Montag, 21. Juni 2010

Das Geheimnis der Finnen

In Finnland gehen Frauen später und seltener zu den Gynäkologen, um einen Krebsabstrich machen zu lassen. Dennoch liegt die Sterberate beim Gebärmutterhalskrebs deutlich niedriger. Bert Ehgartner bat die Pathologin Helene Wiener und den Gynäkologen Herbert Kiss zur Diskussion um dieses Rätsel.


Die Früherkennung des Zervix-Karzinoms (Gebärmutterhalskrebs) gilt als Erfolgs-Geschichte der Krebs-Vorsorge, die Sterberate hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert. Ein Gutteil dieses Erfolges wird dem „Pap-Abstrich “ zugeschrieben, benannt nach dessen Erfinder George Papanicolaou. Dabei werden Zellen vom Gebärmutterhals abgestrichen und dann im Labor auf Veränderungen untersucht.
Die Krebsabstriche erfolgen in Österreich nicht in Form eines organisierten Screening-Programmes, sondern opportunistisch: Untersucht werden jene Frauen, die zum Arzt gehen und das Angebot eines „Krebsabstriches“ annehmen.
Daraus folgt, dass jüngere Frauen recht häufig untersucht werden und oft falscher Krebsalarm ausgelöst wird. Eine Folge davon sind jährlich rund 5.000 „Konisationen“, Operationen, bei denen verdächtiges Gewebe an der Gebärmutter entfert wird. Hier steigt das Risiko auf Fehl- und Frühgeburten stark an. Frauen ab vierzig – speziell jene aus niedrigerem Sozialmilieu, werden im Rahmen eines oportunistischen Screenings hingegen selten bis gar nicht untersucht, obwohl hier das Erkrankungsrisiko am höchsten ist.
Länder wie Finnland oder die Niederlande betreiben ein organisierten Screening, wo alle Frauen im Alter zwischen 30 und 60 im Abstand von drei bis fünf Jahren persönliche Einladungen zum Pap-Abstrich erhalten. Am Programm können nur Gynäkologen und Labors teilnehmen, welche strenge Qualitätskriterien erfüllen, das Programm wird laufend wissenschaftlich evaluiert. Finnland hat heute in den meisten Jahren keine Todesfälle mehr bei Frauen unter 50 Jahren, insgesamt liegt die Sterberate bei einem Drittel der österreichischen.


Ehgartner: Wie ist denn ihrer Meinung nach die Situation beim Pap-Abstrich in Österreich?

Kiss: Es gibt zweifellos Verbesserungsbedarf. Dass ein organisiertes Screening das beste wäre, das wissen wir. Das ist hinlänglich bekannt. Es gab auch schon zahlreiche Sitzungen, die vom Ministerium ausgegangen sind. Dann ist man drauf gekommen, dass das relativ teuer ist, wenn man das wirklich gut organisiert. Und da war dann plötzlich keine Rede mehr davon.

Wiener: Organisiertes Screening ist eine Vorsorgeart, die von der Bevölkerung angenommen werden muss. Die Finnen, die hier so gut sind, haben als Bevölkerung soweit mir bekannt kein Problem, dass es ein zentrales Dateiregister gibt. Das ist in Österreich sicher anders.

Ehgartner: Sie meinen die Sorge um den Datenschutz ist hier größer?

Kiss: Das sehen Sie ja bei jeder Diskussion zu diesem Thema. Es können ja nicht mal mehr Befunde von Spital zu Spital gefaxt werden, weil man Angst um den Datenschutz hat. Und bei einem Screening wie in Finnland müsste eben jede Frau computerisiert werden mit ihren Daten. Jederzeit abrufbar. Das ist ein heißer Diskussionspunkt.

Wiener: Dazu haben wir ein Problem, das immer drückender wird. Screenerinnen, vorwiegend Frauen, die die Abstriche vor der Vidierung durch die Ärzte ansehen, sind im Durchschnitt schon 50 oder mehr Jahre alt. Das Screening fordert neben hohem Verantwortungsbewusstsein ein hohes optisches Talent und viel Ausdauer. Wir haben hier kaum Nachwuchs und viele Stellen sind bereits jetzt schwer zu besetzen.

Kiss: Das liegt auch daran, dass in den Medien herumgeistert, ob das Pap-Screening überhaupt sinnvoll ist. Da überlegt sich ein junger Mensch: soll ich in einen Job gehen, den es in zehn Jahren vielleicht überhaupt nicht mehr gibt.

Ehgartner: Na gut, da wird aber auch von Seiten der Gynäkologen kräftig in diese Richtung gearbeitet, wenn es etwa heißt, dass die HPV-Impfung das Zervix-Problem ohnehin lösen wird.

