Medizinkartell" (Co-Autor Kurt Langbein) geschrieben. Und bereits damals fiel das Resümee nicht gut für diese Medikamentenklasse aus.
Glitazone sind so genannte Insulin-Sensitizer: sie machen die Zellen aus unbekannten Gründen empfänglicher für die Wirkung von Insulin und verstärken damit die Aufnahme von Blutzucker im Organismus. Eine der bekannten Nebenwirkungen der Glitazone ist die daraus folgende Gewichtszunahme. Für die Glitazone spricht eigentlich nur ein Laborwert, nämlich die über die Zucker-Einlagerung in den Zellen erkaufte Absenkung des Zuckerspiegels im Blut.
Troglitazon, der erste Wirkstoff dieser Gruppe wurde 1997 zugelassen. Über aggressives Marketing wurde das Mittel rasch zu einem Milliardenseller, bis sich dann Fälle von Leberversagen häuften und es vom Markt genommen werden musste.

Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der Jahrtausendwende hatte Rosiglitazon aber bereits seinen monetären Siegeszug angetreten. Und es gab auch damals schon heftige Kritiker, etwa den britischen Stoffwechselexperten Edwin Gale, der im Journal Lancet forderte, die unabhängige Forschung aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Dies könnte über bessere und zugleich billigere Produkte die Gesundheitsbudgets entlasten und gleichzeitig aus den "verkauften Handlangern" wieder seriöse Forscher machen. Seinen Kommentar schließt Gale mit folgendem Appell an die Diabetes-Experten:
Wenn alles andere schief geht, könnten wir es ja wieder mal mit Wissenschaft versuchen.

Nachtrag:
Mitte Juni hat der "Gemeinsame Bundesausschuss" (GBA) auf Antrag der Krankenkassen und auf Basis von Studien-Auswertungen des Kölner "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" (IQWiG) entschieden, dass Glitazone nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden dürfen. Diesem Beschluss muss Gesundheitsminister Philipp Rösler noch zustimmen. Es sind mehrmonatige Übergangsfristen vorgesehen, um den Ärzten die Möglichkeit zu geben, ihre Patienten auf andere Präparate umzustellen.
Die betroffenen Konzerne laufen gegen diese Entscheidung Sturm und sehen einen Widerspruch zum bisherigen Urteil der Zulassungsbehörden. Damit überschreite der GBA eindeutig seine Kompetenzen, heißt es.
"Wahrscheinlich läuft der GBA auch in einen Konflikt mit dem Gesetzgeber", heißt es in einer Analyse der Deutschen Ärztezeitung. "Mit seinem Urteil über die Arzneimittelsicherheit schafft der GBA quasi eine Sonder-Sicherheitszone für Kassenpatienten, die für andere Patienten nicht gilt."
Eine kuriose Argumentation, die für eine weitere heiße Diskussion sorgen wird. Interessant jedenfalls, dass es zumindest eine Institution zu geben scheint, die - im Gegensatz zu den Arzneimittelbehörden - ihren Auftrag zur Sicherung der Gesundheit der Bürger ernst nimmt.

2 Kommentare:

  1. Ein sehr schöner Artikel. Vielen Dank, dass Sie Administratorrechte....

    AntwortenLöschen
  2. was ist mit Administratorrechte? ich steh wohl auf der Leitung?

    AntwortenLöschen