Freitag, 25. Februar 2011

Sonnenkur

Viele Jahre galt die Sonne als Synonym für Hautkrebs-Risiko. Nun schlägt das Pendel gewaltig in die Gegenrichtung: Tausende Studien belegen die enorme gesundheitliche Bedeutung von Vitamin D, das über Sonnenstrahlen in der Haut erzeugt wird. Viele Mediziner sehen im winterlichen Sonnenmangel eine Hauptursache für grippale Infekte.

Harald Dobnig wusste, dass er auf einem Datenschatz saß. Der Endokrinologe und Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz hatte die Protokolle von 3256 Männern und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren, die alle wegen des Verdachtes einer Herzgefäß-Verengung genauestens untersucht worden waren. Unzählige Einzelwerte lagen vor, vom Blutdruck bis zum Cholesterinwert. Das beste – aus Sicht eines Wissenschaftlers – war aber der Zeitpunkt der Untersuchung: Der lag nämlich im Schnitt acht Jahre zurück und mittlerweile waren 737 Patienten, also fast ein Viertel, verstorben. Harald Dobnig saß nun mit einem Team von Kollegen aus den verschiedensten Sparten der Medizin über den Daten, analysierte sie in diese und jene Richtung und versuchte zu ergründen, welcher der Messwerte die beste Prognose für ein besseres oder schlechteres Überleben ermöglichte. „Ich habe mich mit der Datenbank gespielt, bis mich der Vitamin-D-Blitz getroffen hat“, erzählt Dobnig.

Den Schlüssel zum Verständnis fand er im Vitamin-D Status der Patienten. Dazu teilte er sie nach ihrem Vitamin-D Wert in vier gleich große Gruppen ein. Wenn man nun Patienten des niedrigsten Viertels (Durchschnittswert 7,6 Nanogramm pro Liter) mit jenen des höchsten Viertels (28,4 ng/l) verglich, so war deren Sterberisiko mehr als doppelt so hoch. Patienten aus dem zweitniedrigsten Viertel (13,3 ng/l) hatten noch immer ein mehr als 50 Prozent höheres Sterberisiko. „Der Vitamin D Status der Patienten hatte die mit Abstand beste Aussagekraft für deren Überleben“, erklärt Dobnig.

Die Grazer Studie wurde 2008 im angesehenen Journal „Archives of Internal Medicine“ publiziert und in dieser kurzen Zeit bereits wieder von 180 anderen Studien zitiert. Insgesamt sind im letzten Jahrzehnt mehr als 18.000 Arbeiten zum Thema Vitamin D in die internationale Medizin-Datenbank „PubMed“ aufgenommen worden. In den 90er Jahren waren es zum Vergleich nur knapp 8000. „Das Interesse ist regelrecht explodiert“, sagt Dobnig (Foto). „Vitamin D gilt derzeit weltweit als eines der heißesten Eisen der medizinischen Forschung.“

Lange Zeit war das anders. Die Geschichte von Vitamin D ist voll von Irrtümern. Das beginnt schon beim Namen. Vitamine erfüllen – laut Definition – lebenswichtige Funktionen, können im Stoffwechsel jedoch nicht im nötigen Ausmaß selbstständig erzeugt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts erwies sich Lebertran als Heilmittel für die bei Kindern grassierende Knochenwachstums-Störung Rachitis. Man nahm also an, dass sich darin ein Vitamin befindet, das den kranken Kindern fehlt und nannte es –nach den drei bisher bekannten Vitaminen A, B und C – in alphabetischer Folge Vitamin D.
Damals wusste noch niemand, dass der Organismus sehr wohl in der Lage ist, ausreichend Vitamin D herzustellen, so lange Sonne auf die Haut trifft. Genauer gesagt braucht es Ultraviolettes Licht geringer Wellenlänge (so genannte UV-B Strahlung) um ein mit Cholesterin verwandtes Molekül, das reichlich in der Haut vorkommt, in eine Vitamin D – Vorstufe umzuwandeln. Nach heutigem Wissensstand würde man Vitamin D als Hormon bezeichnen.