Kiss: Ja, in dreissig bis fünfzig Jahren vielleicht.

Ehgartner: Also auf die Impfung braucht man sich hier nicht verlassen?

Kiss: Es wird in Österreich nicht geimpft. Wenn sie ein gutes Screening haben, rechnet sich die Impfung nicht – so wie in Finnland. Aber in fast allen anderen Ländern Europas gibt es staatliche Impfprogramme.

Ehgartner: Während in Finnland die Frauen erst ab einem Alter von 30 Jahren zum Screening eingeladen werden und das Intervall bei unauffälligen Befunden fünf Jahre beträgt, erhalten bei uns die jungen Frauen meist ihren ersten Krebsabstrich, wenn sie wegen einem Rezept für die Pille kommen und in der Folge wird das jährlich oder sogar halbjährlich wiederholt.

Kiss: Als wissenschaftliche Gesellschaft wollen wir bewusst machen, dass Gebärmutterhalskrebs eine vermeidbare Krankheit ist, die man durch regelmäßiges Screening verhindern kann. Es entbehrt allerdings jeglicher Evidenz, dass man das alle halben Jahre oder noch häufiger machen soll.

Wiener: Hier gäbe es auch Möglichkeiten, über zentral-organisierte Datenerfassung und Bezahlung positiv steuernd einzugreifen, damit das nicht so oft gemacht wird.

Kiss: Wir sehen, dass alles im Zusammenhang mit dem Gebärmutterhalskrebs ein Tabuthema ist. Während der Brustkrebs eine vergleichsweise sehr offen ausgesprochene Krankheit ist, zu der sich viele Patientinnen bekennen, wollen die Frauen über das Zervix-Karzinom nicht sprechen. Da diese Erkrankung durch HPV Viren im Rahmen der sexuellen Aktivität übertragen wird, wird diese Erkrankung tabuisiert.

Ehgartner: Liegt das daran, dass hier immer der unausgesprochene Vorwurf der Promiskuität mitschwingt, wenn sich eine Frau sexuell übertragbare Viren „einfängt“?

Kiss: Daran liegt es sicher auch. In den alten Büchern steht noch, dass eine Nonne nicht am Zervix-Karzinom erkrankt.

Ehgartner: Stimmt das denn?

Kiss: Nein, es stimmt nicht. Derzeit kommen Frauen ganz verzweifelt zu mir uns sagen, dass bei ihnen ein HPV-Virus nachgewiesen wurde. Wenn man nun erklärt, dass sie völlig gesund sind, verstehen das viele nicht, weil das doch Krebs-erregende Viren sind. Zu 80 Prozent verschwinden die Viren aber wieder. Derzeit führt eine HPV-Befundung nur zu Verunsicherung.

Ehgartner: Mit persönlichen Tragödien. Wo gleich der Verdacht auftaucht, der Partner sei fremd gegangen…

Kiss: Ja, es sind unnötige Konfliktsituationen. – Ganz anders ist es hingegen, wenn wir einen auffälligen Pap-Abstrich haben. Dann wird der HPV-Test sehr wohl eingesetzt zur Entscheidung, wie man weiter vorgehen soll: Ob man rasch handelt, oder zuwarten kann.

Ehgartner: Das heißt, sie empfehlen, ein organisiertes Programm mit Einladungssystem und zentralem Register einzuführen.

Kiss: Es ist eben mit Zahlen beweisbar, dass es die beste Methode wäre, das Zervix-Karzinom zu verhindern oder auszurotten.
Apropos, haben Sie recherchiert, was die Gynäkologen für einen Abstrich verrechnen dürfen?

Ehgartner: Je nach Krankenkasse liegt das so um die 3,50 bis 5 Euro.

Wiener: Und jene Instrumente, die die Abnahme am zuverlässigsten und einfachsten machen, kosten schon fast mehr als das Arzthonorar.

Ehgartner: Allein die finanziellen Anreize stehen also bereits der Qualität entgegen. Wo müsste man denn ihrer Meinung nach die Prioritäten setzen und öffentlich investieren?

Wiener: Man muss die Qualitäten, die wir am AKH und andere derzeit freiwillig erfüllen, von wirklich allen Labors und Gynäkologen einfordern, die Pap-Abstriche machen.

Ehgartner: Man weiß aus Untersuchungen, dass ein auffälliger Pap-Befund von den Frauen oft als Krebsalarm verstanden wird und das mit enormem Stress und Todesangst verbunden ist. Gibt es hier eine Schulung der Gynäkologen? Wird der Erklärungsbedarf honoriert, den ein auffälliger Pap-Befund mit sich bringt?

