Bert Ehgartner live

Mittwoch, 14. März 2018

Fieber macht Sinn

Wer fiebert braucht Bettruhe, fühlt sich abgeschlagen, erschöpft und „richtig krank“. Dennoch ist das Fieber selbst keine Krankheit. Ganz im Gegenteil. Fieber wird vom Organismus im Rahmen des Heilungsprozesses eingesetzt, um dem eigenen Immunsystem die besten Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dessen ungeachtet lebt eine ganze Industrie davon, Fieber zu senken. Mit teils gravierenden Folgen für die Gesundheit.



„Mütter nehmen sich nicht frei“, heißt es in der TV-Werbung für Wick – DayMed. Und statt sich mit Schüttelfrost und Gliederschmerzen ins Bett zu legen, sieht man die spontan genesene Mama, wie sie fröhlich mit ihrer Tochter einen Schneemann baut. Aspirin Complex wirbt mit 94% zufriedenen Kunden, Grippostad C mit gleich vier Wirkstoffen. Und überall wird suggeriert, dass die Medikamente das Fieber anstandslos beseitigen – und damit die Heilung beschleunigt wird. Tatsächlich stehen zahlreiche Medikamente zu Verfügung, mit denen sich die erhöhte Körpertemperatur rasch wieder auf ein normales Niveau bringen lässt. So wirft man schnell ein Thomapyrin oder Fibrex ein oder gibt dem Kleinkind ein Nurofen-Zäpfchen. Die Frage ist bloß, ob das auch tatsächlich eine gute Idee ist.

Auch bei gesunden Menschen schwankt die Körpertemperatur teils beträchtlich – meist im Bereich zwischen 35,8 und 37,2 Grad. Allein die Stelle, wo gemessen wird, kann einen Unterschied von rund einem Grad ausmachen. Am niedrigsten sind die Werte unter der Achsel, etwas höher bei oraler und deutlich höher bei rektaler Messung. Auch der Zeitpunkt spielt eine Rolle. Am frühen Morgen kann die Temperatur um ein Grad unter den Messwerten des Abends liegen, ohne dass eine Krankheit vorliegt. Gutes Essen treibt die Körperwärme ebenso in die Höhe wie bei Frauen der Eisprung. Doch ohne Vorliegen einer Krankheit ist spätestens bei 38 Grad (rektal gemessen) Schluss – und erst darüber spricht man von Fieber.


Das Immunsystem verschafft sich bessere Arbeitbedingungen

Fieber ist nicht selbst die Krankheit, sondern ein Symptom, eine Reaktion auf interne Abläufe im Organismus: Den konkreten Anlass geben Aktivitäten des Immunsystems, die auf äußere Einflüsse – etwa eine Infektion mit Viren oder Bakterien, oder interne Signale auf Krankheitsherde reagieren.

Im Zuge der Heilungsreaktion wird unter anderem die Bildung von Prostaglandinen angekurbelt. Prostaglandine sind hormonelle Wirkstoffe und erfüllen im Organismus zahlreiche lebensnotwendige Aufgaben – unter anderem fungieren sie auch als Botenstoffe. Sie vermitteln dem im Zwischenhirn angesiedelten Hypothalamus, der als „Thermostat unseres Körpers“ fungiert, dass eine Erhöhung der Temperatur notwendig ist. Dadurch werden die Arbeitsbedingungen des Immunsystems in wesentlichen Bereichen verbessert. Fieber steigert die Tätigkeit des Abwehrsystems, indem es die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe und Hormone forciert, die am Immungeschehen beteiligt sind. Dieser Prozess ist hochkomplex, im Detail noch nicht gänzlich erforscht. Dass Fieber auch Bakterien und Viren abtötet ist jedoch falsch.

Die Wirkung des Fiebers auf Mikroorganismen ist eine indirekte und basiert auf der Aktivierung des Immunsystems. Der Hitze selbst halten die meisten Keime dagegen problemlos stand.