Mit der raschen Lösung des Rachitis-Problems schien die Bedeutung der Substanz aber geklärt und viele Jahrzehnte lang kümmerte sich kaum jemand darum. Dazu kamen Gerüchte über mögliche Schäden, ausgelöst durch Hochdosen von Lebertran, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Kinder traktiert wurden.
Heute weiß man, dass toxische Effekte von Vitamin D – auch bei Überdosierung – unwahrscheinlich sind. Dass hingegen der Mangel weltweit in enormem Ausmaß verbreitet ist. Als moderner Pionier und Hauptverantwortlicher für das Comeback von Vitamin D gilt Michael F. Holick, Endokrinologe der Universität Boston. Er publizierte seit den 70er Jahren Aufsehen erregende Studien zu den verheerenden Auswirkungen eines Mangels an diesem Sonnenhormon. „Zum einen erhöht sich das Risiko auf weit verbreitete Krebsarten“, erklärt Holick, „ebenso auf Diabetes, Autoimmunkrankheiten, sowie Herzinfarkt und Schlaganfall.“ Erste Anzeichen für einen Vitamin-D Mangel seien meist Schmerzen in Knochen und Muskeln, dauerhafte Müdigkeit sowie Depressionen. „Das führt zu enormen Fehldiagnosen, wenn die Ärzte nicht auf Vitamin D testen.“

Man weiß mittlerweile, dass das Sonnenhormon an der Regulation von mehr als 200 Genen beteiligt ist und damit eines der einflussreichsten Hormone des menschlichen Organimus ist. Und es kommen Resultate aus den verschiedensten Sparten der Medizin. Werdende Mütter haben beispielsweise ein deutlich geringeres Risiko auf eine Kaiserschnitt-Geburt, wenn ihr Vitamin-Status in Ordnung ist.
Enorme Konsequenzen hat der Sonnenmangel für ältere Menschen, deren Haut mit höherem Lebensalter auch zunehmend schlechter in der Lage ist, genügend Vitamin D zu erzeugen. Sobald sie nun auch noch bettlägrig werden, sinkt der Spiegel gegen null. Sonnenbaden und billige Vitamin D Tropfen aus der Apotheke, raten Experten, wären hier therapeutisch wesentlich effektiver als teure Osteoporose-Medikamente von fraglicher Wirksamkeit.

Besonders interessant ist der Zusammenhang mit Infekten. Im Kern geht es dabei um die Frage, warum wir im Winter häufiger krank werden als im Sommer. Wir sind ja auch im Sommer in dicht gedrängten Räumen und auch die Viren und Bakterien sind im Sommer genauso im Umlauf. Dennoch ist eine Sommergrippe relativ selten - und im Winter sterben in Österreich etwa 3000 Personen mehr als in den anderen Jahreszeiten.
In der ehemaligen Sovjetunion hat man dazu ziemlich drastische Versuche unternommen und Versuchspersonen absichtlich mit Influenzaviren infiziert. Dabei zeigte sich, dass im Winter die Infektion um das Zehnfache leichter gelingt als im Sommer. Und die Erklärung liegt abermals im Vitamin D: Alle weißen Blutkörperchen besitzen Vitamin-D Rezeptoren und werden dadurch aktiviert. Obendrein sind die Schleimhäute mit antimikrobiell wirksamen Peptiden besetzt, die als erste Abwehrlinie gegen Viren und Bakterien fungieren. „Auch sie hängen in ihrer Funktion von Vitamin D ab“, sagt Dobnig.
Doch das Sonnenvitamin rüstet nicht nur das Immunsystem auf, es besänftigt gleichzeitig die Gegenreaktion. Oft richtet ja die über aggressive Zellen der Immuanbwehr gesteuerte Gegenreaktion mehr Schaden an, als die Viren selbst. Bei der zurück liegenden Influenza-Pandemie sind die meisten der jungen Opfer nicht an den Viren, sondern an einer überzogenen Immunantwort gestorben, bei der das infizierte Lungengewebe durch einen Großangriff des Immunsystems und die massenhafte Ausschüttung Entzündungs-fördernder Zytokine zerstört wurde.