Kiss: Wenn Sie einen Kassenvertrag haben, so bekommt der Gynäkologe im Quartal 18 Euro. Für ein Therapiegespräch können sie noch fünf Euro extra verrechnen. Wahrscheinlich hat schlechte Qualität auch mit schlechter Bezahlung zu tun.

Ehgartner: Wie sieht es denn mit der persönlichen Kommunikation zwischen ihren beiden Berufsgruppen aus. Was macht denn eine Pathologin mit einem Gynäkologen, der nur eine 70-prozentige Rate von beurteilbaren Abstrichen einschickt?

Wiener: Die meisten Kollegen sind dankbar, wenn man ihnen ehrliches Feedback gibt. Ich zeige auf den Fortbildungen regelmäßig, wie ein nicht so schöner Pap-Abstrich aus der Sicht eines Pathologen aussieht. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass jüngere Kollegen eine Situtation ähnlich der von Ihnen beschriebenen noch unangenehmer empfinden und schneller reflektieren.

Kiss: Ältere Kollegen hat das schon irritiert, wenn hier das Feedback kam, dass ihr Abstrich nicht beurteilbar war.

Wiener: Ich habe noch kein wirklich negatives Erlebnis in der Kommunikation mit Gynäkologen erlebt. Dass man verstimmt ist und das einem die Situation nicht gefällt, ist etwas anderes. Aber man redet miteinander und sucht nach Lösungen.

Kiss: Es sind in der Generation, die jetzt in Pension gegangen sind, Dinge gelaufen, die wir heute nicht mehr ganz verstehen. In unserer Generation ist Qualitätskontrolle und externe Beurteilung aber eine Selbstverständlichkeit. Das war früher vielleicht noch anders, als es noch die Götter in Weiß gab.

Ehgartner: Im jüngeren Alter sind Veränderungen an der Zervix nicht ungewöhnlich. Wenn hier auffällige Befunde kommen, so wird häufig eine Konisation vorgenommen, ein Eingriff unter Narkose, bei dem eine kegelförmiges Stück aus dem Muttermund geschnitten wird. Diese Eingriffe – jährlich sind es in Österreich etwa 5000 – bedeuten für die Frauen ein deutlich höheres Risiko auf Schwangerschafts-Komplikation, Fehl- oder Frühgeburten. Wie sehen Sie diese Problematik?

Kiss: Zunächst mal ist es so, dass bei einem auffälligen Krebsabstrich nicht gleich operiert wird. Da gibt es zunächst laut Leitlinie eine Kolposkopie, das ist eine genaue Sichtung des verdächtigen Areals, verbunden mit einer Biopsie – also der Entnahme einer kleinen Zellprobe, die dann eine Diagnose bestätigt oder entschärft. Das ist das richtige Vorgehen. Der Pap-Abstrich ist nur eine Screening-, also eine Such-Methode. Eine Konisation wird erst vorgenommen, wenn eine Krebsvorstufe sicher histologisch diagnostiziert ist.

Wiener: Und dann kommt es natürlich auch noch auf den Grad dieser Dysplasie an, je leichter der Grad der Dysplasie desto höher die Chance der Rückbildung.

Kiss: Bei leichter Dysplasie - eine sehr hohe Chance sogar.

Wiener: Bei der schweren Dysplasie ist das weniger wahrscheinlich. Aber sogar hier kann es zur Rückbildung kommen. Was man bei solchen Befunden unbedingt beachten muss, ist die Art, wie das an die betroffene Frau vermittelt wird. Eine leichte Dysplasie kann über Jahre bestehen bleiben. Die betroffene Frau muss das psychisch verkraften. Gynäkologen berichten, dass es die Frauen sind, die eine operative Klärung auch bei leichter Dysplasie verlangen.

Kiss: Wobei die leichte Dysplasie dann trotzdem nicht operiert werden sollte. Da muss man mit den Frauen reden.

Dr. Helene Wiener, 57, ist am Klinischen Institut für Pathologie der Medizinischen Universtiät Wien tätig. Sie ist Mitautorin der Europäischer Leitlinien zur Qualitätssicherung für Screening auf Zervix-Karzinom, und im Vorstand der österreichischen Gesellschaft für Zytologie (ÖGZ).

Dr. Herbert Kiss, 43, habilitierte sich 1999 an der Medizinischen Unuversität in Wien, ist derzeit Sekretär der österr. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG) und. Medizinisch-wissenschaftlich spezialisiert auf Geburtshilfe und auf Infektionen im Bereich der Frauenheilkunde, wie etwa mit Humanen Papillomaviren (HPV)

Dies ist die Langfassung eines Artikels, der heute in der Tageszeitung "Der Standard" in redigierter Form erschienen ist. (Fotos: Fischer)

5 Kommentare:

  1. Meine Güte da steht schon wieder soviel Falsches in dem Artikel.
    Warum wird verschwiegen, dass in Finnland trotz gutem PAP Screening Programm die Häufigkeit des CervixCas in Finnland seit 1992 steigt und besonders bei Frauen bis 40 a steigt.
    Die Kritik am finnischen Weg ist hier ausführlich zusammengefasst

    http://www.expert-reviews.com/doi/pdf/10.1586/erv.09.140

    Da schaut es doch schon etwas anders aus.

