Dienstag, 4. August 2009

„Keine Ausreden auf die Gene“

Der Wiener Medizinökonom Ernest G. Pichlbauer plädiert für Bonus-Malus-Systeme, um im Gesundheitssystem Kosten einzusparen.

profil: Soll man Patienten bestrafen, die trotz Warnungen weiterhin ungesund leben, indem sie etwa auf notwendig gewordene Operationen länger warten müssen, so wie dies kürzlich der Präsident der deutschen Ärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe vorgeschlagen hat?

Pichlbauer: Belohnungs- und Bestrafungssysteme funktionieren nur dann, wenn sie wirklich unmittelbar ansetzen. Und zwar in dem Moment, wenn etwas festgestellt wirst. Wenn man zum Arzt geht und man hat vereinbarte Ziele nicht erreicht – man hat nicht aufgehört zu rauchen, nicht abgenommen, etc. - dann würde der Selbstbehalt sofort höher, man hätte eine Strafe zu zahlen, oder bekäme keinen Bonus. So wie beim wahrscheinlich erfolgreichsten Präventionsmodell, der Mutter-Kind-Pass Untersuchung. Die arbeitete mit einem Belohnungs-Anreiz. Solche Modelle muss man natürlich immer wieder evaluieren, nachjustieren, sehen ob die gewünschte Steuerung auch greift.

profil: Und jemand zu bestrafen, wenn etwa die Hüftoperation schon ansteht?

Pichlbauer: Das bringt nichts, weil der Mensch dann ja nichts mehr machen kann. Auch wenn es diesem Patienten zehn Jahre lang gesagt wurde. Dann ist es zu spät. Ganz anders wäre es, wenn man jemand, der auf eine künstliche Hüfte wartet, zum Abnehmen rät. Das ist der englische Weg. Da kriegst Du Deine Hüfte nur, wenn Du beispielsweise den Body-Mass-Index von 30 auf 27 reduzierst. Und das ist wiederum wirksam, weil hier der Patient aktiv eingreifen kann. Es muss die Betroffenheit erzeugt werden, sonst passiert eine Änderung nicht. Der Patient muss das verstehen und sich selbst entscheiden.


profil: Drängt man dadurch die Ärzte nicht in eine Rolle, wo sie die Patienten als eine Art Gesundheitspolizisten strafen oder verpfeifen müssen?


Pichlbauer: Diese Gefahr sehe ich nicht, weil es sich dabei ja um Programme der öffentlichen Versorgung handelt. Arzt und Patient wären hier Partner. Patienten müssen zum Koproduzenten ihrer Gesundheit werden, sonst funktioniert das überhaupt nicht. Und wenn sie sich nicht daran halten, so ist es nicht eine Strafe durch den Arzt, sondern ein selbst gewählter Weg. Die Ziele müssen vorher bekannt sein: Wer zur Vorsorgeuntersuchung geht, bekommt beispielsweise 50 Euro. Und wenn beim nächsten Termin die gesetzten Gesundheits-Ziele nicht erfüllt werden, so gibt es weniger oder gar nichts mehr. Mit so einer Maßnahme erreicht man zudem gut die niederen sozialen Schichten, wo laut Statistiken ein schlechteres Gesundheitsbewusstsein herrscht. Hier könnten sich die Leute über gesunde Lebensweise quasi ein Zusatzeinkommen schaffen, und das erzeugt Betroffenheit.

profil: Wie reagieren denn Politiker auf derartige Vorschläge?

Pichlbauer: Den meisten ist das viel zu heikel. Weil ja sofort die Totschlagargumente kommen, dass damit Kranke bestraft werden und Ärzte sich hier nicht einspannen lassen wollen. In Wahrheit ist diese Haltung extrem bevormundend, weil sie Patienten ja gar nicht zutrauen, dass sie selbst Koproduzenten ihrer Gesundheit werden. Prävention funktioniert nur dann, wenn die Patienten selbst begreifen, dass sie ihre Gesundheit mitbestimmen können.

profil: Aber es ist doch auch bevormundend, wenn ich den Menschen suggeriere, ich weiß, was für sie gut ist und gebe Ihnen von außen Ziele vor?

Pichlbauer: Man braucht natürlich eine gute Datenbasis. Bei den Hüften weiß man etwa aus Studien, dass bei dicken Menschen die Hüften schlechter einwachsen und häufiger Komplikationen auftreten. Damit steigen auch die Behandlungskosten. Abzunehmen ist also für beide Seiten ein Gewinn.

profil: Weiß die Wissenschaft überhaupt, wie man wirksam Krankheiten vermeidet?

Pichlbauer: Bei den Zivilisationskrankheiten gibt es tatsächlich recht wenig brauchbare Studien, weil sich diese Krankheits-Prozesse ja über viele Jahre hinziehen und es Jahrzehnte dauern würde, bis man zu einer Entscheidung kommt. Dass Bewegung nützlich ist, bezweifelt kaum jemand, aber sogar hier ist die Beweislage dünn. Also muss man auch irgendwann die Eier haben, sich etwas zu trauen und hier Maßnahmen setzen. Selbstverständlich mit einer gut geplanten wissenschaftlichen Begleitung. Das setzt auch den Mut voraus, dass man Programme stoppt, wenn sich der gewünschte Effekt nicht einstellt.

profil: Bei welchen Krankheiten würden Sie solche Programme einführen?


Pichlbauer: Nur bei den großen Volkskrankheiten wie Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, COPD.

profil: Und wenn jemand deshalb so dick ist, weil z.B. eine Stoffwechselerkrankung vorliegt.

Pichlbauer: Ausnahmen müssen natürlich im Programm genau beschrieben sein.

profil: Man wird also nicht für seine schwachen Gene bestraft?

Pichlbauer: Doch. Da würde ich keine generellen Ausnahmen machen. Denn wer schwache Gene hat, hat halt Pech gehabt und muss eben eine höhere Selbstdisziplin an den Tag legen. Sicher ist das ungerecht, manche müssen sich eben mehr, manche weniger anstrengen um das gleiche zu erreichen. Ausreden auf die Gene würde ich nicht einfach erlauben.


Dr. Ernest G. Pichlbauer
, 40, arbeitete, bevor er sich der Gesundheitsversorgungsforschung zuwandte, als Pathologe am Wiener AKH. Während seiner Zeit am ÖBIG war er unter anderem an den Arbeiten zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) beteiligt Seit 2008 ist er unabhängiger Berater und Publizist. In seinem Buch „Gesunde Zukunft“ (Edition Steinbauer, 2007) lieferte er „Diskussionsgrundlagen zu neuen Strategien im Gesundheitswesen“.
Pichlbauer ist Vater eines Sohnes (2) und mit einer Spitalsärztin verheiratet



Dieses Interview erschien im Rahmen der Titelgeschichte "Der Vorsorge-Wahn" in der Zeitschrift profil (in leicht gekürzter Fassung)

2 Kommentare:

  1. wenn ich diesen artikel lese, fühle ich mich schon fast ein wenig wie im buch "corpus delicti" von juli zeh.
    schöne neue welt.... brrrrr...
    lg
    presonic

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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