Bis zum Jahresende
müssen die EU-Gremien entscheiden, ob es eine Neuzulassung des weltweit meist
verwendeten Herbizids Glyphosat geben wird. Wichtigstes Kriterium für die Einschätzung ist die Frage, ob das Unkrautgift beim Menschen Krebs auslöst, oder nicht. Die Behörden stehen auf Seite der Agroindustrie - mit einer Ausnahme…
Auf etwa einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen wird regelmäßig Glyphosat eingesetzt: Und deshalb findet es sich auch überall: im Obst, im Getreide, im Wein und im Bier (Foto: Mnolf) |
Entdeckt wurde Glyphosat 1950 vom Schweizer Chemiker Henri Martin und
fand zunächst Anwendung bei der Reinigung von Rohren. Der US-Konzern Monsanto,
der mit dem Verkauf von DDT und Agent Orange groß geworden war, testete die
Eignung der Chemikalie als Wasserenthärter. Mitarbeiter stießen 1969 schließlich
auf dessen Hauptwirkung, die sogleich patentiert wurde: Glyphosat hemmt die
Bildung lebensnotwendiger Aminosäuren im pflanzlichen Stoffwechsel und wirkt
damit als Totalherbizid: es tötet Pflanzen jeglicher Art binnen kurzem ab. Unkräuter
am Acker ebenso wie im Schrebergarten oder entlang der Bahngleise.
Seit das Patent von Monsanto im Jahr 2000 abgelaufen ist, setzen mehr
als 90 Chemiefirmen weltweit Glyphosat in ihren Produkten ein. Laut Bundesamt
für Ernährungssicherheit wurden im Jahr 2016 rund 312 Tonnen Glyphosat-haltige
Herbizide in Österreich verkauft, weltweit sind es 720.000 Tonnen. Nach einer
in Deutschland durchgeführten Befragung von 900 Landwirten ergab sich, dass 39
Prozent der Ackerfläche zumindest einmal jährlich mit Glyphosat gespritzt wird.
In Österreich dürfte es ähnlich sein.
Der Verdacht, dass Glyphosat auch bei Mensch und Tier die Gesundheit
schädigt und Krebs auslöst, wurde von allen internationalen Gesundheitsbehörden
– auch der österreichischen AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) – unisono mit „Nein“ beantwortet. Dann jedoch –
im März 2015 – veröffentlichte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC)
der WHO eine gegenteilige Expertise: Die grundsätzliche Stoffeigenschaft der
Kanzerogenität wurde bestätigt, ebenso eine starke Beweislage für Gentoxizität,
die Fähigkeit das DNA-Erbgut zu schädigen. Und seither ist der Teufel los.
Lobbyisten fordern nun vehement, der IARC – oder gleich der ganzen WHO -
die Förderungsgelder zu streichen. Die
Gesundheitsbehörden – allen voran das deutsche Bundesinstitut für
Risikobewertung (BfR) – versuchen sich in einer Umdeutung der IARC
Einschätzung. Diese hätte nur ein generelles theoretisches Gefahrensignal bewertet,
teilte BfR Präsident Andreas Hensel der Presse mit: „Bei unserer Einschätzung
ging es hingegen um die konkreten Risiken, die für Verbraucher bestehen.“ –
Eine Einschätzung der der angesehene IARC-Experte Christoph Portier umgehend
widersprach: „Es ist schwierig für mich die Risikobewertung, die Sie für Krebs
vorgenommen haben, zu beurteilen. Denn Sie haben keine Risikobewertung für
Krebs gemacht!“
"Roundup", der Glyphosat-Bestseller von Monsanto |
Für NGOs wie Greenpeace oder Global 2000, die seit Jahren die Praktiken des
Saatgut- und Chemieriesen Monsanto anprangern, brachte die IARC Einschätzung Hoffnung
in eine lange als ausweglos angesehene Debatte. Mit Urintests wurde gezeigt,
dass bei fast allen Menschen Glyphosat nachweisbar war. „Das Gift ist
tatsächlich in allen Produkten der konventionellen Landwirtschaft“, erklärte
der für Global 2000 tätige Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden. „Egal ob im
Brot, im Gemüse oder im Bier.“ Die Medienresonanz war enorm.