Die Sowjets setzten diese Erkenntnisse im Leistungssport ein und schickten ihre Athleten regelmäßig zu UV-Bestrahlungen ins Solarium. Dadurch konnten die Infekt-bedingten Krankheitstage der Sportler auf die Hälfte reduziert werden.
Nun erscheinen langsam auch aktuelle Studien zur Eignung von Vitamin D in der Influenza-Prophylaxe. In einer sorgfältig gemachten Untersuchung mit 334 japanischen Schulkindern war das Influenza-Risiko in der Vitamin-D Gruppe um signifikante 42 Prozent vermindert. Bei Kindern mit einer bekannte Asthma-Diagnose verringerte sich das Risiko einer Asthma Attacke gar um signifikante 83%. Von derartigen Ergebnissen können die Hersteller der Influenza-Impfstoffe nur träumen

Während die Verschreibung von Vitamin D Präparaten zunimmt, haben viele Ärzte bis heute Probleme damit, ihren Patienten therapeutische Sonnenbäder zu empfehlen. Gilt doch die Sonne als Verursacher von Hautkrebs und die Warnung vor den Gefahren von Sonnenbrand ist omnipräsent. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Sonne und Melanomen, der gefährlichen Form des „Schwarzen Hautkrebs“, bis heute wissenschaftlich umstritten. „Menschen, die sich berufsbedingt ständig in der Sonne aufhalten, haben sogar ein geringeres Melanom-Risiko“, erklärt etwa Marianne Berwick, Leiterin der Division für Epidemiologie und Prävention von Krebserkrankungen an der Universität von New Mexico in Albuquerque.
Wissenschaftlich gesichert ist hingegen der Einfluss von Sonne auf die Entstehung des häufigsten Hautkrebs-Typus, des Basalzellkarzinoms. Das entwickelt sich meist im Kopfbereich, kann gut entfernt werden und ist damit in den meisten Fällen auch geheilt. Im Vorjahr erschien dazu eine große dänische Übersichtsarbeit, die ein wirklich sensationelles Ergebnis brachte: Die Auswertung der Daten von 72.295 Fällen von Basalzellkarzinom ergab nämlich, dass diese Patienten nicht kürzer, sondern signifikant länger lebten als die Durchschnitts-Bevölkerung. „Natürlich ist es nicht der Krebs, der diesen Überlebensvorteil bewirkt“, erklärt der Innsbrucker Pharmakologe Hartmut Glossmann, „sondern der Zusammenhang mit Sonne und dem höheren Vitamin D Spiegel dieser Patienten.“
Gemeinsam mit anderen Vitamn-D-Experten fordert Glossmann die rasche Umsetzung der aktuellen Forschungsergebnisse durch die Gesundheitspolitik. „Damit die Menschen wirksam gegensteuern können, ist es notwendig, dass alle über ihren Vitamin D Status bescheid wissen.“
Deshalb solle der Wert künftig bei allen Gesunden-Untersuchungen ermittelt und dann über Sonnenkuren und Vitamin D Tropfen die notwendigen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. „Ich habe fast die ganze Verwandtschaft testen lassen, von den Enkeln bis zur Ur–Großmutter“, sagt Glossmann. „Und wir bleiben nun schon den dritten oder vierten Winter von grippalen Infekten verschont.“

Foto: Tim Beyer (Creative Commons),

1 Kommentar:

  1. Kooperationsprojekte der beiden Boltzmann-Institute im Hanusch Krankenhaus beschäftigen sich seit Jahren mit der eminenten Bedeutung von Vitamin D für die Therapie und Prävention maligner Erkrankungen - "Impact of Vitamin D metabolism on clinical epigenetics" wurde kürzlich im Journal "Clinical Epigenetics" von H. Karlic und F.Varga
    publiziert!

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