Bert Ehgartner live

Dienstag, 9. März 2010

"Lesen, lesen, lesen" - Teil 2

Ich habe vergangene Woche hier einen recht skurrilen Mailverkehr mit dem Wiener Onkologen Christoph Zielinski veröffentlicht, in dem ich um Belege für die von ihm behaupteten gewaltigen Überlebensvorteile bat, welche über den Einsatz von innovativen Krebs-Medikamenten erzielt worden seien.
Am 4. März ist dazu auf der Website der Medizinischen Universität Wien ein Dokument zum Download publiziert worden, das nun scheinbar die Funktion hat, die Belege für Prof. Zielinskis Angaben nachzuliefern.

Einleitend heißt es dazu:
Durch Diskussionen der letzten Wochen angespornt, hat die Klinische Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien – Medizinische Universität Wien eine Überprüfung der internationalen Datenlage zu den Ergebnissen der Therapien von Krebserkrankungen durch moderne Behandlungsstrategien vorgenommen. 

Ich habe mich in dem 20-Seiten-Dokument auf jene Krebsarten konzentriert, die Prof. Zielinski angesprochen hat:

BRUSTKREBS:

Zielinski:
Das mediane Überleben von Brustkrebspatientinnen mit fortgeschrittenen Tumoren betrug vor der Einführung dieser Mittel zwölf Monate, jetzt sind es mehr als 50 Monate

Prof. Günther Steger gibt in dem Dokument einen kurzen Überblick zum sehr heterogenen Gebiet der Brustkrebs-Erkrankungen. In einer Abbildung wird die deutliche Verbesserung der Überlebensdauer ab Metastasierung innerhalb der letzten Jahrzehnte dargestellt. Allerdings ist hier der aktuellste Zeitraum 1995-2000. Die innovativen Krebstherapien, auf die sich Zielinski bezieht, waren da noch gar nicht im Einsatz.

Steger nennt in der Folge einige Daten zu neuen Therapieformen:

  • Beim Vergleich zweier verschiedener Chemo-Kombinationen kommt es zu Überlebenszeitgewinnen von 2,8 bzw. 3 Monaten
  • Beim Einsatz von Trastuzumab (Herceptin) gibt Steger Studien an, die einen Vorteil von 8,5 bzw. 4,8 bzw. 16,7 Monate ergeben, wobei letztere Arbeit gar nicht publizert ist und daher auch nicht entsprechend nachgeprüft werden kann.
  • Zudem ist der Einsatz von Herceptin nur bei einer speziellen Unterart von Brustkrebs sinnvoll (wo HER2 überexprimiert ist). Das gilt für knapp ein Drittel der Betroffenen.
  • Beim derzeit sehr gepushten Wirkstoff Bevacizumab (Avastin) erwähnt Steger zwei publizierte Studien, die keine Verlängerung der mittleren Überlebensdauer erbracht haben
  • PARP-Inhibitoren bezeichnet Steger als Zukunfsthoffnung, sie sind aber noch nicht zugelassen. Erste Studien zeigten einen Überlebenszeitgewinn von 3,5 Monaten
  • Für Aromatasehemmer nennt Steger eine Verbesserung des Überlebens von 10-12%

Mein Fazit: Die einzige Studie, die halbwegs in die von Zielinski genannte Richtung weist, ist bislang nicht in einem Fachjournal publiziert, steht im Widerspruch zu den Vergleichsstudien mit diesem Wirkstoff und bezieht sich obendrein nur auf eine Untergruppe der Brustkrebs-Fälle.

DARMKREBS:

Zielinski:
Beim fortgeschrittenen Dickdarmkrebs wären es jetzt mehr als 30 Monate statt ehemals zwölf Monate

Hierzu gibt Prof. Werner Scheithauer an:

  • Eine kürzlich publizierte retrospektive Analyse von 2.470 Patienten mit primär metastasiertem Dickdarmkarzinom zeigte, dass die (im Zeitraum von 1990 bis 1997) noch bei 14.2 Monaten gelegene mittlere Überlebenserwartung -dank dem modernen therapeutischen Armentarium- auf mittlerweile 29.3 Monate verbessert-, also mehr als verdoppelt werden konnte
  • Die Verlängerung der Lebenserwartung von 14,2 Monaten auf 29,3 Monate entspräche also in etwa der Spanne, die Zielinski genannt hat.
  • Scheithauer bezieht sich dabei allerdings auf eine spezielle Studie, in der es gar nicht um den Einsatz der neuen Therapien geht, sondern vor allem um den lebensverlängernden Nutzen der chirurgischen Entfernung von Metastasen aus der Leber.
  • Das geht aber nur bei Patienten, die auch tatsächlich Leber-Metastasen haben. Daraus ergibt sich auch der Überlebenszeit-Gewinn.
  • Scheithauer weiter: Im Einklang mit diesen Daten konnte auch die 5-Jahresüberlebensrate von ursprünglich nur 9.1% auf mittlerweile 19.2% (trotz initialer Fernmetastasierung) angehoben werden
  • Das bezieht sich abermals nicht auf die Gesamtheit der Patienten, sondern nur auf jene, bei denen es möglich war, Lebermetastasen zu entfernen.
  • Scheithauer anschließend: Einen vergleichbar erfreulichen Trend zeigt auch die 49.459 Patienten umfassenden “Surveillance, Epidemiology and End Results“ (SEER) Datenbank, die immerhin 26% der Bevölkerung der USA erfasst (2)
  • Scheithauer versucht nun, die Ergebnisse einer Untergruppe von Patienten zu verallgemeinern. Die von ihm angegebene 5-Jahresüberlebensrate von 19,2% findet sich in den SEER Daten jedoch nicht. Sie wird dort im Zeitraum von 1999-2005 für Patienten mit Fernmetastasierung mit 11,3% angegeben.

Mein Fazit: Die einzige Studie, die hier genannt wird, bezieht sich nicht auf innovative Arzneimittel, sondern den Vorteil, den eine chirurgische Entfernung von Leber-Metastasen bietet. Diese Ergebnisse können keinesfalls verallgemeinert werden und sie werden in der erwähnten Quelle (SEER) auch nicht bestätigt.

NIERENZELLKARZNIOM:

Zielinski:
Die Überlebensrate bei Nierenzellkarzinomen habe sich von 14 auf 28 Monate verdoppelt.

Hierzu erklärt Prof. Manuela Schmidinger:

  • Vor Einführung der neuen Therapieformen in den Studien habe die durchschnittliche Überlebensrate ab Metastasierung 12 Monaten betragen, bzw. bei Patienten mit gutem bis mittlerem Risikoprofil bei 15,2 Monaten. 
  • Im Jahr 2006 wurde der Wirkstoff Sunitinib zugelassen. Hiermit ergab sich ein Überlebensvorteil von 4,6 Monaten gegeüber der Kontrollgruppe. Allerdings zeigte sich nun eine Überlebenszeit von 26,4 bzw. 21,8 Monaten.
  • Dass auch in der Kontrollgruppe die Patienten länger lebten, ist laut Schmidinger darauf zurück zu führen, dass Patienten aus ethischen Gründen erlaubt wurde, in den aktiven Studienarm zu wechseln.
  • Sie erwähnt dann noch eine Untergruppe von Patienten, bei denen ein medianes Überleben von 43,6 Monaten beobachtet worden sei.

Mein Fazit: Die Verbesserung der Überlebenszeit, die Prof. Schmidinger berichtet, ist real. Allerdings ist der Wirkstoff auf den sie sich bezieht relativ kurz im Einsatz und es muss sich erst zeigen, dass die Ergebnisse sich auch vom Studienumfeld mit seinen Besonderheiten in die Praxis mitnehmen lassen.
Sunitinib ist relativ nebenwirkungsreich und wird oft nicht vertragen - bzw. führt zu Komplikationen. Auch hier gibt es noch kaum publizierte Erfahrungen. An sich ist beim Nierenkarzinom aber am ehesten eine Übereinstimmung mit Prof. Zielinskis Aussage gegeben.


Am Ende des Dokuments der MUW werden die Verbesserungen der Überlebenszeit noch einmal zusammen gefasst.
Und zwar in dieser Art:


Diese Darstellung ist - zumindest bei den drei von mir näher betrachteten Indikationen - höchst selektiv. Es wird genau das zitiert, was zur Untermauerung der eigenen Thesen dient und das in der Folge auch noch unzulässig verallgemeinert.

Aber immerhin haben sich Christoph Zielinski und seine Mitarbeiter der Medizinischen Universität Wien damit einem inhaltlichen Diskurs geöffnet, der über den Tipp "Lesen, lesen, lesen", doch schon erfreulich hinaus geht.

Wenn mir jemand aus der wissenschaftlichen Community zu den in diesem Papier dargestellten Überlegungen eigene inhaltliche Beiträge schicken möchte, so freue ich mich und werde das auf Wunsch auch gerne hier veröffentlichen.

1 Kommentar:

  1. http://www.andreas-unterberger.at/2010/04/was-ist-mit-der-wiener-medizin-los/

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