Im Juni 2017 übergab die Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“ der
EU-Kommission eine Million Unterschriften, die binnen weniger Monate gesammelt
worden waren. Nun muss sich, nach EU-Recht das EU-Parlament mit dem Anliegen
befassen. Die politische Brisanz der Auseinandersetzung wird mittlerweile so
hoch eingeschätzt, dass die Entscheidung jedenfalls mal hinter den Termin der
deutschen Bundestagswahlen am 24. September gelegt wurde.
Wer hat nun Recht? – Tatsache ist, und das belegt Buchautor Helmut
Burtscher-Schaden (siehe Interview unten) mit einer Unzahl an Beispielen, dass
Monsanto schon seit der Patentierung seiner Milliarden-Cashcow in den 1970er
Jahren, ein sehr enges Verhältnis zu den US-Behörden pflegte. Dies schloss
Gefälligkeits-Gutachten ein. Als offensichtlich manipulierte Tierexperimente
wiederholt werden mussten, wurden ausführliche Fütterungs-Studien mit Ratten
und Mäusen in Auftrag gegeben. Sobald diese – und alle anderen toxikologischen
Studien – den Behörden gezeigt wurden, stellte Monsanto jeweils sofort das
Ansuchen, dass diese Studien geheim sein sollten und fortan nicht mehr der
Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Außer den Behörden, den beteiligten
Wissenschaftlern und dem Auftraggeber wusste demnach niemand, was genau die
Daten ergeben hatten.
Zu diesen geheimen Studien hatte sich nun allerdings die IARC Zugang
verschafft. Und nach und nach kamen immer mehr Keller-Leichen ans Tageslicht.
Denn offenbar hatten jene Wissenschaftler, die bisher die Studien gesichtet
hatten, eine ganze Reihe von Krebsfällen aus den Tierversuchen nicht entdeckt
oder nicht als solche sehen wollen. Generell fällt auf, dass unabhängig
finanzierte und vollständig publizierte Studien in der überwiegenden Mehrzahl
zu einem für das Herbizid negativen Urteil kommen, dass jedoch die
Hersteller-finanzierten unter Verschluss gehaltenen Studien Glyphosat
ausnahmslos freisprechen.
Siegfried Knasmüller, Experte für Gentoxizität am
Krebsforschungsinstitut der Medizinischen Universität Wien, hat selbst
Untersuchungen mit Glyphosat durchgeführt, bei dem er ganz eindeutig
Chromosomenschäden feststellte.
Er hält die Methoden der IARC jedenfalls für seriöser als die
Beschwichtigung der Behörden: „Das stinkt zum Himmel. Hier gibt es ein ganz
starkes politisches Interesse, das als harmlos zu bewerten.“ Welche Gefahr
seiner Meinung nach von Glyphosat ausgeht: „Ich halte es für schwach
karzinogen. Für jene, die damit engen Umgang haben und es inhalieren, ist
Glyphosat sicherlich gefährlicher als für Konsumenten, die leicht belastetes
Bier trinken oder Gemüse essen.“ Wer auf der sicheren Seite sein möchte, so
Knasmüller, sollte jedenfalls Bio-Lebensmittel bevorzugen.
Alternativen im Giftschrank
Würde die Zulassung für Glyphosat
nicht verlängert, so wäre dies zwar lästig für Hersteller und Anwender, doch an
Alternativen mangelt es nicht. Und viele dieser Wirkstoffe sind von ihren
toxischen Eigenschaften mindestens ebenso problematisch.
Die konventionelle Landwirtschaft hängt massiv am Tropf der Agrochemie (Foto: © PHILIPPE HUGUEN/AFP/GettyImages) |
In der Tat, die chemische
Trickkiste der industriellen Landwirtschaft ist tief und enthält zahlreiche
Hilfsmittel zur Arbeitserleichterung. Im Gemüse- und Obstbau ist es
beispielsweise von Vorteil, wenn die Früchte möglichst zeitgleich reifen. Wer
selbst einen Garten hat, weiß, dass dies eher die Ausnahme darstellt. Von sieben
Tomaten auf einer Rispe sind zwei rot – zwei hellrot und die übrigen noch grün.