Dass gerade eine Heilung im Gange ist, bemerken die Betroffenen nicht. Im Gegenteil: Fiebern ist anstrengend, denn das Aufheizen des Organismus verbraucht eine Menge Energie. Die Herzfrequenz steigt, die Durchblutung in der Haut erhöht sich und der Organismus gerät kräftig ins Schwitzen. Ein schweres Krankheitsgefühl setzt ein. Nebenher verstärken die dabei involvierten Nerven das Schwäche- und Schmerzempfinden. Das stärkt natürlich den Wunsch, dass die Krise mit medikamentöser Hilfe rasch wieder vorbei geht.

Doch diese heftige Reaktion macht schon Sinn. Dabei handelt es sich um eine im Lauf der Evolution eingeführte Rückkoppelung, welche dazu führt, dass kranke Lebewesen mit akuter Entzündung sich zurückziehen und ruhen, damit dem Heilungsverlauf nicht unnötig Energie entzogen wird.


Fiebersenker stören interne Kommunikation

Interessant ist nun die Wirkungsweise der Fiebersenker. Fiebersenker und Schmerzmittel aus der Klasse der nicht-steroidalen Entzündungshemmer wie Acetylsalicylsäure (Aspirin), Ibuprofen oder Diclofenac greifen in diesen wichtigen Reparaturmechanismus ein. Die Medikamente stören für einige Stunden die Herstellung aller Prostaglandine, nicht nur jener die für die als negativ empfundenen Symptome zuständig sind. Dadurch ergibt sich das Risiko zahlreicher Nebenwirkungen, speziell bei Überdosierung oder chronischem Missbrauch.

Interessante Resultate brachte auch eine im Oktober 2017 veröffentlichte Studie, die in der Notfall-Ambulanz der Kinderklinik Philadelphia durchgeführt wurde. Eingeschlossen waren etwas mehr als 22.000 Patienten mit nicht ernsthaftem Fieber. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder erhielt – bei ansonsten weitgehend gleichem Krankheitsbild – fiebersenkende Mittel, entweder Paracetamol (38%), Ibuprofen (19%) oder beides. Die andere Hälfte erhielt keine Fiebersenker.

Unterschiede im Behandlungsablauf wie Röntgenaufnahmen und ähnliches wurden in der Auswertung berücksichtigt. Auch auf Alter, Antibiotika, etc. wurde kontrolliert, so dass in den Resultaten möglichst der pure Effekt der Fiebersenkung übrigblieb. Und der war enorm:

Kinder, deren Fieber gesenkt wurde, hatten einen signifikant längeren Aufenthalt in der Klinik. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mehr als zwei Stunden bleiben mussten, lag beim Doppelten der unbehandelten Kinder. Den mit Abstand längsten Aufenthalt hatten jene Kinder, die beide Medikamente bekamen.

Fiebersenker sind jene Medikamente, die in Kinderkliniken am raschesten gegeben werden. Im Schnitt dauert es 54 Minuten von der Aufnahme bis zur Verabreichung des ersten Fiebersenkers. Wenn die Kinder unter Schmerzen leiden, aber keine erhöhte Temperatur haben, müssen sie hingegen deutlich länger – nämlich durchschnittlich 83 Minuten – warten, bis sie ein Medikament bekommen. „Dass Fieber so deutlich rascher behandelt wird als Schmerz hat mit den vorherrschenden Meinungen der Ärzte zu tun, dass es sich bei Fieber um das deutlich ernsthaftere Symptom handelt“, erklären die Studienautoren und fügen hinzu: „Medizinisch ist dieses Vorgehen unbegründet.“

Wenn schon Fiebersenker, so die aktuellen medizinischen Leitlinien zum Fieber-Management, so sollten diese oral gegeben werden. Bei der rektalen Gabe kommt es häufiger zur Überdosierung. Verschiedene Wirkstoffe sollten nicht kombiniert werden. Gänzlich verworfen wird die Praxis mancher Ärzte, den Eltern nach einem Impftermin Fiebersenker vorsorglich mitzugeben. Diese sind, wie zahlreiche Studien belegen, auch ungeeignet, um Fieberkrämpfen vorzubeugen.

Siegeszug von Paracetamol

In den 1960er Jahren berichtete der australische Mediziner Ralph D.K. Reye über Kinder, die nach der Gabe von Aspirin eine akute Schädigung von Gehirn und Leber erlitten haben.

