Bert Ehgartner live

Freitag, 13. Juli 2018

Niedrige Blutdruck-Grenzwerte bringen Senioren in Gefahr

Im Vorjahr beschloss die einflussreiche US-amerikanische Herzgesellschaft sowie die Kardiologen-Vereinigung die Einführung neuer Leitlinien für die Behandlung von Bluthochdruck. Sie sind derzeit noch nicht allgemein gültig, doch es gibt eine starke Lobby, die auch in Europa für eine straffere Behandlung eintritt. Kein Wunder, denn das würde Abermillionen von neuen Patienten schaffen, wie eine aktuelle Studie des British Medical Journal nun offen legt. Ob diese Maßnahme die Herzgesundheit erhöht, wie die US-Experten erklären, ist zweifelhaft. Speziell auch unter dem Eindruck einer kürzlich veröffentlichten Studie, die bei alten Menschen sogar ein höheres Sterberisiko feststellte, wenn der Blutdruck zu sehr gesenkt wird.

Bluthochdruck erfüllt auch einen biologischen Zweck (Foto: pixabay.com)

"Bluthochdruck ist eine der hauptsächlichen Ursachen für Schlaganfall und Herzinfarkt." So steht es in zahlreichen Medizinlexika und -journalen. Ich habe diese Ansicht nie verstanden, denn der Bluthochdruck ist ja keine Infektionskrankheit, mit der man sich anstecken kann. 
Wodurch entsteht denn Bluthochdruck? Wohl aus der Absicht des Organismus, auch noch die entlegensten Gliedmaßen mit Blut - und damit mit Nahrung und Sauerstoff zu versorgen. Und wenn das Kreislaufsystem mit verengten Gefäßen, etc. Probleme macht, dann wird eben der Druck erhöht. 

Wenn in diese vom Organismus selbst gewählte Balance von außen mit Hilfe von Medikamenten eingegriffen wird, so hat das nicht automatisch nur Vorteile. Zwar wird Druck aus dem System genommen und damit das Risiko gesenkt, dass Gefäße platzen oder ähnliche Überlastungsreaktionen passieren. Andererseits wird aber das grundlegende Problem nicht gelöst - die Engstellen werden nicht beseitigt. Und neben den sonstigen Nebenwirkungen der Medikamente besteht auch noch das Risiko, dass es zur Unterversorgung der Organe und Gliedmaßen kommt.
Das zeigen auch die Symptome vieler Menschen, die erstmals Blutdruck-Medikamente einnehmen: Sie werden leichter müde, haben weniger Energie, erleiden insgesamt einen Einschnitt in die Lebensqualität. Es gilt also die Vor- und Nachteile sorgsam abzuwägen. 


Vorteile von hohem Blutdruck

Neue Argumente für diese Debatte liefert eine gut gemachte Studie von Wissenschaftlern aus der Schweiz und den Niederlanden, die im Mai erschienen ist. Sie werteten dafür Daten eines Projektes der medizinischen Universität Leiden aus, das organisiert wurde um die Gesundheit der sehr alten Menschen zu untersuchen. Zur Teilnahme wurden alle Menschen der Stadt Leiden eingeladen, die das Alter von 85 Jahren erreichten. 570 Senioren gaben ihr Einverständnis und machten mit. Beinahe die Hälfte der alten Menschen bekam Medikamente gegen hohen Blutdruck.

Im Lauf der nächsten fünf Jahre starben 46% der Teilnehmer. Und die Auswertung birgt einige Überraschungen. Denn unter jenen, die Medikamente bekamen, hatten Personen mit einem systolischen Druck über 170 mmHg das geringste Sterberisiko. Mit jedem Abfall von 10 mmHg am Blutdruck-Messgerät nahm ihr Sterberisiko jedoch um 29% zu. 
Auch bei jenen, die keine Blutdruck-Medikamente bekamen, hatten Personen mit hohen Werten einen tendenziellen Vorteil gegenüber der Gruppe mit niedrigen Werten. Doch dies blieb knapp unter der Grenze zur Signifikanz.