Dasselbe gilt für Weintrauben oder Paprika. Und während für den Hausgebrauch eben öfter gepflückt
wird, greift der konventionelle Großproduzent zu Reifebeschleunigern wie etwa dem
Wirkstoff Ethephon. Dieser dringt in die Pflanze ein und zerfällt dort unter
Freisetzung von Wachstumshormonen. Abwaschen nützt in dem Fall wenig. Ein
Gefährdungspotenzial besteht laut Behörden vor allem für Kinder.
In den letzten Jahren wurden
immer wieder Grenzwert-Überschreitungen gemeldet, vor allem bei spanischen
Paprika und winterlichen Weintrauben aus Südafrika. In Österreich ist Ethephon
unter anderem zur Halmfestigung bei Getreide, zur Blütenbildung im Apfelbau
oder zur „Ernteerleichterung“ bei Kirschen zugelassen.
Auch Glyphosat wird EU-weit zur
Reifungsbeschleunigung eingesetzt, eine Methode, die in Österreich seit 2013
jedoch verboten ist. Dafür ist es bei uns nach wie vor Usus, dass das
Pflanzengift zur Vorerntebehandlung eingesetzt wird, um ein bereits reifes
Erntegut von Unkraut zu befreien. Besonders pervers mutet die Praxis an, ökologische
Gründüngung, die einen milden Winter überstanden hat, im Frühling mit dem Gift wegzuspritzen.
In Vorträgen der Landwirtschaftskammer wurde dies sogar als besonders
ökologisch beworben, weil damit Fahrten mit dem Traktor wegfallen und der Boden
weniger verdichtet wird.
Die dümmsten Bauern…
Umgekehrt gelagert sind die
Probleme mit den Erdäpfeln, wobei das Sprichwort, dass „die dümmsten Bauern,
die größten Kartoffeln haben“ eine radikale Neudeutung erfährt: Professionell
gedüngt und freigespritzt von lästigen Mitessern würden die Knollen nämlich ungehemmt
auf Fußballgröße anwachsen. Derartige Riesenknollen wären im Supermarkt
unverkäuflich.
Doch auch hierfür sind Mittel
in der Kiste: Beispielsweise Diquat. Das Herbizid tötet das grüne Kraut der
Kartoffeln binnen Stunden und stoppt damit das Wachstum. Zudem wird die Schale fester,
was die Haltbarkeit fördert. Weil Diquat als hochtoxisch eingestuft wird, sind
Wartezeiten einzuhalten, bis die Ernte eingebracht werden darf.
Ein besonderes Liebkind der
Agrochemie ist der Raps. Dessen Öl wird seit dem Mittelalter als Brennstoff für
Lampen geschätzt. Gekocht wurde damit jedoch nur in Hungerszeiten. Zu abstoßend
war sein bitterer, beißender Geschmack, der von schwefelhaltigen
Senföl-Glycosiden und einem hohen Gehalt an Erucasäure geprägt wird. Auch als
Futter für Schweine oder Rinder war Raps ungeeignet, da die Tiere davon
Verdauungsstörungen bekamen und das Fressen verweigerten. Die Karriere als
„wertvolles Speiseöl“ startete Raps erst in den 1980er Jahren, als es gelang,
die zwei unangenehmen Inhaltsstoffe schrittweise weg zu züchten. Der moderne
Doppelnull-Hybrid-Raps ist heute die mit Abstand häufigste Ölpflanze
Mitteleuropas.
Offenbar dienten die beiden
Bitterstoffe aber als Abwehr gegen Fressfeinde. Parasiten marschieren nun in
einer Dichte auf wie bei keiner anderen Feldfrucht. Ökologisch ist der
Rapsanbau deshalb eine reine Katastrophe. Die Pflanze muss während ihrer Kultur
laufend geschützt – also gespritzt werden. Bereits das Saatgut ist mit
Insektiziden gebeizt. Während der Wachstumsphase drohen Rapserdflöhe und Kohlfliegen,
im Sommer der Rapsglanzkäfer. Wird Rapshonig analysiert, so erinnern die
Testergebnisse an ein Register aller verfügbaren Chemikalien der
Schädlingsbekämpfung.
„Es fehlt jegliche Glaubwürdigkeit“
Der Global 2000
Chemiker Helmut Burtscher setzt in seinem eben erschienenen Buch „Die
Akte Glyphosat“ zum Frontalangriff auf Industrie, „käufliche Wissenschaft“ und
„parteiliche Behörden“ an.