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  2. Der verlinkte Artikel stammt von Kari J Syrjänen, einem Onkologen, der sich seit vielen Jahren der HPV-Forschung verschrieben hat und wirklich verzweifelt scheint, dass in Finnland - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine HPV-Impfung öffentlich empfohlen und von den Kassen bezahlt wird.
    Dass in Finnland in den letzten Jahren ein leichter Aufwärtstrend bei den Krebsfällen registriert wird, stimmt. Ich habe dazu mit A. Anttila vom finnischen Screening Programm gesprochen und er meint, das liege an gezielter Sabotage des Programms durch zahlreiche verärgerte Gynäkologen, die sich ins Abseits gedrängt sehen und nun ihrerseits wieder ein "graues Screening" propagieren. Eben mit dem Effekt, dass sie nun wieder vermehrt Dysplasien finden, die sich ohne ihre Manöver meistenteils von selbst rückgebildet hätten.

    Trotz der Sabotage des organisierten Screening-Programms sind die finnischen Zahlen allen Vergleichsländern in Europa überlegen. In den meisten Jahren sterben im Alter unter 50 Jahren keine Frauen am Zervix-Ca. In Österreich sind es zum Vergleich mehrere Dutzend jährlich.

    Dass eine HPV-Impfung, die über die Jahre das Gesundheitssystem mit enormen Kosten belastet, in einem Land wie Finnland als kosteneffiziente Gesundheitsmaßnahme bezeichnet werden kann, werden Sie wohl kaum behaupten, oder?

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  3. aus der von mir zitierten Arbeit geht klar hervor, dass der Anstieg des Cervixkarzinoms um ca 40 Fälle pro Jahr fast ausschließlich die 25-39 Jahre alten Frauen betrifft.

    Zitat: "Cervical Carcinoma has increased by 25-30% (from 120 to 160 cases)which makes Finland a coutry with one of the most rapidly rising incidences rates of CC. The other unfortunate fact is that the increase is almost exclusively confined to the youngest age groups-women between 25 and 39 yrs of age"

    und nach Ehgartners Lesart wird daraus
    Zitat "In den meisten Jahren sterben im Alter unter 50 Jahren keine Frauen am Zervix-Ca."

    Das ist doch eine klare journalistische Bruchlandung.

    Und es ist schlichtweg falsch, dass die HPV-Impfung enorme Kosten verursacht- sie ist kosteneffektiv.

    Und sie ist noch kosteneffektiver wenn die (notwendige) Verbesserung des PAP mit PCR Technologie endlich kommt.

    Und natürlich müssen die pathologischen PAP Befunde drastisch sinken, wenn geimpfte Frauen zum PAP Abstrich gehen.

    Die Impfung ersetzt nicht den PAP Abstrich, sie ergänzt ihn. Zumindest derzeit- warten wir mal ab, was aus der Studie mit dem 9 valenten HPV Impfstoff wird.

    Und wenn man schon von Impfung spricht, kann man ja auch vom Schutz vor genitalwarzen sprechen. HPV 6 und 11 sind zwar keine Killer, sie killen aber das Sexualleben.

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  4. Schon gewusst, dass in Israel keine Frau an Cervical Carcinoma stirbt?
    Es liegt nicht an der Vorsorge, sondern an der Zirkumzision, die bei den Säuglingen 8 Tage nach der Geburt stattfindet.

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  5. Dass keine Frau am Zervix-Karzinom stirbt, stimmt nicht, doch diese Fälle sind verglichen mit anderen Ländern sehr selten.
    Die Diskussion, warum jüdische Frauen kaum von dieser Krebsart betroffen sind, reicht schon mehr als 100 Jahre zurück und wurde in zahlreichen Studien untersucht.
    Die These, dass dafür in erster Linie die Praxis der Beschneidung der männlichen Neugeborenen verantwortlich ist, kam früh auf. Andere erwähnten, dass es am religiösen Verbot liegen könnte, während der Monatsblutung und eine Woche danach Sexualverkehr zu haben. Wieder andere dachten an die Rolle der speziellen Diät-Vorschriften oder vermuteten die Ursache in schützenden Genen dieser Ethnie.

    Hier ist ein Übersichtsartikel dazu:
    http://www.ima.org.il/imaj/dynamic/web/ArtFromPubmed.asp?year=2003&month=02&page=120

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