Medikamente fördern das Demenzrisiko (Foto: pixabay.com)


Geistiger Abbau

Dramatisch waren auch die Auswirkungen der Medikamente auf die kognitiven Fähigkeiten. Zu Studienbeginn waren die Gruppen noch ausgewogen. Im zeitlichen Verlauf zeigten die Patienten mit den niedrigsten Blutdruckwerten den stärksten geistigen Abbau. Ein deutlicher Zusammenhang bestand hier auch mit körperlicher Gebrechlichkeit. Sie wurde mit einem Gerät zur Messung der Stärke des Händedrucks eingeschätzt. Bei Personen ohne Blutdruck-Medikamente ergab sich weder ein messbarer Unterschied zwischen hohem und niedrigem Blutdruck noch mit der Körperkraft. 

Dass niedriger Blutdruck ein relevantes Risiko für sehr alte Menschen bedeutet, haben bereits einige andere Studien zuvor gezeigt. Doch der Zusammenhang mit Blutdruck-Medikamenten ist eine neue Entdeckung. Die Studienautoren empfehlen deshalb der Ärzteschaft, bei Patienten im Alter ab 80 Jahren achtsam zu sein - und speziell bei geringer Übersteigung der Grenzwerte nicht automatisch Medikamente zu verschreiben. 


Verdoppelung der Patientenzahl

Genau hier würden aber die neuen Leitlinien ansetzen, die von den US-Ärztegesellschaften erstellt wurden. Bisher ist Bluthochdruck ab einem durchschnittlichen systolischen Wert von 140 mmHg sowie einem diastolischen Wert ab 90 mmHg diagnostiziert worden. Die Definition soll nach den neuen Leitlinien nun auf Werte ab 130/80 mmHg erweitert werden.

Die Autoren der Studie im aktuellen BMJ errechneten, dass diese Vorgaben die Zahl der Patienten im Alter von 45 bis 75 Jahren um mehr als 50 Prozent erhöhen würde. Außerdem würde ein relevanter Teil der bisher bereits behandelten Patienten eine Intensivierung der Therapie erhalten. "Für diese Empfehlungen gibt es keine solide wissenschaftliche Basis", kritisieren die Autoren - ein Team von Experten aus den USA und China. 
Und ich ergänze noch - auch im Sinne der Schweiz-Holländischen Wissenschaftler - dass es höchste Zeit wäre, die bestehenden Richtlinien einer strengen Prüfung zu unterziehen. Denn dass Blutdruck-Medikamente das Demenz- und Sterberisiko der Patienten erhöhen, ist wohl das Gegenteil einer sinnvollen Therapie. 


4 Kommentare:

  1. Ein sehr guter Beitrag! Ich bin mir auch nicht sicher, wie sinnvoll das ist. Es gibt mit Sicherheit Fälle, wo man einen krankhaft hohen Blutruck mit Medikamenten senken muss, aber ich glaube auch, dass das nicht auf die Mehrheit zutrifft. Also ich zum Beispiel kämpfe mein Leben lang mit zu niedrigem Blutdruck. Ja, so etwas gibt es, auch wenn mich kein einziger Arzt damit behandelt hat, weil keiner einen sehr niedrigen Blutdruck als gefährlich ansieht, so lang man nicht zu oft in Ohnmacht fällt. Also habe ich sehr viel recherchiert und mich selbst behandelt. Und hier meine Lösung für alle Menschen: Achtet auf Euren Magnesium und Kalium Haushalt! Diese beiden regulieren zusammen den Blutdruck maßgeblich! Ich habe also ganz einfach begonnen, Magnesium und Kalium als Nahrungsergänzungsmittel zu mir zu nehmen und mein Blutdruck stabilisierte sich. Mein Vater hatte immer zu hohen Blutdruck, auch bei ihm wurde es besser. Natürlich muss man mit zu hohem Blutdruck auch noch auf seine Ernährung achten. Aber rein theoretisch sollte der Körper, wenn keine Erkrankung vorliegt, dass alles selbst regulieren können, wenn man ihm die richtigen Nährstoffe dafür zuführt.