Die meisten Studien Monsantos und auch anderer Hersteller zur
Toxizität ihrer Produkte werden als Betriebsgeheimnisse behandelt. Was ist die
Folge dieser Praxis?
Burtscher: Im Fall von Glyphosat führte diese Praxis zur Entstehung zweier wissenschaftlicher Paralleluniversen: Die geheimen Studien von Monsanto & Co behaupten unisono, dass Glyphosat die DNA nicht schädigt. Unabhängige Studien finden hingegen überwiegend das Gegenteil. Bisher konnte mir niemand einen vernünftigen Grund nennen, warum man Studien über die Gefahren und Risiken von Chemikalien als Geschäftsgeheimnis unter Verschluss halten muss. Solchen Studien fehlt jegliche Glaubwürdigkeit. Das gehört abgeschafft.
Und was käme stattdessen?
Es würde enorm viel verbessern, wenn drei Dinge geändert werden.
Erstens: Nicht der Hersteller, sondern die Behörde beauftragt die
Vertragslabors mit der Erstellung der regulatorischen Studien. Zweitens: Alle
diese Studien müssen publiziert werden. Drittens: Die Hersteller dürfen sich
"ihre" Zulassungsbehörde nicht selber aussuchen.
Die Behörden argumentieren, dass Rückstände von Pflanzenschutzmitteln
in vertretbaren Mengen erlaubt sind - und man täglich 1000 Liter Bier trinken
müsste, bis der für Glyphosat ermittelte Grenzwert überschritten wäre. Ein Null-Risiko
könne es nun mal nicht geben. Betreiben Sie Alarmismus?
Die Rechnung mit den 1000 Litern basiert auf der Annahme, dass Glyphosat
weder krebserregend noch DNA-schädigend ist. Das widerspricht fundamental
den Erkenntnissen der WHO-Krebsforschungsagentur IARC. Dass EU-Behörden, deren
zentrale Aufgabe der Schutz der Gesundheit von 500 Millionen Menschen ist, mit
solchen Vergleichen die Öffentlichkeit hinsichtlich der Krebsgefahr von
Glyphosat in die Irre führen, verlangt nach politischen Konsequenzen.
Was, denken Sie, treibt die Behörden an, so zu agieren, wie sie es
eben tun?
Sowohl die deutsche Behörde (BfR) als auch unsere AGES gelangen zum
Ergebnis, dass Karzinogenität kein Hindernis für die Zulassung von Glyphosat
ist. Es fällt auf, dass dieses Ergebnis im Interesse ihrer jeweiligen politisch
verantwortlichen Ministerien liegt und von diesen auch hartnäckig verteidigt
wird. Ihnen fehlt offenbar das Bewusstsein, dass sie damit die Verantwortung
für wahrscheinlich tausende Krebserkrankungen auf sich nehmen.
Sie haben als Experte dazu beigetragen, dass die Sikkation, das „Totspritzen“
mit Glyphosat zur Beschleunigung der Reifung in Österreich verboten wurde. Ist
damit dieses Problem bereinigt?
Das Gesetz war tatsächlich
ein ungewöhnlicher Schritt. Doch noch immer gibt es die „Unkrautbehandlung“ kurz
vor der Ernte. Und das halte ich für ein Aushebeln des Sikkationsverbots durch
die Behörde.
Und wie wird die Glyphosat Abstimmung ausgehen?
Aus Frankreich und von der SPD in Deutschland kamen Signale, einer
Zulassung nicht zustimmen zu wollen. In Österreich hat sich die
Gesundheitsministerin deutlich gegen eine Zulassung ausgesprochen, der zuständige
Landwirtschaftsminister stellt sich allerdings hinter die Behörden. Die
Kommission hat klargestellt, dass sie nur mit Rückendeckung der Mitgliedstaaten
eine Zulassung aussprechen will. Es wird also spannend.
Helmut
Burtscher-Schaden befasst sich seit
vielen Jahren bei Global 2000 mit den Auswirkungen von Pestiziden auf Mensch
und Umwelt. Der Biochemiker war einer der sieben Initiatoren der Europäischen
Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“. Dieser Tage erscheint sein Buch „Die Akte Glyphosat“ (Verlag Kremayr & Scheriau, 256 S., 22 EUR).
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