Diese Problematik ging als „Reye Syndrom“ in die Medizinliteratur ein. Die Zusammenhänge wurden nie wirklich im Detail aufgeklärt und auch über die Häufigkeit des Auftretens dieses Syndroms herrscht Unklarheit. In Deutschland gab es während der letzten Jahrzehnte nur eine Handvoll gesicherter Fälle. Dennoch führten diese Warnungen dazu, dass bei Kindern massiv von der Gabe von Aspirin abgeraten wurde. Speziell im angloamerikanischen Raum wird bis heute vorwiegend Paracetamol verwendet.

Anders als Aspirin oder Ibuprofen wirkt Paracetamol nicht über die Hemmung der Prostaglandine, sondern über direkte Zugänge zu Gehirn und Rückenmark. Wie das jedoch im Detail abläuft, ist bis heute nicht bekannt. Länder mit dem höchsten Verbrauch von Paracetamol wie Australien, die USA oder Großbritannien führen auch die internationalen Rankings bei der Häufigkeit von Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen an. Daraus entstand die Frage, ob möglicherweise Paracetamol hier beteiligt sein könnte.

Allergien und Asthma

Zahlreiche Studien zeigten, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr Fiebersenker erhalten, später ein deutlich höheres Allergie-Risiko haben. Die Frage, ob der Einsatz der Fiebersenker ein unmittelbarer Auslöser von Asthma sein könnte, wird kontrovers diskutiert. Während große epidemiologische Arbeiten einen Zusammenhang nahelegen, warnen andere Wissenschaftler vor möglichen Fehlschlüssen. Joanne E. Sordillo, Medizineren in der Harvard Medical School in Boston, präsentierte dazu kürzlich eine Arbeit, in der 1490 Mütter mit ihren Kindern sowohl während der Schwangerschaft als auch während des ersten Lebensjahres auf die Verwendung von Fiebersenkern kontrolliert wurden. Wie weit verbreitet die Anwendung ist, zeigen die Resultate: Nur 30% der Frauen gaben an, dass sie während der Schwangerschaft niemals Paracetamol eingenommen haben. Während des ersten Lebensjahres des Kindes waren es sogar nur 4,5%.

Kinder die besonders häufig Fiebersenker bekamen, hatten ein um ein Drittel höheres Asthmarisiko. „Möglicherweise kommt das Asthma aber auch von den Infekten und nicht von den Medikamenten“, erklärt Studienautorin Sordillo. Gegen diese These spricht allerdings, dass die Kinder von Frauen, die während der ersten Phase der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen haben, später ebenfalls ein um ein Drittel höheres Asthmarisiko hatten – unabhängig von jeglichen Infekten beim Kind.


Wer fiebert wird schneller gesund

Dass Fieber selbst lebensgefährlich wird – und speziell ab 41 Grad unmittelbar zum Tod führt, ist ein hartnäckig verbreitetes Märchen. Fieber ist selbst limitierend. Wenn es zu hoch steigt, setzt eine Gegenregulation ein.

Richtig ist hingegen: Wer fiebert wird schneller und nachhaltiger gesund. Die Gesamtüberlebenschance einer Infektion ist bei Fieber deutlich erhöht. Schwerkranke Menschen, die nicht fiebern, haben demnach nicht nur einen verlangsamten Heilungsprozess, sondern auch eine deutlich schlechtere Prognose.

Dieser Effekt wird von manchen Krebstherapeuten eingesetzt, indem Fieber mit Hilfe der Injektion bakterieller Toxine aktiv erzeugt wird. Hohes Fieber kann das Immunsystem zu einer besseren Krebsabwehr stimulieren. Doch obwohl diese Tatsache unstrittig ist, wird der Ansatz in der Onkologie nach wie vor zu wenig erforscht. Zu stark scheint die Abneigung Fieber therapeutisch einzusetzen. Dabei wäre das nichts anderes als ein Nachahmen erfolgreicher Heilungstaktiken der Natur.

Bei diesem Artikel handelt es sich um die leicht gekürzte Version eines Berichts der in der März -Ausgabe der Zeitschrift "Naturarzt" erschienen ist.