    Grüße
    Kerstin

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    1. Danke sehr für Ihre Hinweise. Ich halte das für einen guten Ansatz: Zu sehen, was einem selbst gut tut.
      Oft genug gehen Ärzte bloß nach den Werten - so als wären sie Mechaniker beim Abgastest. Sie vergessen, die Menschen zu fragen, wie es ihnen geht. Und viele Patienten nehmen die Pillen widerspruchslos, weil es ja verordnet wurde. Wir sollten auf das achten, was uns gut tut. Ein Medikament, das unser Allgemeinbefinden verschlechtert, ist auf Dauer auch nicht gesund.

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    2. Sehr interessant. Habe ich mir notiert. Die Blutdrucktabletten koennen sehr gefaehrlich sein.
      Ich lese gerade ein interessantes Buch von James le Fanu: "Too many pills" (ist leider in Englisch)
      https://www.bookdepository.com/Too-Many-Pills/9781408709771
      Er schreibt auch ueber blutdrucksenkende Medikamente.
      Aus dem Buch: Nebenwirkungen von blutdrucksenkenden Medikamenten
      Thiazide Diuretics: Gout (Gicht), Diabetes, Erectile dysfunction (Potenzstoerungen), Sudden Death (Ploetzlicher Tod)
      Calcium Channel Blockers: Headaches (Kopfschmerzen), Palpitations (Herzrasen), Flushing (Roeten der Haut), Gum (Zahnfleisch) Hypertrophy, Heart failure (Herzversagen), Constipation (Verstopfung), Alopecia (Haarausfall), Allergic drug reactions
      ACE Inhibitors: dry irritating cough (trockener Husten), Angioedema (Schwellung unter der Haut), acute kidney failure (Nierenversagen)
      Beta Blockers: Wheezing (Keuchen), Sleep disturbances (Schlafstoerungen), Fatique (Erschoepfung), Exercise intolerance, Erectile dysfunction, Raynaud's phenomenon, heart failure, sudden death
      Aus meiner Erfahrung mit Aerzten kann ich nur sagen, dass diese sogenannten Experten (Aerzte) nicht wissen was im Beipackzettel, Productmonograph steht. Wenn eine "neue Krankheit" auftritt, die sehr wohl durch ein Medikament verursacht sein kann, dann verschreiben sie noch mehr Medikamente, anstatt zu schauen, ob die Krankheit durch das Medikamnet verursacht wurde. Nebenwirkungen koennen auch nach Jahren auftreten. Aerzte informieren ihre Patienten nicht ueber die Risiken der Medikamente, so dass der Patient keine informierte Entscheidung treffen kann. Man muss leider selber nach Informationen suchen. Wenn man die Anordnungen von Aerzten in Frage stellt, dann werden sie oft aergerlich und versuchen uns Angst zu machen was passieren koennte, wenn wir die Tabletten nicht nehmen.

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    3. Ich habe von Le Fanu mit großem Interesse "The Rise and Fall of Modern Medicine" gelesen. Ja, das Problem der Polypharmazie ufert in der Tat immer mehr aus. Zum einen sind es wohl die fehlenden Kenntnisse bzw. das fehlende Interesse der Ärzte in Bezug auf die Pharmakologie, zum anderen ist es das Problem der "Verantwortung". Wenn Ärzte Medikamente absetzen, so übernehmen sie Verantwortung für die Patienten. Und das kann unangenehme Folgen haben. Wenn sie zusätzliche Medikamente verordnen, so hat das keinerlei Konsequenzen für sie. Wenn die Patienten einen Nieren- oder Leberschaden erleiden, so übernimmt das Gesundheitssystem die weitere "Verantwortung" und die Ärzte erfahren meist gar nichts davon, bzw. haben hier keinerlei Sensorium, dass sie an der Problematik (mit)schuldig sein könnten.

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